Szenenbild Tosca

TOSCA - DIVA, GELIEBTE, MÖRDERIN

Das Panorama von Puccinis Frauengestalten erstreckt sich von der femme fragile über die bedingungslos Liebende, die Lieblose, die Lasterhafte, die Kämpferin und das Opfer bis zur aktiven, auch dämonisierten femme fatale. In Le villi stirbt Anna aus Gram über den treulosen Bräutigam. In Edgar ersticht Tigrana ihre Rivalin Fidelia. Manon Lescaut betrügt aus Lebens- und Luxusgier ihren Geliebten Des Grieux. In La bohème stirbt Mimì in Rodolfos Armen, der sie für ein besseres Leben zu einem reichen Galan schickte; Musettas Affäre mit Alcindoros Reichtum endet mit ihrer Rückkehr zu Marcello. Madama Butterfly träumt von einem Leben in Amerika, schlägt, verlassen, eine neue Ehe mit Fürst Yamadori aus und begeht angesichts von Pinkertons Untreue Seppuku. Die fanciulla del West Minnie bemuttert die Goldgräber, spielt Karten mit dem Sheriff Rance um Johnsons Leben und rettet den Geliebten vom Galgen. In La rondine verlässt Magda Ruggero um dessen Familienehre willen. Giorgettas Ehemann ersticht seine treulose Frau im Tabarro. Die ins Kloster abgeschobene Suor Angelica vergiftet sich aus Gram über den Tod ihres Kindes. Gianni Schicchis List beglückt Lauretta und Rinuccio mit dem Erbe des Toten. Turandot lässt alle Brautwerber töten, die ihre Rätsel nicht lösen können; als sie das Rätsel des siegreichen Calaf nicht lösen kann, lässt sie Liù foltern, die Selbstmord begeht, um Calaf zu retten; von seiner Hingabe bewegt, nennt die Prinzessin statt seines Namens »amor«.

In diesem Spektrum ist Tosca als femme forte der komplexeste Charakter. Sie wurde Cavaradossis Geliebte, obwohl für die Katholikin außereheliche Sexualität eine Sünde war. Ihre Liebe ist offen, leidenschaftlich und aufopferungsbereit. Ihre Zärtlichkeit wärmt den Gefangenen, als sie ihm die Befreiung ankündigt, ihn tröstet und ihrer beider Leben in Freiheit als Erfüllung ihrer Utopie von Glück visualisiert. Die den Gang der Handlung retardierende Scheinlösung des dramatischen Konflikts wird zur Illusionsblase, die den Verzweifelten dennoch mit Hoffnung erfüllt.

Toscas Eifersucht, die ihre intensive Leidenschaft betont, aber auch die Gefährdung ihres Status als lediger Geliebter durch eine adelige Rivalin, bricht aus beim Anblick von Cavaradossis Porträt der Marchesa Attavanti. Damit wird ihr als einziger Frauengestalt der Oper eine Antagonistin gegenübergestellt, wenn auch nur im – manipulierbaren – Gemälde. Frömmigkeit als Zeichen von echter Religiosität aber auch von weiblicher Unterwürfigkeit ist ein Klischee und Kontrast zu Sexualität und Libertinage. Tosca bringt Blumen für die Madonna, betet vor dem Heiligenbild, gibt sich aber auch Marios Kuss davor hin.

Als gefeierte Sängerin ist Tosca eine Künstlerin wie ihr geliebter Maler Cavaradossi. Während Sardou die Rolle für Sarah Bernhardt schrieb, war für Puccini wohl auch Giuseppina Strepponi als Verdis langjährige Geliebte präsent. Als Primadonna der römischen Oper singt Tosca in der Kantate zu Ehren und in Anwesenheit der Königin Maria Carolina von Neapel-Sizilien im Palazzo Farnese, wo Scarpia nach der Aufführung auf sie wartet. Toscas Status als Diva bedeutete für den Baron und Polizeichef eine Wertsteigerung als Objekt seiner Begierde. Als Opernstar im Dienst der Königin und als Katholikin steht Tosca politisch den Royalisten nahe, ohne selbst eine politische Position zu beziehen. Durch ihre Liebe zu einem engagierten Republikaner wird sie in den revolutionären Machtkampf zwischen Royalisten und Republikanern involviert. Die Kantate wird aufgeführt, als die Österreicher noch glauben, mit General Melas über Napoleon gesiegt zu haben. Aus dieser Siegesmeldung bezieht auch Scarpia seine Machtgewissheit. Toscas Idee, die Königin um Gnade für Cavaradossi zu bitten, weist er zynisch zurück. Mit Napoleons Sieg bei Marengo verlieren die Royalisten und damit auch ihr Polizeichef die Macht in Rom. Von da an kann Scarpia nur mehr auf Zeit seine Macht ausspielen, Cavaradossi im Tumult noch töten zu lassen. Durch den radikalen politischen Machtwechsel wird Toscas Tötung des tyrannischen Polizeichefs quasi zu seiner vorweggenommenen Verurteilung und Hinrichtung. Doch wie in Andrea Chénier, zu dem auch Giacosa das Libretto schrieb, werden die Liebenden die Revolution nicht überleben.

