SYMBIOSE UND BESESSENHEIT
Herr Kosky, welche persönliche Geschichte verbindet Sie mit Shakespeares Macbeth?
BK Ich habe das Stück schon mit 16 Jahren für eine Theateraufführung an meiner damaligen Schule inszeniert.
War das der Beginn Ihrer Regielaufbahn?
BK Nein, meine allererste Inszenierung war Woyzeck, ebenfalls an meiner Schule. Nach dem großen Erfolg dieser Produktion durfte ich dann Macbeth machen (lacht). Ich war in Australien an einer Jungen-Schule, deshalb wurden damals auch die Hexen und die Lady Macbeth von Jungs gespielt. Ich habe Macbeth dann noch einmal als Student an der Uni Melbourne auf die Bühne gebracht und ein drittes Mal vor zwölf Jahren am Wiener Schauspielhaus. Dort habe ich dann alle Rollen von Frauen spielen lassen. Das Shakespeare-Drama hat mich durch mein ganzes Leben begleitet – und nun beschäftige ich mich zum ersten Mal mit der Oper Macbeth.
Welche Erkenntnisse bringen Sie aus dieser langen Geschichte mit dem Stück in die aktuelle Produktion ein?
BK Man muss so ein Stück natürlich für jede Produktion komplett neu denken, aber trotzdem zieht sich ein roter Faden durch meine Beschäftigung mit Macbeth: Ich sehe in dem Stück das innere Drama von Macbeth und Lady Macbeth. Ein Drama, das getrieben wird von Fantasien, Ängsten und Halluzinationen im Kopf der Protagonisten. Dieser Sicht kann ich in der Opernversion noch viel radikaler folgen als im Schauspiel, weil Verdis Musik auf geniale Weise das Alptraumhafte im Stück in Klang fasst. In meinen Schauspielversionen hatte ich immer reale Hexen auf der Bühne. Jetzt aber habe ich nach einem Konzept gesucht, in dem ich auf Realismus ganz verzichten kann. Ich wollte keinen Hexenchor, keinen Mörderchor, kein Blut.
Was spricht denn gegen Hexen auf der Bühne?
BK Jeder Macbeth-Regisseur muss eine Antwort auf die schwierige Frage geben: Wie sieht der Hexenchor auf der Bühne aus? Aber schon die Fragestellung ist eine Falle. Sie muss viel eher lauten: Was sind die Hexen für Macbeth? Meine Antwort lautet: Sie müssen vieles sein, sie müssen irreal und real, männlich und weiblich, tot und lebendig zugleich sein. Vor allem aber müssen sie glaubwürdig sein, und das werden sie erst, wenn man sie aus der Perspektive von Macbeth denkt und szenisch entwickelt: Sie sind Ausgeburten seiner Fantasie! Ich habe in Macbeth-Inszenierungen schon alles mögliche als Hexen gesehen: Putzfrauen, Travestiefiguren, Erotikmodels, und dabei ist mir eins klar geworden: Die Antwort auf die Frage, wer die Hexen sind, darf nicht von den Kostümen gegeben werden.
Banquo stellt im ersten Akt die Frage an die Hexen: »Seid ihr von dieser Welt oder aus einer anderen?«
BK Eben. Und ich finde, die Figuren müssen surreal sein, weil die ganze Oper surreal ist. Ich habe für meine Produktion entschieden: Die Hexen sind nur Stimmen, und was man als Figuren sehen wird, sind nicht die Damen des Chors. Und schon kann ich mit ganz anderen Theatermitteln arbeiten. Ich habe viel mehr Möglichkeiten und komme weg vom Illustrieren.
Wie hat Verdi die Hexen musikalisch charakterisiert?
