Unser Ensemble: Svetlina Stoyanova im Porträt
Viele von uns kennen den Traum: Man kommt in die Oper, der Studienleiter schießt auf einen zu und schon steht man auf dem Podium. Der Dirigent gibt den Einsatz – und man muss, als Nicht-Sänger, singen. Panik. Vorhang! Wie aber steht es mit Sängern, die tagtäglich auf der Bühne agieren? Kennt etwa das junge Ensemblemitglied Svetlina Stoyanova diese Sorte von Träumen? „Nein“, lacht sie. „So etwas habe ich noch nie geträumt. Zweimal kam die Oper vor, da hatte ich einen Zu-spät-komm-Traum, was für mich ungewöhnlich ist, da ich nie zu spät komme. Aber sonst… nein.“ Von Drachen träumt sie und vom Fliegen, erzählt sie später, und ganz bewusst hört sie vor dem Schlafengehen keine Opernarien. „Sonst hab ich ja die ganze Zeit die Koloraturen der Cenerentola im Ohr“. Und Oper, das weiß man, hat sie ohnedies genug im Ohr. 22 Partien stehen heuer auf ihrem Staatsopern-Plan, die sie lernt, covert und zum Teil singt. Schon wieder lacht sie: „ Ja, an der Wiener Staatsoper lernt man die ganze Zeit! Aber das ist auch gut so, abgesehen davon hat man hier fantastische Repetitoren, die einem wirklich zur Seite stehen.“
Das Lernen: Das macht sie freilich nicht nur in den Solo-Korrepetitionsstunden, daheim und auf der Probe, sondern immer, wenn sie das Haus betritt. Durchs Zuhören, durchs Zuschauen. „Auch wenn ich niemals jemanden anderen kopieren würde.“ Vor allem aber natürlich: durchs Machen. „Wenn man in einer Neuproduktion sechs Wochen Zeit hat, dann ist das großartig, weil man immer tiefer in einen Charakter eindringen kann und immer neue Schichten findet. Wenn ich aber im Repertoirebetrieb weniger Zeit habe, dann sauge ich alles, was rund um mich geschieht, wie ein Schwamm auf. Bis ich ganz voll bin. Das ist auch ungemein spannend.“ Wobei es Stoyanova vor allem darauf ankommt, sich den Charakter einer Figur anzueignen und dann im Sinne dieses Charakters zu agieren. „Mein Debüt hier am Haus gab ich mit der Dryade in Ariadne auf Naxos. Das war aufregend, ich war auch auf das Spielen sehr konzentriert: Wann muss ich nach vorne gehen, wann nach hinten? Aber das löst sich schnell und man macht, was der Charakter von einem verlangt. Und wenn einmal etwas nicht hundertprozentig stimmt, ist es auch kein Weltuntergang. Solange das, was man auf die Bühne stellt, eine glaubwürdige Figur ist. Besser jedenfalls“, fügt sie hinzu, „als wenn man nur noch darüber nachdenkt, ob man den rechten oder linken Arm heben soll. Das macht das ganze Spielen nämlich unglaubwürdig.“
Einen Charakter mit Leben erfüllen, das bereitet ihr besondere Freude. Vor allem auch, wenn sie unterschiedliche Spielarten ausprobieren darf. „In einer Nozze di Figaro-Produktion musste ich den Cherubino eher schüchtern, unsicher anlegen, in einer anderen war er ein kleiner Don Giovanni, der wusste, wo’s lang geht. Das ist schön, wenn man so verschiedene Facetten derselben Person erforschen kann“, freut sie sich.
