TRAVIATA, GANZ IN DER GEGENWART
Man nennt sie trilogia popolare, die drei besonders beliebten und publikumswirksamen Opern Giuseppe Verdis, die er Anfang der 1850er-Jahre schrieb: Rigoletto, La traviata und Il trovatore. Und unter diesen dreien hat La traviata noch einmal einen Sonderstatus in puncto Popularität. Was der Gefangenenchor in Nabucco und »La donna è mobile« in Rigoletto, das ist Traviata als Gesamtwerk. Basierend auf dem skandalumwitterten Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas (dem Jüngeren) wird in La traviata die Geschichte der tuberkulosekranken Kurtisane Violetta erzählt, die in Alfredo ihre Liebe findet, aber dem gesellschaftlichen Dünkel seines Vaters nachgibt und sich von ihm trennt. Erst in der Stunde ihres Todes finden Alfredo und Violetta wieder zusammen. – Zu spät freilich.
In seiner mit riesigen Videowänden und den heutigen sozialen Medien spektakulär jonglierenden Inszenierung verlegt Simon Stone diese Geschichte ins Heute. Violetta, das ist ein Pariser It-Girl, eine Influencerin, die in der Instagram-Blase gefangen bleibt und deren Leben der virtuellen Präsentations- und Schaugier ausgeliefert ist. Einsam im Öffentlichen ist sie – und eine Außenseiterin. Stone: »Man kann sagen, dass es heute keine aristokratische Schicht und kein Klassenproblem mehr gibt. Aber in Städten wie Paris und Wien gibt es dennoch einen zweiten Rang der Gesellschaft: die Migranten. Sie können noch so sehr versuchen, Teil der Gesell- schaft zu werden, sie werden immer etwas >Exotisches< bleiben. Und wenn Violetta jemanden von der elitären Gesellschaft heiraten will: das geht nicht!«
Gesungen wird die Titelpartie von Pretty Yende, die mit ihrer Violetta-Interpretation – und ihrer Lebensgeschichte – ein Kapitel Operngeschichte schrieb. Aufgewachsen in einer kleinen Stadt in Südafrika hörte sie als Teenager in einer British Airways-Werbung das Blumenduett aus Lakmé, verliebte sich augenblicklich in die Oper und durchlebte einen Traum: Sie studierte Gesang, ge- wann Wettbewerbe (wie in Wien den Belvedere- Bewerb) und startete zur Weltkarriere durch: New York, Mailand, London, Paris. Und Wien – wo sie im Herbst als Adina im Liebestrank mit brillantem Erfolg debütierte. Als Alfredo ist Juan Diego Flórez zu erleben: Er springt kurzfristig für Frédéric Antoun ein, der aufgrund der Covid-Beschränkun- gen die Reise nach Europa nicht antreten konnte. Für Flórez ist es nicht nur seine erste Wiener Traviata-Premiere, sondern – nach 125 Abenden im Haus am Ring! – überhaupt sein erster Staatsopern-Alfredo. Als Giorgio Germont gibt es mit Igor Golovatenko, der zuletzt den großartigen Posa im französischen Don Carlos sang, ein Wiedersehen. Und ein echtes Hausdebüt feiert der italienische Dirigent Giacomo Sagripanti, dessen steile Karrierekurve in den letzten Jahren nach Paris, München, Moskau, St. Petersburg, Dresden und Venedig führte.