Von den Violinen ans Dirigentenpult
Mit nur zwanzig Jahren gewann Christoph Koncz das Probespiel für das Orchester der Wiener Staatsoper, aber auch als Kammermusiker und Solist machte sich der junge Geiger schnell einen Namen. Seine Einspielung sämtlicher Violinkonzerte Mozarts mit Les Musiciens du Louvre sorgte 2020 für internationales Aufsehen. Bei der Premiere The Winter’s Tale steht der vielseitige Musiker nun als Dirigent am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Ein Gespräch über eine ungewöhnliche Karriere und Joby Talbots Ballettmusik zu Christopher Wheeldons The Winter’s Tale.
AdP Du hast es als Geiger an die Weltspitze gebracht und warst Mitglied der Wiener Philharmoniker. Heute bist du als Dirigent tätig, hast dich also entschieden, die Seite zu wechseln. Wie ist es dazu gekommen?
CK Diese Entscheidung ist in meinen sehr vielfältigen Interessen begründet. Selbstverständlich ist es ein Traum, bei den Wiener Philharmonikern zu spielen. Ich war zwanzig, als ich aufgenommen wurde, und habe das Musizieren in diesem Orchester immer sehr genossen und mit viel Herzblut betrieben. Das ist bis heute so. Ich identifiziere mich nach wie vor sehr mit den Wiener Philharmonikern und empfinde meine 15-jährige Mitgliedschaft als einen wahren Erfahrungsschatz: Der einzigartige Klang meiner Kolleg*innen, den ich von innen heraus spüren und aufnehmen durfte. Aber auch die Begegnung mit den bedeutendsten Dirigent*innen unserer Zeit in einer Bandbreite, wie es sie sonst kaum gibt, noch dazu aus so direkter Nähe – ich saß ja im Zentrum, ganz vorne bei den Zweiten Violinen. Wie wirkt etwas, was der Dirigent vorgibt? Wie reagiere ich darauf, wie meine Kolleg*innen? Wieso ist man in einem Moment fasziniert, in einem anderen irritiert? Im Konzert gleichermaßen wie in der Wiener Staatsoper mit ihrem legendär breiten Repertoire, das für jeden Musiker auch eine große Gedächtnisschule ist, konnte ich Erfahrungen sammeln, die ich heute als Grundlage für all meine künstlerischen Aktivitäten betrachte. Neben dem Geigenspiel war ich aber immer schon auch sehr am Dirigieren interessiert. Ich komme aus einer Musikerfamilie. Mein Vater ist Dirigent und schon als Kleinkind habe ich es geliebt, seinen Orchesterproben beizuwohnen. Heute weiß ich, dass er uns Musik aus einer typisch dirigentischen Perspektive vermittelt hat: Wieso wird diese Phrase so gespielt? Wieso hat der Komponist jetzt genau das geschrieben und nicht etwa dieses oder jenes? Was drückt diese Passage aus? Wir waren zwar noch Kinder, aber er hat von Beginn an sehr tiefgehende interpretatorische Fragen mit uns geteilt.
AdP Du hast bereits mit vier Jahren mit der Violine begonnen!
CK Nach der Matura habe ich parallel zur Violine dann an der Wiener Musikuniversität auch Dirigieren studiert und während meines Philharmoniker-Engagements immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, hierin Praxis zu sammeln. In den letzten Jahren haben die Anfragen für Dirigate dann derart zugenommen, dass – auch wenn mich meine Kolleg*innen im Orchester immer sehr unterstützt haben – beides gleichzeitig nicht mehr realisierbar war. Ich musste mich also entscheiden und widme mich nun ausschließlich dem Dirigieren, um mich als Dirigent zu etablieren und auch als solcher wahrgenommen zu werden.
AdP Du bist als Gastdirigent weltweit im Einsatz und stehst bei Orchestern wie dem London Symphony, Orchestre de Paris oder der Staatskapelle Dresden am Pult. 2023 wurdest du zum Musikdirektor des Orchestre symphonique de Mulhouse ernannt, das nicht nur Konzerte spielt, sondern auch eines der beiden Partnerorchester der Opéra national du Rhin in Strasbourg ist ...
CK ... genau, und ich dirigiere dort auch in beiden Bereichen!
