© Johannes Ifkovits

Sich in allen Rollen treu bleiben

Liebe Frau Kammersängerin, es ist nun dreieinhalb Jahre her, dass Sie hier die Rusalka bei der Premiere sangen. Wie fühlt sich eine solche Rückkehr zu einer Produktion an?

Krassimira Stoyanova: Gut! Und ich glaube, dass bei einer Wiederholung alles noch besser werden kann. Wenn eine Rolle eine Zeitlang liegt und ruhen kann, ist das wie ein Teig, der gut fermentiert. Alles wird reifer, intensiver. Es kommt ja auch dazu, dass ich in diesen vergangenen drei Jahren sehr viel Unterschiedliches gesungen habe – und mit jeder Rolle, jedem Abend, mit jeder Erfahrung entwickelt man sich weiter, gewinnt an Tiefe und eine noch bessere Beherrschung der Technik. Abgesehen davon lernt man neue Seiten einer Figur kennen – und kann psychologisch noch feiner arbeiten. Ich bin immer sehr glücklich, wenn ich mich wieder einer schönen Partie zuwenden kann.

Beeinflussen in diesen drei Jahren gesungene Partien die wiederaufgenommene Rusalka direkt?

Krassimira Stoyanova: Ich denke auf alle Fälle! Sie verändern eine Partie natürlich nicht grundsätzlich, aber sie fügen ein bisschen was bei, sie geben der Rollengestaltung einen neuen Gedanken, eine neue Farbe. Jede einzelne Rolle, die ich singe, trägt etwas Wichtiges in sich – und kann in das gesamte künstlerische Schaffen etwas Wichtiges einfließen lassen. Da ist es egal, ob es sich um eine Marschallin oder eine Aida handelt, eine Elisabetta oder Desdemona: sie alle bringen mich weiter und lassen mich künstlerisch reifen. Dazu kommt noch eine technische Sache: Meine letzte Rolle vor der nun kommenden Rusalka war die Lucrezia Borgia, eine Belcanto-Partie. Da geht es nicht nur um einen schönen Gesang, sondern auch um eine Präzision und eine Sauberkeit. Wenn man sich nun so stark auf Genauigkeit konzentriert, wenn man so delikate Details herausarbeitet, so behutsam und aufmerksam agiert wie im Belcanto – dann wirkt sich das natürlich auch auf alle anderen Partien, die man hinterher singt, aus. In diesem Sinne profitiert die Rusalka selbstverständlich von der Lucrezia Borgia!

Haben Sie sich während der Rusalka-Probenzeit viele Eintragungen in Ihre Noten gemacht?

Krassimira Stoyanova (lacht): Glauben Sie mir, sehr viele! Mein Klavierauszug schaut aus wie das Skizzenbuch von Leonardo da Vinci, nur leider nicht so genial. Aber ebenso überfrachtet mit Anmerkungen, Hinweisen, Zeichen, ein sehr komplexes Kunstwerk. In vielen Farben, rot, schwarz, blau, das Ganze ist sehr bunt! Während meiner analytischen Arbeit trage ich verschiedene Dinge ein, immer wenn mir etwas auffällt, wenn mir ein guter Gedanke kommt, an den ich mich erinnern möchte, dann notiere ich das. Im Studienund Probenprozess passiert ja sehr viel und man erhält die unterschiedlichsten Eindrücke. Und diese Ideen und Gedankensplitter versuche ich zu dokumentieren.

Kennen Sie sich im Nachhinein noch aus?

Krassimira Stoyanova: Unmittelbar im Probenprozess: ja. Zwei Jahre später kann ich einiges nicht mehr lesen. Manchmal schreibe ich ja so schnell, dass es praktisch unleserlich wird. Aber vielleicht geht es zunächst einmal ja auch nur um das Niederschreiben von Überlegungen, weniger um das Archivieren.

Heutzutage gibt es von Produktionen oft auch Video-Mitschnitte. Ziehen Sie Aufnahmen der von Ihnen gesungenen Abenden zum Studium heran?

Krassimira Stoyanova: Eigentlich schon. Ich finde das immer eine sehr interessante Möglichkeit, sich selber zu sehen und beurteilen zu können. Am liebsten hätte ich während der Proben ja einen Saal, der rundum – wie beim Ballett – mit Spiegeln ausgestattet ist. Damit ich meine Körperhaltung kontrollieren kann, sehe, wie meine Füße stehen, wohin meine Augen schauen, wie ich im Raum stehe. Natürlich weckt ein Video mit mir als Sängerin auch die Kritikerin in mir, was die Sache nicht einfacher macht.

Sind Sie grundsätzlich eine kritische Sängerin?

Krassimira Stoyanova: Ich denke, die meisten Sänger sind in einem hohen Maße selbstkritisch – man ist ja der ehrlichste Kritiker. Grundsätzlich bin ich ja eine Freundin einer sinnvollen, zielgerichteten Kritik, sie ist auf alle Fälle besser als ein unreflektiertes „Du bist soo wunderbar!“ Das ist zwar schön, aber nicht unbedingt ehrlich und zielführend. Wir Künstler brauchen Menschen, die ehrlich, aber mit gutem Herzen und nicht destruktiv die Wahrheit über einen Abend sagen.

Aber gibt es auf der anderen Seite auch einen gewissen Stolz auf die eigene Leistung?

Krassimira Stoyanova: Oh ja! Das muss es natürlich auch geben, man braucht es ja. Manchmal, wenn ich eine Aufnahme einer gelungenen Stelle höre, denke ich mir: Bravo! Das hast du gut geschafft. Und ich schenke mir in Gedanken ein Stückchen Würfelzucker, so wie man Zirkuspferde belohnt. (lacht) Aber ganz ehrlich: Man muss eine Balance finden zwischen der Selbstkritik und einer Zustimmung zu dem, was man macht.

In der letzten Zeit sangen Sie unter anderem Aida und Marschallin. Suchen Sie in Ihrer Auftrittsplanung bewusst so unterschiedliche Figurentypen?

Krassimira Stoyanova: Das hat sich ganz zufällig ergeben. Im Grunde suche ich nicht nach bewussten Unterschieden, weder im Charakter einer Figur noch in musikalischer Hinsicht. Und ich möchte meine Stimme eigentlich auch nicht besonders umstellen müssen für eine bestimmte Partie. Ich habe zum Beispiel in den letzten Monaten laufend eher dramatische Partien gesungen – und im Sommer kam dann die Lucrezia Borgia. Nun habe ich versucht, mich nie zu verändern, sondern alle Partien immer mit meiner Stimme zu singen und habe mir immer die Frage gestellt: Wie kann ich alles andere so angehen, dass ich am Ende die Lucrezia Borgia natürlich und ohne Schwierigkeiten in meinen Hals bekomme? Ich denke, das ist der Schlüssel: Sich in allen Rollen treu zu bleiben und auch stimmlich immer ganz man selbst zu sein.

Oliver Láng


Rusalka | Antonín Dvořák
19., 22., 25., 28. Oktober 2017
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