Unser Ensemble: Rosie Aldridge im Porträt
Dass sie Sängerin wird, war von Anfang an klar. Zumindest ihrer Mutter, die bereits dem knapp 18 Monate alten Säugling bei seinen ersten Gesangstönen lauschen durfte. Sängerin also, das zeigte sich auch in der Kindheit und Jugend, in der Rosie Aldridge zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit, zu jeder möglichen Gelegenheit ihr Talent ausprobierte. Und auch später, in der Teenagerzeit, steuerte sie diesen Beruf direkt an – wenn vielleicht auch nicht den Beruf der Opern-Sängerin. „Als mir meine Gesangslehrerin – ich war 16 – mitteilte, dass meine Stimme eher für die Oper als für ein anderes Genre geeignet wäre, weil sie so groß und kräftig sei, war ich entsetzt. Oper? Auf keinen Fall! Ich kannte ja nur diese Klischees der großen Sängerinnen, die Wagner schmettern“, lacht Aldridge heute. Doch das Klischee wurde schnell korrigiert und die entsprechende Studien-Laufbahn eingeschlagen. So absolvierte sie die Benjamin Britten International Opera School am Royal College of Music und war Jerwood Young Artist beim Glyndebourne Festival. Erste Auftritte führten die Sängerin zunächst nach Glyndebourne, dann an die English National Opera, das Royal Opera House Covent Garden, an die Scottish Opera und zum London Handel Festival, wie auch nach Madrid. In dieser Zeit, so erzählt Aldridge, habe sie sich ihr Handwerk erworben. „Man muss, wenn man mit dem Studium fertig ist, zum Beispiel lernen, wie man sich in der Praxis eine Rolle aneignet, so dass man von den Zehen bis zum Kopf ganz in ihr aufgeht. Man muss lernen, wie man mit Dirigenten arbeitet, wie man mit Kollegen zusammenwirkt, wie man in der Gruppe Oper macht. Oder auch, wie man mit eigenen Fehlern und jenen der anderen umgeht, was man macht, wenn während einer Vorstellung etwas Unvorhergesehenes passiert.“ Das Wichtigste für sie war aber die Zusammenarbeit mit einer Reihe von besonders spannenden Regisseuren. „Schauspiel und Singen gehören meines Erachtens nach zusammen“, erläutert Aldridge, „das Darstellen eines Charakters, eines interessanten Charakters, finde ich etwas unglaublich Wichtiges und auch Erfüllendes.“ Was aber macht sie, wenn die darzustellende Rolle gar keinen so spannenden Charakter hat? „Dann“, so Aldridge, „besteht die Herausforderung darin, sich zu überlegen, wie man die Figur interessant machen könnte. Diese Auseinandersetzung empfinde ich als ungemein befriedigend …“ Ob sie von den Charakteren etwas für ihr persönliches Leben lernen kann? „Es wäre vielleicht zu viel verlangt, von jeder Rolle gleich etwas für sich und über sein Leben lernen zu wollen“, schränkt die Sängerin ein. „Manchmal nehme ich nur eine Situation oder einen Umstand mit. Zum Beispiel: Die Teresa in La sonnambula ist eher statisch, bewegt sich wenig und beobachtet viel. Das entspricht nun gar nicht meinem Charakter: ich bin eher jemand, der sehr aktiv ist, nicht ruhig sitzt. Aber das Gegenteil auszuprobieren und einmal zu erleben – das ist für mich persönlich eine gute Erfahrung gewesen.“ Dass sie nach den Vorstellungen das Erlebte selbstkritisch analysiert und hinterfragt, versucht sie sich abzugewöhnen hundert Prozent zufrieden ist man mit sich nie. Aber ältere und weise Kollegen haben mir versichert, dass es klüger ist, es nicht zu machen. Denn man schwächt sich nur selbst und büßt Kraft ein, die man anders verwenden könnte.“ Ebenso lässt sie lieber die Finger von allerlei Theateraberglauben, der in Opernhäusern ja Tradition hat. „Ob man das hohe C wirklich besser erwischt, nur weil man die Klinke der Garderobe dreimal angefasst hat, bezweifle ich. Es ist eher eine Kopfsache.“ Wobei – eine Kleinigkeit gestattet sie sich: keinen Aberglauben, sondern eine Gewohnheit. „Vor jedem Auftritt werfe ich einen abschließenden Blick in meinen Klavierauszug, auch wenn ich ohnehin alles im Kopf habe.“ Diese Gewohnheit allerdings könnte auch einen anderen Grund haben: Denn diese Klavierauszüge sind mehr als nur Papier mit Noten, sie sind „kleine Kunstwerke“, übersäht mit Symbolen, Eintragungen, Notizen. „Ich schreibe alles hinein, was für mich wichtig ist: musikalische Hinweise, Szenisches, einfach alles. Und dementsprechend kunstvoll und beeindruckend sehen sie auch aus“, lacht Aldridge. Dass es so viele Eintragungen gibt, liegt auch daran, dass sie eine besondere Liebe zum intensiven Proben und Einstudieren hat. „Ich habe viele zeitgenössische Werke wie auch Musik aus dem 20. Jahrhundert gesungen, da gehören ausführliche Proben dazu. Ein Luxus! Ich liebe diese Zeit, in der man sich eine Rolle erwirbt, einen Charakter zu eigen macht, an Eigenschaften feilt und so eine echte Figur zum Leben erweckt. Abgesehen davon schätze ich die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen – für mich ist Oper immer eine Team-Sache, keine Einzelunternehmen.“ Passend zu diesem Team-Denken ist auch, dass Aldridge niemals eine Primadonna werden wollte, sondern immer ein besonderes Interesse an Charakterrollen hatte. Doch ist – bei aller Hingabe – die Probenzeit noch nicht das Schönste am Beruf. Denn dieses ist jener Moment, in dem sie die Bühne betreten und bereits ein paar Noten gesungen hat. Und ganz in die Welt der Oper und der Musik eintaucht. Denn: „Ganz egal, welche Rolle ich gestalte: In Wahrheit will ich einfach nur singen, auf einer Bühne stehen und singen!“
Oliver Láng