Unser Ensemble: Maria Nazarova im Porträt
Es gab eine Woche im Leben von Maria Nazarova, in der sich für sie gewissermaßen der Himmel öffnete. Zuerst freilich war Hochspannung angesagt: Ein Vorsingen auf der Bühne der Wiener Staatsoper und eines auf der Bühne des Moskauer Bolschoi-Theaters. „Ich stand im letzten Semester meiner Gesangsausbildung am Wiener Konservatorium in der Johannesgasse und wusste, dass jetzt eine Entscheidung anstand“ erinnert sich die Sopranistin. „Sollte ich in Österreich bleiben oder zurück in meine Heimat Russland gehen? Dann kam das Vorsingen hier in der Staatsoper, von dem ich mir nichts Großes erhoffte, immerhin genoss ich es auf dieser Bühne stehen zu dürfen.“ Ein paar Tage später dann doch das „Große“, das „Unerwartete“ und zwar in Form eines Mails der Betriebsdirektorin, in dem ihr die Zusage gemacht wurde, als Novomatic-Stipendiatin eine Saison im Haus am Ring wirken zu dürfen. In derselben Woche folgte auch noch die Zusage, für eine Despina am Bolschoi. Geballt es Glück in kürzester Zeit also. Für einen hochemotionalen Menschen wie Maria Nazarova gab es daher zunächst nur eine Möglichkeit der Reaktion: „Ich habe vor Freude geweint!“ Verständlich, denn mit einem Mal stand sie an einem Ziel ihrer Wünsche, einem lang ersehnten und stets angepeilten Ziel. Seit sie nämlich denken kann gab es bezüglich der Berufung für Nazarova keinerlei Zweifel: Singen und zwar als klassische Sängerin auf der Opernbühne und im Konzertsaal, etwas anderes kam für sie nicht in Frage. Und dies war nun Realität geworden! Selbst als einer der Lehrer hinsichtlich des Erreichens dieses Zieles ein Fragezeichen laut werden ließ und eine Periode der Unsicherheit bezüglich des „Wie“ einläutete, ließ Nazarova nicht locker. „Ich will das schaffen und werde das schaffen“, wurde ihr Leitsatz. Also perfektionierte sie ihre Gesangstechnik und absolvierte zusätzlich noch ein Schauspielstudium, um das Publikum mit einem „Gesamtpaket“ an Bühnenkunst überzeugen zu können. Dass sie es geschafft hat, konnte sie, mittlerweile fix im Ensemble der Wiener Staatsoper, auch auf dieser Bühne unter Beweisstellen. Zum Beispiel als Despina. Natürlich und ungezwungen, quirlte sie auf der Bühne herum, mit einer Präsenz, um die sie wohl so mancher älterer Kollege beneidete – in Kombination mit der souveränen Technik und ihrem angenehmen Timbre stand für viele an diesem Abend im Februar 2016 fest, dass sich hier eine große Zukunft angekündigt hatte.
Nichtsdestotrotz erarbeitet sie nach wie vor jede neue Partie mit ihrer Lehrerin, wobei sich Maria Nazarova, wie sie lachend anmerkt, heraus nimmt ein bisschen „ihre eigene Dramaturgin und Regisseurin“ zu sein. Die kreative Arbeit vergleicht sie mit dem eines Malers oder Bildhauers: Auf der einen Seite stünde sie als Künstlerin und auf der anderen Seite ihr vokales und schauspielerisches Material, das sie auf der Bühne zur Rollen gestaltung benützt, aus dem sie den darzustellenden Charakter vor dem Publikum herausmodelliert.
Was ihr persönliches Repertoire betrifft, so fährt sie „zweigleisig“: Neue Partien werden mit der selben Freude „angeeignet“ wie bereits gesungene auf neue Facetten untersucht. „Eine Rolle liegen lassen und dann mit der in der Zwischenzeit erworbenen Erfahrung angereichert, mit neuen Farben versehen, wieder auf der Bühne zu singen ist ebenso aufregend und schön wie ein Rollendebüt“, schwärmt Nazarova, um noch hinzuzufügen: „Deshalb wird mein Beruf auch niemals langweilig!“
Derzeit arbeitet sie übrigens an einer der schwersten Rollen für eine Sopranistin: an der Zerbinetta. Darüber hinaus möchte sie ihr Spektrum um Frauengestalten erweitern, die nicht automatisch ihrem frech-lustigen, draufgängerischen Typ gleichen. „Ich will neue Seiten in mir entdecken und ruhigere, tiefgründige Charaktere singen, wie eine Ophélie in Thomas’ Hamlet, eine Gilda oder die Amina in der Sonnambula. Apropos Sonnambula: Im Jänner verkörpert sie an der Wiener Staatsoper zwar noch nicht die Amina, aber immerhin die wichtige und letztlich unglückliche Nebenbuhlerin Lisa – auch sie schon „eine dramatisch gebrochene, eifersüchtige Person, die sich in der Handlung verändert und durch die Geschichte dazulernt“.
Ihre Klavierauszüge dürften auf Außenstehende, selbst auf Musiker, wie unentzifferbare Hieroglyphen wirken. Nicht wegen den Noten darin, sondern wegen der vielen zusätzlichen farbenfrohen Eintragungen Maria Nazarovas, die in Proben und Aufführungen gewonnene Hinweise versinnbildlichen, wie dynamische, agogische und szenische Informationen, Übersetzungen oder Aussprachekorrekturen. Zu letzteren sei noch angemerkt: für das Deutsche benötigt sie wohl keine Korrekturen mehr, denn nach nur wenigen Studienjahren in Österreich beherrscht sie diese Sprache fließend und nahezu akzentfrei. Dennoch arbeitet sie auch in diese Richtung weiter, da sie „ein gut genug“ nicht gelten lässt. Schließlich könne man sich „stets verbessern und weiterentwickeln und gerade daraus viel Spaß, Energie und Freude schöpfen.“
Abschließend sei noch ihre Antwort wiedergegeben, die sie auf die Frage nach dem schönsten Aspekt ihres Berufes gab: „Es geht um diese Welt, die sich für einen Sänger öffnet“, so Nazarova, „um diese Verbindung von Musik, Zuschauer, Komponist und dem Göttlichen, diese uns erhebende Magie, die für einige Sekunden existiert und in derselben Form einzigartig ist.“
Andreas Láng
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