Mit dem »bigotten Satyr« Baron Scarpia, Sizilianer, Royalist, fanatischer Feind der Republikaner, gerät Tosca in die Fänge eines sadistischen Don Juan, der als Klischee eines »schwarzen Bösewichts« dem liebevollen Künstler und heroischen Freiheitskämpfer Cavaradossi entgegengesetzt ist. Scarpias Verlangen nach der schönen und erfolgreichen Sängerin ist Ausdruck seiner Machtgier. Um Toscas Eifersucht zu schüren und ihre Zuwendung zu erreichen, nutzt er den gefundenen Fächer der Marchesa Attavanti so wie Jago Desdemonas Taschentuch, um die Eifersüchtige ins Verderben zu stürzen. Da er für Tosca unattraktiv ist, Gewalt aber sein Begehren anheizt, lässt er Cavaradossi foltern, um mit seinen Schmerzensschreien ihre Hingabe zu erreichen. Diese Objektifizierung der Frau, in der physische Gewalt als Machtmittel eingesetzt wird, um ihre Bereitschaft zum Akt zu erzwingen, degradiert sie zu einer Erfüllungsgehilfin seiner sexuellen Befriedigung. Die Dramaturgie der Oper nutzt diese Erniedrigung und Demütigung, um die Fallhöhe der Heldin auszuloten und zum Tiefpunkt abzusenken. Die idealisierte Künstlerin und Liebende wird zum Sexobjekt depraviert.

Im Aufruhr ihres Entsetzens schleudert Tosca dem Erpresser ihren Hass und Abscheu entgegen, schwächt dadurch jedoch ihre Bitte um seine Gnade. Ihre Hoffnung auf die Hilfe der Königin zerstört der Machtmensch: Diese könnte nur mehr einen Leichnam begnadigen. In größter Not wendet sich Tosca verzweifelt an Gott mit der Frage, warum ihr, der Unschuldigen, solches Leid geschehe. Der Blick auf ihr Leben in »Vissi d’arte« retardiert als Preghiera den Gang der hochdramatischen Ereignisfolge. Tosca wird darin zur Bittflehenden, deren seit der Antike sakrosankte Forderung den Mächtigen eine moralische Pflicht zur Schonung auferlegte. Als Zeichen für Toscas Lebensethos und Religiosität bildet das Gebet in ihrem Lebensrückblick einen Kontrast zu Scarpias amoralischer Sex- und Machtgier. Ähnlich wie in Tigranas Verführung von Edgar und bei Massenet in Manons Verführung des Abbé Des Grieux spielt die Kontrastierung von Religion und sexuellem Verlangen an auf die extreme Zuspitzung, die Don Juan bei Elviras Entführung aus dem Kloster feiert als seinen Sieg über Gott.

In einer Situation, in der sie zum Opfer gemacht werden soll, verweigert Tosca die traditionelle Opferrolle der Frau, die eine Kapitulation vor der Übermacht des Mannes bedeutete. Die im erpresserischen Tauschhandel zur Ware verdinglichte Frau stellt Forderungen. Sie wird zur selbstbewussten Gegnerin ihres Erpressers. Sie beobachtet Scarpias Anweisung für eine Scheinhinrichtung Cavaradossis, kann aber den heimtückischen Betrug, die Erschießung »wie bei Palmieri« durchzuführen, nicht erkennen. Für ihre Flucht mit Cavaradossi fordert sie Passierscheine, die Scarpia in der Gewissheit ihrer Bedeutungslosigkeit auch ausstellt. Während er schreibt, sieht sie ein Messer auf seiner Tafel. Als er seinen »Lohn« fordert, ersticht sie ihn: »Das ist der Kuss der Tosca«.

