Vom Luxus, auf den Bauch zu hören
Adam Fischer dirigiert den RING DES NIBELUNGEN
Ausschnitt aus einem Interview, das Adam Fischer im Rahmen der Dirigenten-Werkstatt im STUDIO WALFISCHGASSE gegeben hat.
Sie haben am Beginn Ihrer Laufbahn als Korrepetitor gearbeitet; wieweit war diese Tätigkeit für Ihr späteres Dirigentenhandwerk hilfreich?
Adam Fischer: Als Korrepetitor arbeitet man mit den Sängern, das bedeutet, man lernt die Probleme kennen, die Sänger haben können und vor allem lernt man, wie man sie unterstützen kann. Man lernt, wie sie atmen, wie sie die Stimme ansetzen – und worauf man dabei achten muss. Kennt man ihre Schwierigkeiten, weiß man, wie sie „funktionieren“, dann kann man ihnen beim Singen helfen. Ich behaupte nicht, dass man alle Werke, die man später dirigiert, auch korrepetiert haben muss. – Man kann ja aus dem, was man in einigen Stücken gelernt hat, auf andere schließen. Aber ohne Zweifel hat mir das Korrepetieren geholfen. Und natürlich habe ich die Dirigenten, die damals gewirkt haben, vom Klavier aus kritisch beobachtet: Mit 22, 23 oder 24 Jahren weiß man ja alles besser … Aber alles besser zu machen ist mir nicht gelungen (lacht). Aber gelernt habe ich damals viel!
Merken Sie heute noch beim Dirigieren, welche Stücke Sie korrepetiert haben?
Adam Fischer: Da muss ich ein wenig nachdenken. Nein, ich glaube der Unterschied ist heute nicht mehr so groß.
Wie sieht dieses „Dem-Sänger-Helfen“ an einem Beispiel aus?
Adam Fischer: Ich muss als Dirigent etwa in der Lage sein zu erkennen, wenn ein Sänger zu wenig Luft für eine begonnene Phrase hat – noch bevor sich der Sänger dessen überhaupt selbst bewusst ist. In so einem Fall muss ich als Dirigent das Tempo leicht steigern, damit es sich dennoch ausgeht. Oder ich muss spüren, wenn ein Interpret – wieder: bevor er es merkt – stimmlich angestrengt ist und daraufhin das Orchester dämpfen, damit der Sänger die ganze Oper durchhält. Das alles sind Erfahrungswerte, die man sich im Laufe der Zeit erwirbt.
Abgesehen von diesem unmittelbaren Mitdenken: Woran denken Sie, wenn Sie etwa den Ring dirigieren? An das Kompositorisch-Analytische wie etwa Leitmotive und deren Verwendung, an die Sänger, an das, was in den Proben besprochen wurde?
Adam Fischer: Zunächst einmal denke ich beim Ring an den Ring. (lacht) Wahrscheinlich ist es so, dass ich mich bei einer Vorstellung auf meine Aufgaben während der Vorstellung konzentriere. Das heißt: Manche Dinge, die wir in der Probenarbeit besprochen haben – wie etwa ein Wort auszusprechen ist oder mit welchem Ausdruck – interessieren mich weniger, weil ich sie in diesem Augenblick nicht mehr beeinflussen kann. Ich denke also eher an die technischen Aufgaben. Zum Beispiel, an welchen Stellen man aufpassen muss, damit das Orchester nicht zu laut wird. Und ich denke natürlich an die Interpretation. Es kommen einem auch ganz unwillkürlich Gedanken beziehungsweise entwickeln sich Gefühle: Bei der Todesverkündigung in der
Walküre bekomme ich jedesmal eine Gänsehaut.
Ist so eine spontane Gefühlsanwandlung als Dirigent etwas Begrüßenswertes?
Adam Fischer: Begrüßenswert oder nicht – ich kann es nicht ändern. Natürlich ist es nicht meine Aufgabe, eine solche Gänsehaut zu bekommen, sondern eine beim Zuhörer zu erzeugen. Ich werde ja nicht für meine Gänsehaut bezahlt, sondern dafür, dass die Tuben gemeinsam einsetzen. Aber was soll ich tun?
