© Paer Fridberg

...und dann hat es Ping gemacht!

Ihr internationaler Durchbruch gelang mit der Partie der Lulu: Vor rund zehn Jahren gestaltete Agneta Eichenholz die Rolle am Londoner Royal Opera House Covent Garden – und wurde euphorisch gefeiert. An der Wiener Staatsoper wird die schwedische Sängerin mit ebendieser Partie nun ihr Hausdebüt geben. Inmitten der Probenphase fand sie Zeit für ein Gespräch über ihre Laufbahn, die Verwundbarkeit in der Probensituation und Mozart als Einsingübung.

In einem Nebenraum der Probebühne im Arsenal erscheint die Sängerin zum Interview: Im Jogging-Anzug, denn gleich nach dem Gespräch will sie – trotz nieselndem Novemberwetter – laufen gehen: Gerade nach langen Probentagen sei ein solcher Ausgleich eine Notwendigkeit. Vor allem, da das Proben eine fordernde Angelegenheit ist: „Man ist verwundbar, ja förmlich nackt, muss sein Inneres freilegen, sich an eine Figur herantasten.“ Vorstellungen seinen ihr, meint Eichenholz, da lieber. Aber natürlich, schmunzelt sie, „keine Vorstellung ohne vorhergehende Proben ...“ Ja, der Sport, erzählt sie später, hätte in ihrem Leben anfangs eine Hauptrolle gespielt. Denn im Gegensatz zu vielen Kolleginnen komme sie nicht aus einer musikalischen Familie. „Ich konzentrierte mich stark auf den Sport, war während der Schulzeit aber in einem Chor. Eines Tages fragte mich eine Lehrerin, ob ich nicht ein Solo singen wolle – und ich machte es, ohne mir dabei viel zu denken.“ Sängerin als früher Berufswunsch? Sie lacht: „Ich wusste ja nicht einmal, dass das ein echter Beruf ist, von dem man auch leben kann.“ Mehr aus Neugierde versuchte es Eichenholz mit einem Vorsingen und wurde, entgegen ihren Erwartungen, vom Fleck weg engagiert. Zumindest überraschend, bedenkt man doch, dass sie bis dahin nur wenig Gesangsunterricht erhalten hatte und sich auch gesanglich eher für Popmusik interessierte. Jedenfalls: Eichenholz kam ins Theaterensemble, nahm Gesangsstunden und schnupperte mehr und mehr ins klassische Fach hinein. Es folgte endlich das Konservatorium in Stockholm, ebendort die Opernschule und der Eintritt in einen Opernchor, bis sie schließlich an der Stockholmer Volksoper landete. Debütrolle: die Titelpartie in La traviata. „Das war die echte Schule“, resümiert Eichenholz heute, „im ersten Jahr sang ich alleine die Violetta 40mal, dazu Gilda, Fiordiligi und viel anderes.“ Ganz glücklich war sie jedoch mit ihrem Sängerleben noch nicht – bis sie (wieder mehr durch Zufall als durch Planung) in eine Meisterklasse von Barbara Bonney geriet. „Nur zwei Minuten mit ihr, und es hat ,Ping‘ gemacht! Viele technische Dinge, die mir andere Gesangslehrer nur abstrakt erklären konnten, brachte sie ganz klar auf den Punkt.“ Also nahm sich Eichenholz weitere Stunden – und trifft Bonney bei wichtigen Rolleneinstudierungen bis heute. Eine zweite schicksalshafte Begegnung ereignete sich in dieser Zeit: Die Sängerin begegnete dem Regisseur Christof Loy, mit dem sie nur ein Jahr darauf die Lulu in London erarbeitete und – siehe oben – zur Weltkarriere ansetzte. Dass ihr Ausbildungsweg außergewöhnlich und ungemein praxislastig war, sieht man alleine schon an einem Detail: Singt sich die Sopranistin ein, so greift sie weniger auf die herkömmlichen Phrasen und üblichen auf- und niedersteigenden Vokalisen zurück, sondern nimmt sich einzelne Mozart-Arien vor: „Manche eignen sich ja perfekt dafür“, lacht Eichenholz. „Vor einer Lulu singe ich etwa eine Konstanze, die geht in die Höhe und ich sehe gleich, wie es heute um meine Stimme steht.“ Was aber, wenn es an einem Übeoder Probentag nicht gut um die Stimme steht? „Dann versuche ich nach Möglichkeit gar nicht zu singen. Denn das Muskelgedächtnis merkt sich ohne Unterschied das Gute wie das Schlechte – und bevor etwas Falsches gespeichert wird, übe ich lieber gar nicht!“

Von der Figur der Lulu ist Eichenholz fasziniert: „Ein so vielseitiger Charakter: Sie ist intelligent, macht aber so unvorstellbar dumme Dinge. Sie ist stark, aber auch ungemein verletzlich. Sie ist Opfer, aber hat auch etwas Zerstörerisches.“ Dass sie jedoch der eigentliche Antrieb der Opernhandlung ist, bestreitet sie: „In Wahrheit sind die Männer der Motor. Lulu selbst agiert weniger, als sie reagiert. Das aber brillant! Denn Lulu ist sensibel und fühlt, was sie bei einem Mann anwenden muss, um ans Ziel zu kommen. Sie ist geradezu manipulativ! Gleichzeitig ist all das nur ein Weg, um zu überleben. Lulu lernt, dass sie sein muss wie sie ist, um nicht auf der Strecke zu bleiben.“ Wobei, so konkretisiert Eichenholz, man schwer von nur einer Lulu sprechen kann. Schließlich lägen zwischen dem ersten Akt und dem dritten Akt viele Jahre: „Das wird praktisch eine andere Figur!“ Spannend sind die Verknüpfungen, die sie zu anderen Opern-Charakteren findet: zur Gilda, die sie mit der jungen Lulu in Verbindung bringt oder zur Violetta. „Man findet immer wieder Parallelen und ähnliche Beziehungsmuster...“ Jedenfalls: „Ein weites Feld zum Nachdenken!“ Spricht sie und macht sich ans Laufen.


Lulu | Alban Berg
Premiere: 3. Dezember 2017
Reprisen: 6., 9., 12., 15. Dezember 2017
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