Mord oder Totschlag? Vielleicht sogar aus Notwehr und in einem minder schweren Fall? Nur eines der justiziablen Mordmerkmale ist bei der Tat gegeben: Heimtücke, denn Scarpia versah sich beim Rendezvous mit Tosca keines Angriffs auf sein Leben. Aber musste der verhasste Polizeichef, der ungezählte Hinrichtungen zu verantworten hatte, nicht immer und überall mit Attentaten rechnen? Da Tosca ja nur unter Zwang den Handel um Cavaradossis Leben einging, war Scarpia klar, dass er sich ihrer nur mit einer Vergewaltigung bemächtigen konnte, zumal ihr Hass ihn ja noch mehr erregte als Liebesleidenschaft. Er wollte es genießen, ihr Gewalt anzutun. Tosca befreite sich aus seinem Zugriff, rettete sich vor ihrer Vergewaltigung. Im Sinne der gerade wieder an die Macht gekommenen Republikaner rettete Tosca auch einen Unschuldigen. Doch in Anbetracht der unsicheren, wechselvollen politischen Ereignisse konnte nur Scarpias Tod und eine rasche Flucht Cavaradossi vor erneuter Verhaftung bewahren. Frauen begehen im Vergleich zu Männern viel seltener Morde, und das überwiegend, um sich aus männlicher Dominanz zu lösen. Auch Toscas Tat ist eine Bestrafung eines Gewalttäters und eine Befreiung von einer Bedrohung. Beide Motive bestimmen schon die Tat des antiken Vorbilds: Kytaimnestra tötet Agamemnon für die Opferung ihrer Tochter Iphigenie, für seine zehn Jahre dauernde Abwesenheit und für die Zumutung, Kassandra als Nebenfrau zu dulden. Medea bestraft ihren treulosen Gatten mit der Ermordung seiner neuen Braut und seiner Kinder, so vereitelt sie seine Dynastiebildung.

Mord auf offener Bühne war lange ein Tabu. Unter den etwa 50 Opern, die Mörderinnen thematisieren, ist Tosca die erste, die den Mord einer Frau im offenen Tatvollzug zeigt. Starker Wille, Tatkraft und politisches Engagement galten bis ins 19. Jahrhundert als männliche Wesenzüge und dem »gottgewollten« Wesen der Frau fremd. Eine Selbstermächtigung von Frauen wurde an Protagonistinnen der Bühne negativ bewertet, vor allem, wenn sie egoistischen Zielen diente. Verdi wünschte sich für seine Lady Macbeth eine Stimme »hart, erstickt und dunkel, wie die eines Teufels«, eigentlich wollte er gar nicht »dass die Lady Macbeth überhaupt singt.« Das im Zuge des Verismo verstärkte Interesse am abgründig Dekadenten, das in Opernfiguren wie Salome und Elektra faszinierte, lehnte Puccini weitgehend ab – Turandot blieb unvollendet. Die Emanzipationsbewegung seiner Zeit spiegelte er in zunehmend individualisierten, starken Frauengestalten, die in der Folge von Wagners Heroinen auch selbstbewusst, eigenverantwortlich und kraftvoll handeln. Die theatrale Dramaturgie verlangt jedoch starke Kontraste zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, um die Katharsis des Publikums zu steuern.

Puccini plante, dass Tosca nach Cavaradossis Tod in Wahnsinn verfällt, doch Sardou forderte den Selbstmord als effektvollen Coup de Théâtre. Die Moral der Tragödie beeinflusst die Leitdirektiven des Handels des Publikums, und eine eindeutige Botschaft entspricht eher dem gesellschaftlichen Wertekonsens, denn ein Mord von Frauen ruft Abscheu hervor, wenn sie sich nicht durch Wahnsinn oder Selbstmord ihrer Bestrafung entziehen. Indem sich Tosca mit ihren letzten Worten mit Scarpia vor Gott verabredet, übergibt sie die Bestrafung ihres Mordes und Selbstmordes quasi einem höheren Gericht.