Was uns zu der beliebten Frage bringt: Im Augenblick des Dirigierens: Kopf oder Bauch? Intellekt oder Gefühlsüberschwang?
Adam Fischer: Ich würde sagen: Soviel Bauch wie möglich, aber nicht mehr. Der Bauch darf den Kopf nicht gefährden. Es ist im Dirigentengraben immer ein Luxus auf den Bauch hören zu können, wenn auch ein schöner Luxus. Ich kann mir das manchmal – hier – erlauben.
Hier: Bedeutet das, dass man sich mit dem Staatsopernorchester mehr erlauben darf?
Adam Fischer: Das Staatsopernorchester blickt auf eine große Tradition an Opernaufführungen zurück und hier, also in diesem Haus, ist eine Opernaufführung dadurch einfach sicherer. Wobei
es eigentlich nicht immer um ein Haus oder ein Orchester geht, denn es gibt grundsätzlich mehr und weniger sichere Abende.
Weniger sicher sind Aufführungen mit Einspringern?
Adam Fischer: Sicherlich auch, zumindest bei Einspringern, die eine Produktion nicht so gut kennen beziehungsweise, wenn man keine Zeit mehr zum Proben hatte. Da hat man als Dirigent ganz andere Aufgaben als auf den Bauch zu hören…
Der Ring dauert an die 16 Stunden. Liegt eine der Herausforderungen schon in der reinen Bewältigung dieser großen Dimension?
Adam Fischer: Nein, ich glaube, es geht nicht um die Länge. Es gibt Aufgaben, die kurz und dennoch schwerer sind als die großen Stücke. Wenn eine Oper so lang ist, muss man ganz Menschliches beachten: Man sollte vor dem Rheingold auf die Toilette gehen.
Teilen Sie sich einen so langen Abend im Kopf ein?
Adam Fischer: Nein, das kann ich leider nicht. Ich kann nicht bewusst weniger konzentrieren und mir so meine Kräfte einteilen. Aber das ist ja auch nicht notwendig. Denn das Fantastische an Wagner ist ja, dass man geradezu Kräfte auftanken kann. In Budapest machte ich den Ring in vier Tagen, und ich dachte mir, dass ich danach einfach tot sein werde. Aber siehe da: Die Musik ist so intensiv und fantastisch, dass man alle Kräfte, die man einbringt, auch wieder zurückbekommt. Nach der Götterdämmerung hätte ich gleich nochmal anfangen können – mit dem ganzen Ring!
Gibt es für den Dirigenten Passagen, die weniger Kraft brauchen? Also auch Momente des Ausruhens?
Adam Fischer: Ich weiß, Kollegen sprechen von solchen Momenten. Mir wurde zum Beispiel beigebracht, dass man als Dirigent im Rheingold eine Pause hat, und zwar nach Alberichs: „Zögert ihr noch, zaudert wohl gar“. Da hat Wagner eine Fermate geschrieben und man hat als Dirigent acht Sekunden Pause, um die Hand auszuschütteln. Ich bitte Alberich immer, die Fermate möglichst lange zu halten – damit ich eine neunte Sekunde habe. (lacht) Früher habe ich mir an dieser Stelle immer noch ein Stückchen Traubenzucker in den Mund geschoben.
Gönnt Wagner dem Orchester solche Traubenzuckerpausen?
Adam Fischer: Ja, und deutlich mehr als dem Dirigenten. Wenn man sich die Partitur anschaut, dann sieht man, dass er praktisch jeder Instrumentalgruppe eine größere Ausruhpause zugesteht. In der Todesverkündigung zum Beispiel den Geigern und so weiter. Ich glaube, er hat hier wirklich auch bewusst an Pausen gedacht. Nur beim Dirigenten leider seltener, also nur einige Male in 16 Stunden.
Wie bereiten Sie sich auf einen neuen Zyklus vom Ring, den sie so gut kennen, vor?