Der eigentliche Antrieb zu ihrem Leben als Opernsängerin entspringt zwei Quellen. Einerseits der Freude am Singen und Spielen an sich, der Tatsache, dass Gesang Hobby und Beruf gleichermaßen ist. Andererseits geht es ihr auch darum, Menschen ein paar schöne und aufregende Stunden zu bereiten. „Im Studium an der Universität in Schottland war mein erstes Hauptfach eigentlich Psychologie, ich komme nämlich aus einer Familie, die aus lauter musikinteressierten Wissenschaftlern, aber nicht professionellen Musikern besteht. Was macht man als Psychotherapeut? Man hilft Menschen durch Zuhören, durch Reden, durch Analyse. Als Sängerin möchte ich Menschen ebenso helfen, ich möchte sie von ihren Alltag, der schwer genug sein kann, ablenken, möchte sie in eine andere Welt entführen und glücklich machen. Und ich versuche bei jedem Auftritt, die Gefühle, die ich auf der Bühne auslebe, mit anderen zu teilen.“ Wobei es ihr dann doch auch selber Freude bereitet, das Glück des applaudierenden Publikums zu spüren. Um aber die eben aufgegangene biografische Lücke – wie jemand aus einer Wissenschaftler-Familie seinen Weg zur Oper findet – zu schließen: Ab dem Alter von vier Jahren stand sie auf der Bühne, neun Jahre lang sang Stoyanova im Kinderchor des staatlichen bulgarischen Rundfunks, entdeckte ihre Liebe zur Musik also früh. Vor allem auch, da ihre Großmutter sie in Opern- und Ballettaufführungen mitnahm, die das Kind enorm beeindruckten. „An einen Beruf dachte ich damals aber noch nicht!“, winkt sie ab.„Mir gefiel die Musik, vor allem aber imponierten mir der Dirigent und die Kostüme.“ In Schottland studierte sie später Psychologie und Musikwissenschaft, fand Zweiteres aber sehr theoretisch und wandte sich ans dortige Konservatorium. „Ich erkundigte mich, ob es nicht einen kleinen Chor gäbe, in dem ich mitmachen könnte.“ Eins führte zum Anderen, man nahm sie (es war Mitten im Semester!) sofort auf – und Stoyanova lernte die Welt der Musik professionell kennen. Zuvor aber schloss sie mit ihrer Mutter eine Vereinbarung: Sollte es mit der Musik bis Ende 20 nicht klappen, würde sie sich einem weniger künstlerischen Beruf zuwenden, Wirtschaft oder eben Wissenschaft. Nun, soweit kam es nicht. Rasch reüssierte sie im Studium, fuhr bald zum Neue Stimmen-Wettbewerb („ich wollte es nur ausprobieren, wie ein großer Wettbewerb so abläuft“) und gewann ihn – obwohl sie erkältet war. „Danach ging es sehr schnell“, erzählt die Mezzosopranistin im Rückblick. „Dominique Meyer lud mich zu einem Vorsingen ein und schon hatte ich einen Vertrag unterschrieben. Das ist das pure Glück! Abgesehen davon habe ich mich sofort in die Stadt Wien verliebt!“
Fragt man sie nach einem Masterplan für die kommenden Jahre, lacht sie fröhlich. „Vor anderthalb Jahren bestand der Plan darin, zukünftig irgendwann einmal, wenn alles gut geht, an der Wiener Staatsoper zu singen. Jetzt bin ich hier Ensemblemitglied… So ist es eben mit Plänen! Aber natürlich denke ich mir: die großen Häuser will ich erleben.
Und Salzburg wäre zum Beispiel schön. Doch einen Zeitplan, wann was kommen ,muss‘, den habe ich nicht. Nicht einmal in puncto Partien, ich möchte natürlich Mozart, Händel, Rossini, Sesto, Ariodante und Cenerentola singen wie auch die Rosina, die ich bei den Bregenzer Festspielen gestaltet habe, bald wiederholen. Aber einen exakten Kalender für all das – den mache ich mir nicht. Schließlich“, lacht sie, „habe ich hier ja ohnedies immer genug zu tun!“
Oliver Láng
Die Walküre | Richard Wagner
12. Jänner
La cenerentola | Gioachino Rossini
28., 31. Jänner