BK Die Oper beginnt mit diesem fantastisch bedrohlichen Vorspiel, das uns sofort in eine andere Welt versetzt. Und daran schließt sich ein geradezu operettenhafter Hexenchor an, der klingt, als ob Verdi Jacques Offenbach parodieren wollte. Das ist schon ziemlich schräg. Aber ich glaube, Verdi hat das sehr bewusst gemacht. Er wollte Kontraste schaffen. Die Musik war für ihn Ausdruck einer surrealen, dionysischen, keiner Kontrolle unterliegenden Sinnlichkeit. Das war die Intention, aber leider sieht die Theaterrealität oft anders aus. Deshalb wollte ich, dass die Hexen in meiner Inszenierung nur in ganz wenigen Momenten sichtbar werden und sonst Widerhall der Angstfantasien von Macbeth sind. Das gilt aber nicht nur für die Hexen, sondern auch für den Mörderchor, die Bankettmusik und die Stimmen aller Nebenfiguren. Von der ersten bis zur letzten Note kommt die Musik in unserer Inszenierung aus dem Kopf von Macbeth und Lady Macbeth.
Was für einen Raum braucht man für ein solches Inszenierungskonzept?
BK Ich habe zu meinem Bühnenbildner Klaus Grünberg lediglich gesagt: Ich brauche einen starken Kontrast zwischen Licht und Dunkel, was immer das heißen mag. Und gib mir einen Spielraum ohne Wände, der relativ klein und klaustrophobisch ist. Mehr habe ich nicht vorgegeben. Dann kam Klaus mit seiner Idee von einem endlosen schwarzen Korridor, in dem eine Lichtfläche installiert ist, die fast den Charakter eines Käfigs hat. In diesem Lichtkäfig bewegen sich die Figuren wie Laborratten. Man weiß nicht, was das Licht ist, das auf die Figuren herabstrahlt. Ist es das Schicksal, ist es Natur, klinische Künstlichkeit? Wie Motten kommen die Figuren aus dem Dunkel in dieses Licht.
Zur Identifikationsfigur taugt Macbeth aber nicht, oder?
BK Verdi ist es gelungen, aus Macbeth und der Lady große Figuren wie aus einer antiken Tragödie zu machen, und das bedeutet auch: Man ist berührt von ihnen durch die Musik. Im Schauspiel ist es sehr schwer, den beiden Hauptfiguren sympathische Züge abzugewinnen, aber Verdi hat es geschafft, dieses Monster empathiefähig zu machen.
In den Opernführern liest man immer wieder: Macbeth sei Verdis einzige Oper, in der es keine Liebesgeschichte gäbe. Stimmt das?
BK Blödsinn! Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es hier sehr wohl mit einer Liebesgeschichte zu tun. Es ist natürlich keine romantische, sondern eine Mischung aus Symbiose und Besessenheit. Er kann ohne sie nicht und sie nicht ohne ihn. Sie sind ein abgründiges Team. Ich höre in der Musik für die beiden eine große Einsamkeit, aber auch Liebe und eben nicht nur kalte Machtgier. Was, zum Beispiel, war das Faszinierende an dem rumänischen Tyrannenpaar Ceauşescu? Sie waren monströs, aber sie haben sich geliebt!
Wie sehr interessiert Sie das politische Drama, das der Shakespeare-Stoff in sich birgt?
BK Ehrlich gesagt gar nicht. Macbeth ist auf der Opernbühne sehr oft als politisches Drama erzählt worden und zwar sehr erfolgreich. Das war doch die gängige Lesart der Oper in den vergangenen dreißig Jahren. Meiner Meinung nach steht aber das politische Thema bei Verdi nicht im Zentrum.
Banquo singt an einer Stelle: »Was ist das für eine grauenvolle Nacht, in der der Unheilsvogel seufzt.« Was bedeuten die Vögel in dem Stück?
BK Klaus Grünberg und ich sprachen darüber, dass es so auffällig viele Vögel in Macbeth gibt. In der klassischen Mythologie tauchen die Vögel oft im Zusammenhang mit Tod auf, meist als bedrohliche Propheten des Unheils. Wir hatten dann die Idee tote Vögel in unsere Inszenierung zu integrieren, aber wir haben versucht, sie nicht zu sehr mit Bedeutung zu überfrachten. Sie sind einfach anwesend und stellen in gewisser Weise Dunkelheit in kreatürlicher Form dar. Als ob sich die Dunkelheit in Vögel verwandeln könnte.