»Sylvia«

"Der Geist der Sylvia steckt im Orchester“ urteilte der berühmt-berüchtigte Musikkritiker Eduard Hanslick, der darin mit keinem geringerem als Peter Iljitsch Tschaikowski übereinstimmte, gleichwohl Hanslick für das Schaffen des russischen Komponisten auch sehr heftige Worte finden konnte – Tschaikowskis Violinkonzert etwa hörte er „stinken“, um damit einen der legendärsten Verrisse der Musikgeschichte zu prägen.

Die Musik der Sylvia jedoch schlug mit ihrem jugendlichen Charme und ihrer betörenden Frische unterschiedlichste ästhetische Standpunkte in ihren Bann und eroberte das gestrenge Herz des Kritikers ebenso wie jenes des Komponisten, der das Werk in Wien, wo es 1877 zum ersten Mal außerhalb von Paris gezeigt wurde, in vollem orchestralen Glanz erlebte und spätestens von diesem Moment an ein „Delibesianer“ war – mehr noch, in harscher Selbstkritik stellte er die Leistung seines französischen Kollegen, den er elf Jahre später in Paris auch persönlich treffen sollte, mehrfach über die eigene.

Léo Delibes (1836 bis 1891) – der Schöpfer der pittoresken Sylvia-Partitur, die Momente bietet, die bis heute ungebrochen einen wesentlichen Anteil an Wunschkonzertprogrammen stellen – revolutionierte mit seiner frischen Sicht auf die Ballettmusik die gesamte Gattung und setzte zudem als einer der ersten Komponisten in der Verwendung des Saxophons besondere orchestrale Akzente.

Vereinte sich darin bei der am 14. Juni 1876 in Paris erfolgten Uraufführung des Werkes – zugleich die erste Ballettpremiere, welche in dem von Charles Garnier konzipierten Opernhaus gezeigt wurde – Altes mit Neuem, so ist eben dieser Ansatz auch für die nunmehr präsentierte neue choreographische Fassung gültig: Manuel Legris knüpft mit Sylvia an den großen Erfolg von Le Corsaire an und schafft seine zweite abendfüllende Neufassung eines zentralen „Klassikers“ des 19. Jahrhunderts für das Wiener Staatsballett, wobei er erneut vor allem der französischen Traditionslinie des Werkes, die sich vom Choreographen der Uraufführung, Louis M.rante, über Namen wie Léo Staats, Serge Lifar, Albert Aveline und Lycette Darsonval in die Gegenwart fortsetzt, folgt.

Wie auch bei Le Corsaire arbeitete Legris zusammen mit Jean-Francois Vazelle an einer Straffung des Librettos der Sylvia, dies umso mehr, als das originale, von Jules Barbier und Baron Jacques de Reinach vorgestellte Libretto im Gegensatz zur Musik von Delibes 1876 nicht den erwünschten Erfolg erzielte und im Laufe der Aufführungsgeschichte daher immer wieder Anlass zur erneuten Auseinandersetzung mit dem Stoff der Handlung gab, die sich auf das Hirtenspiel Aminta von Torquato Tasso zurückführen lässt.
Sylvia, zugleich „Nymphe der Diana“ – womit auch der volle Werktitel genannt ist – darf am Ende zusammen mit dem Hirten Aminta getrost in die Zukunft sehen, wogegen Diana sich als Frau Luna am Nachthimmel manifestiert, um diesen für ihren Liebsten und mit ihm alle Liebenden zu erhellen.

Die glückliche Wendung am Ende des Stückes ist jedoch schwer erkauft und kann nur durch mancherlei abenteuerliche Umstände erwirkt werden, die dankbare Gelegenheiten für tänzerische Entfaltung und prachtvolle Ausstattungsdetails bieten, die wieder in den Händen von Luisa Spinatelli liegen. Nach Schwanensee und Le Corsaire ist Sylvia bereits ihre dritte Kooperation mit Manuel Legris für das Wiener Staatsballett, für das Licht zeichnet Jacques Giovanangeli verantwortlich.

Dank der Bemühungen von Manuel Legris kehrt das Werk damit nach langer Zeit – zuletzt war es 1985 in der Fassung von Lázló Seregi zu sehen – an die Wiener Staatsoper zurück, wobei dies mit dem Hinweis auf das Jahr 1877 umso bedeutsamer erscheint: Um die Seele Sylvias ist Kevin Rhodes am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper bemüht, womit sich die von Tschaikowski geschilderte Klangpracht der virtuosen Instrumentation wieder am Opernring 2 entfalten darf.

Einblicke in seine Arbeit und das Werk gewährt Manuel Legris bereits am 4. November bei der Einführungsmatinee zu Sylvia in der AGRANA STUDIO BÜHNE | WALFISCHGASSE, ein Schulstream zu Sylvia wird anlässlich einer Probe am 6. November übertragen.

Oliver Peter Graber


SYLVIA | Ballett in drei Akten
Choreographie: Manuel Legris nach Louis Mérante u.a.
Dramaturgie und Libretto: Manuel Legris und Jean-Francois Vazelle nach Jules Barbier und Baron Jacques de Reinach
Musik: Léo Delibes
Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli
Assistenz Bühnenbild und Kostüme: Monia Torchia
Licht: Jacques Giovanangeli
Dirigent: Kevin Rhodes
Mit: Olga Esina/Nikisha Fogo/Kiyoka Hashimoto/Maria Yakovleva, Denys Cherevychko/Davide Dato/Jakob Feyferlik/Masayu Kimoto u.a.

Premiere: 10. November 2018
Reprisen:12., 13., 17., 24., 28. November 2018
17., 19., 24., 26. Jänner 2019

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Einführungsmatinee | AGRANA STUDIO BÜHNE | WALFISCHGASSE
4. November 2018

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