Adam Fischer: Ich kenne ihn gar nicht so gut. Der Ring des Nibelungen ist voller Rätsel. Ein ganzes Leben ist nicht genug, um diesen Rätseln auf die Spur zu kommen und ihn in all seinen Details kennen zu lernen. Aber rein technisch und praktisch kenne ich ihn gut, das stimmt.
Schauen Sie vor einem solchen Ring-Zyklus noch einmal in die Partitur?
Adam Fischer: Man sollte das auf alle Fälle machen! So zehn Tage vor der Aufführung bzw. vor Beginn der Proben. In der Praxis kann es allerdings so aussehen, dass man erst etwas knapper davor dazu kommt. Vor allem Rheingold und Siegfried brauchen Vorbereitung.
Was ist zum Beispiel im Siegfried das Schwierige?
Adam Fischer: Dass es nicht schwierig klingt beziehungsweise nicht schwierig klingen darf. Der 1. Akt hat viele Tempoänderungen, die sich für den, der das Stück gut kennt, eigentlich ganz organisch ergeben. Aber eben nur für den, der das Stück gut kennt. Wenn nicht dann … dann kann es heikel werden. Die Übergänge sind an sich nicht einfach. Auch die Begleitung des Schmiedeliedes: Es ist für den Siegfried schwer zu singen. Wenn ich nun merke, dass der Atem des Sängers knapp wird, kann ich nicht, wie oben angesprochen, einfach spontan das Tempo erhöhen, weil ich sonst z.B. die Hörner, die hier auch gefordert sind, durcheinanderbringe. Ich muss also in der Situation entscheiden: Belaste ich den Sänger mehr und gehe das Risiko ein, dass er am Ende des Abends nicht mehr genug Kraft für die ausgeruhte Brünnhilde hat, oder riskiere ich Unklarheiten im Orchester.
Schätzen Sie einen der vier Teile des Rings besonders?
Adam Fischer: Ich würde sagen, dass es sich eher um Lieblingsstellen handelt. Aber das ist ja auch ungerecht, das würde bedeuten, dass andere nicht so schön sind.
Seien wir ungerecht: Um welche Stellen handelt es sich?
Adam Fischer: Wie schon gesagt: Todesverkündigung. Oder Waldweben. Das kann fantastisch sein! Trauermarsch. Der gesamte Ring ist voller fantastischer Stellen.
Dirigieren Sie den Ring auswendig?
Adam Fischer: Ich könnte es nicht und ich will es nicht. Ich bin vom Auswendig-Dirigieren ein wenig abkommen. Natürlich hat es Vorteile, ich kann, wenn ich auswendig dirigiere, meine Augen besser benützen. Denn die Augen sind ja eigentlich nicht dafür da, in die Noten zu blicken, sondern Sänger oder Instrumentalisten anzuschauen. Es ist aber so, dass dieses Dirigieren mit den Augen ermüdet und man zwischendurch eine Pause braucht. Ein Beispiel aus einem anderen Lebensbereich: Ich habe gelesen, dass die großen Schachmeister sich beim Spielen jeden Zug aufschreiben, obwohl sie ohnehin alles im Kopf haben. Sie machen das, um das Gehirn kurz auszurasten. Genauso ist es bei mir und den Noten: Ich muss manchmal in die Noten schauen, einfach, um mich auszuruhen.
Macht ein Auswendig-Dirigieren freier?
Adam Fischer: Wenn man es richtig anwendet, dann ja. Wenn nicht und man es nur aus Eitelkeit macht, ist es einfach ein Verbrechen. Das habe ich am Anfang als junger Dirigent natürlich auch gemacht ...
Was bringt ein schneller Blick in die Partitur? Wieviel können Sie in einem Augenblick erfassen?
Adam Fischer: Ich kenne die Partitur gut und ein Blick auf den einzelnen Takt bringt mir den Rest in Erinnerung. Wenn ich zum Beispiel die Noten der Tuba sehe, weiß ich automatisch, was die Geigen spielen oder das Piccolo macht. Es ist also einfach eine Gedächtnisstütze.
Oliver Láng