AdP Was interessiert dich am Tanz?
CK Ich habe vor einiger Zeit eine Produktion von Christian Spuck am Zürcher Opernhaus geleitet, die zu Musik von Claudio Monteverdi das Ballett zusammen mit Sänger*innen auf die Bühne brachte. Ich war von der Art und Weise, wie Spuck und die Tänzer*innen gearbeitet haben, tief beeindruckt und als Martin Schläpfer dann Direktor des Wiener Staatsballetts wurde, bin ich auf ihn zugegangen. Mich interessiert die Balance zwischen dem, was die Tänzer*innen auf der Bühne benötigen und der rein musikalischen Interpretation einer Komposition sehr.
AdP Mit The Winter’s Tale bringen wir ein abendfüllendes Handlungsballett in die Wiener Staatsoper, für das auch die Musik extra komponiert wurde ...
CK ... was heute ja eine Seltenheit ist!
AdP Wie würdest du die Partitur beschreiben?
CK Man hört sofort, dass Joby Talbot in der Londoner Szene zu Hause ist. Seine Musik vibriert, pulsiert, ist modern, aber nicht aus einer Experimentierstube. Man könnte seinen Stil als populär umschreiben, seine Musik als sehr zugänglich – sowohl für den Interpreten als auch für den Zuhörer. Sicher hören wir in The Winter’s Tale auch seine Erfahrungen als Filmmusikkomponist und Einflüsse durch die Musicals des Londoner West End. Als ich mich vor kurzem mit ihm getroffen habe, saßen wir in einem Café gegenüber einem der dortigen Theater und was war annonciert: MJ – das Musical über Michael Jackson, dessen Regisseur und Choreograph Christopher Wheeldon ist! Talbot weiß sehr genau, wie man eine Szene illustriert und Emotionen kreiert, ohne sich aber in den Vordergrund zu drängen – eine Qualität, die man nur selten findet. Die für mich vollkommensten Beispiele sind die großen Tschaikowski-Ballette, Strawinskys Le Sacre du Printemps und Prokofjews Romeo und Julia – geniale Partituren, in denen man die gesamte Handlung hören kann, ohne dass die Aufmerksamkeit vom Bühnengeschehen weggezogen wird. Wenn eine solche Synthese gelingt, haben wir eine perfekte Ballettmusik und damit eine großartige Kunstform vor uns.
AdP Die Partitur von The Winter’s Tale verlangt neben dem Orchester im Graben auch eine Banda auf der Bühne, bestehend aus einer Bansuri (eine indische Bambus-Querflöte), Dulcimer (eine Art Hackbrett) sowie Akkordeon und diverse Schlaginstrumente.
CK Talbot kreiert durch dieses Instrumentarium mit großer Virtuosität ein für unsere Ohren sehr exotisches Kolorit und charakterisiert damit die beiden Königswelten, den sizilianischen Hof und die fröhliche böhmische Hirtenszenerie des 2. Aktes. Man könnte das mit den klar getrennten Klangwelten der Kaiserin sowie Baraks und der Färberin in Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten vergleichen. Die Bühnenmusik trägt Kennzeichen einer fiktiven Volksmusik, erinnert mich mit seinen Instrumenten aber auch an ein Musical wie The Lion King. Neben solchen Referenzen zeigt Talbot in seinen Klangfarben aber eine ganz eigene Stimme, die – wie ein Gewand, das man sich überzieht – sofort wiedererkennbar ist.
AdP Mit der musikalischen Leitung der Premiere kehrst du in die Wiener Staatsoper zurück. Wie ist es, als Dirigent eines abendfüllenden Werkes vor den ehemaligen Kolleg*innen zu stehen?
CK Ich freue mich sehr darauf! Natürlich ist da eine persönliche Vertrautheit, auf der ich aufbauen und auf die ich mich verlassen kann. Andererseits wurde mir, als ich im April 2023 die Staatsballett-Premiere von Tabula rasa dirigiert habe, auch klar: dass ein Musiker aus den eigenen Reihen am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht, gab es schon über 30 Jahre nicht mehr. Es ist also eine außergewöhnliche, freudenvolle und spannende Aufgabe!
Das Gespräch führte Chefdramaturgin Anne do Paço.