© Suzy Stöckl

SINGEN IST AUCH GRENZEN ERPROBEN

Im letzten Monat war Ihr Gesicht am Cover von zumindest zwei Opernmagazinen zu sehen. Welche Wirkung hat das auf Sie? Sind Sie stolz?

CAMILLA NYLUND Natürlich bin ich auch stolz und ich freue mich darüber sehr! Denn, wie sagt man so schön: Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte.

Aber dieses Gefühl, ganz an der Spitze zu stehen, ist das auch herausfordernd, vielleicht sogar ein Druck?

CN Ob ich ganz »an der Spitze stehe«, das weiß ich nie so genau. Vielleicht in meinem Fach. Jedenfalls hätte ich nie gedacht, dass ich einmal überhaupt so weit kommen werde: Brünnhilde! Isolde! Das sind ja Rollen, die ich mir als junge Sängerin nicht erwartet habe. Wobei es ja auch nicht so ist, dass das von alleine geht, das alles war harte Arbeit. Noch schwieriger ist jedoch, das Erreichte zu erhalten. Ich muss ständig an mir arbeiten – auch und gerade jetzt!

Sie erzählten, dass Ihnen eine Lehrerin – bis heute – zur Seite steht.

CN Ja, und das ist für mich nach wie vor ganz wichtig!

Wie gehen Sie mit Rollen-Grenzgängen um? Schätzen Sie die Herausforderung eines Restrisikos bei einem Debüt, fordern Sie sich selbst heraus?

CN Naja, es ist schwer zu sagen, ob man eine neue Rolle schafft, bevor man sie tatsächlich auf der Bühne gesungen hat. Unser Beruf besteht ja oftmals daraus, dass man an seine Grenzen gebracht wird und eben nicht zu einhundert Prozent sicher sein kann. Singen ist auch Grenzen erproben. Und für mich gehört das auch zum Spannendsten an meinem Beruf.

Sie singen weltweit sehr viel deutsches Fach, weniger italienisches. Das Publikum darf sich über Ihre Wiener Tosca daher doppelt freuen.

CN Im Laufe meiner Karriere habe ich schon ei-niges Italienisches gemacht. Die Elisabetta in Don Carlo, Desdemona in Otello, in meinen Anfängen die Mimì in La bohème, ebenso das Verdi-Requiem, für das man ja auch eine italienische Stimme braucht. Aber es ist leider schon so, dass man in Schubladen gesteckt wird – und in meinem Falle ist es eher das deutsche Fach. Die Tosca kam übrigens letztes Jahr in mein Repertoire, ich sang eine Produktion in Helsinki. Und ich bin sehr glücklich, diese Partie nun auch hier, an der Wiener Staatsoper gestalten zu können und damit eine andere Seite von mir zu zeigen. Wahrscheinlich muss ich es in Zukunft machen wie Birgit Nilsson. Sie verhandelte sich stets auch Partien heraus, die ihr neben Wagner und Strauss am Herzen lagen, und meinte: Wenn ich eine Brünnhilde singe oder eine Isolde, dann muss mir das Opernhaus eine italienische Partie dazugeben.

Eine Stelle, auf die sich viele Zuhörerinnen und Zuhörer stets freuen, ist das »Vissi d’arte« der Tosca. Geht es Ihnen als Interpretin ebenso? Ist das ein kleiner Glücksmoment?

Vor allem habe ich viel Respekt vor dieser Arie. Denn wir alle kennen sie sehr gut und viele berühmte Sängerinnen haben sie schon vor mir gesungen. Wobei für mich die Arie kein neues Terrain ist, da ich sie schon vor meinem eigentlichen Tosca-Opern-Debüt in Konzerten interpretierte. Das Vissi d’arte ist auch für mich als Sängerin ein besonderer Moment in diesem intensiven zweiten Akt. Nicht nur musikalisch, sondern auch, was das Szenische betrifft: Man erlebt eine Tosca, die an dieser Stelle geradezu fleht und nicht verstehen kann, warum ihr jemand etwas so Böses antut. Warum muss sie leiden? Warum wird ihr das angetan? Ein bewegender Opernmoment, für uns alle!

Ist die Arie auch etwas Besonderes, weil Ihnen die Tosca als Charakter nahesteht? Oder ist das alles ohnedies nur Schauspiel?

CN Eine Rolle wird gespielt, das ist wahr. Gleichzeitig findet man in Aspekten in jeder Partie, die man auf einer Bühne verkörpert, das eigene Leben wieder. Das betrifft die Tosca ebenso wie die Ariadne: beide besitzen auch Persönlich- keitsmerkmale und Eigenschaften, die ich von mir kenne. Für mich gehört das ja auch zum Reizvollen am Theater, dass man diese unter- schiedlichsten Dinge verkörpern kann, mit den Rollen in eine persönliche Beziehung tritt und sich selbst wiedertrifft.

Worin besteht diese Beziehung im Falle der Ariadne, die Sie im November an der Staatsoper ja auch singen?

CN Die Ariadne ist eine Partie, mit der ich mich sehr lange und intensiv auseinandergesetzt habe. Selbstverständlich entstehen da auch zahlreiche persönliche Beziehungen, Bezüge und Überschneidungen. Mir ist dabei jedoch stets der Hinweis wichtig, dass Ariadne auf Naxos ein großes komisches Potenzial in sich birgt. Im Vorspiel, in dem ich die Primadonna gebe, ist es ja offenkundig: die vielen Klischees, die ausgespielt werden, sind überspitzt und witzig, nicht nur im Falle der Primadonna, sondern auch beim Tenor und vielen anderen, man denke nur an Zerbinetta! Alles Typen! Und dann auch in der eigentlichen Oper, da handelt es sich ja um ein Missverständnis – Ariadne und Bacchus reden aneinander vorbei. Es ist ein anderer Humor als im ersten Teil, aber es ist nicht nur ernst, sondern eben auch komisch.

Dieses Komische ist ein Genre, das, wenn wir von der Rosalinde in der Fledermaus absehen, Sie nur selten ausleben dürfen.

CN Leider. Aber die Literatur ist hier ja eher schmal. Andererseits gibt es Inszenierungen, die gerade diesen Aspekt betonen, selbst in ernsten Werken. Man kann das Komische ja auch im Tragischen finden.

Nun singen Sie mit der Isolde ja im hochdramatischen Fach. Wie geht es Ihnen, wenn Sie zu einer Rolle wie Ariadne zurückkehren? Ergeben sich dann neue Fragen, oder fällt Ihnen die Ariadne, ganz allgemein, leicht?

Es kann schon sein, dass neue Fragen auftauchen. Aber ganz allgemein kann ich sagen, dass mir nun vieles einfacher vorkommt. Denn Isolde ist im Vergleich zu anderen Rollen eine so lange Partie, sie scheint einfach nicht mehr aufzuhören! Wenn man das einmal gesungen hat, verändert sich die Sicht auf anderes. Mir wurde dieses Leichter-Fallen diesen Sommer sehr eindrücklich klar, als ich in Bayreuth wieder die Elsa in Lohengrin sang: es war nun einfach etwas ganz anderes!

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was streben Sie demnächst an? Was fehlt noch?

CN Ich lasse es auf mich zukommen, so wie ich im Leben nie einer Rolle nachgelaufen bin, sondern immer die Partien zu mir kamen. Ich denke aber, dass ich, wenn der Ring des Nibelungen in Zürich vollendet ist – also nach der Götterdämmerung nächsten Herbst – diesbezüglich weitersehen werde.

Wie sieht es an sich mit Pausen aus? Planen Sie sie bewusst ein?

CN Also derzeit geht es wirklich ohne Unterbrechung durch und es sind gar keine Pausen geplant. Ich arbeite dauernd – und versuche, das durchzuhalten und zu schaffen. Wenn der Körper eine Pause braucht, merke ich das und gebe ich sie ihm auch. Das muss dann eben sein, ganz klar!

Ihr Kollege Michael Volle erzählte, dass er selbst als großer Wagner-Interpret noch Bach singen möchte – und es auch tut. Geht es Ihnen ähnlich? Ein Bach, ein Mozart muss immer sein?

CN Es gehört auf jeden Fall dazu! Vor wenigen Tagen traf ich in Zürich eine junge Sängerin aus dem dortigen Opernstudio, deren Weg in mein Fach weist. Sie sang mir Elisabeth aus Tannhäuser und die Freischütz-Agathe vor. Da kamen wir auf das Thema, dass Mozart dabei nicht fehlen darf: er hält unsere Stimme elastisch, und es ist ganz wichtig, immer und immer wieder zu ihm zurückzukommen.

An der Wiener Staatsoper haben Sie 2005 debütiert, seither sangen Sie zahlreiche Partien, zum Teil in Premieren. Entsteht so etwas wie Geborgenheit, wenn Sie an das Ihnen so bekannte Haus kommen?

CN Ja, unbedingt! Die Wiener Staatsoper, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Publikum, die Kollegen, all das ist für mich etwas ganz Eigenes. Ich habe hier – in der Staatsoper, aber auch in Wien ganz allgemein – so vieles erlebt, so viele Menschen kennen gelernt, zu denen ich eine Beziehung aufbauen konnte. Daher hat dieses Haus, und das sage ich nicht einfach so, sondern mit größter Ehrlichkeit, einen besonderen Platz in meinem Herzen. Und gerade darum bin ich auch so froh, in dieser Spielzeit gleich mit drei Rollen – jetzt Ariadne und Tosca, im April dann Elsa – am Haus sein zu können!


ARIADNE AUF NAXOS
9. / 11. / 14. / 17. November 2022
Musikalische Leitung Thomas Guggeis
Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
Mit u.a. KS Camilla Nylund / Eric Cutler / Caroline Wettergreen / Christina Bock / Jochen Schmeckenbecher / KSCH Herbert Föttinger


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TOSCA
23. / 26. November / 2. / 5. Dezember 2022
Musikalische Leitung Giacomo Sagripanti
Inszenierung Margarethe Wallmann
Mit u.a. KS Camilla Nylund / Stefano La Colla / Erwin Schrott


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