© Wiener Staatsoper / SOFIA VARGAIOVÁ
© Wiener Staatsoper / SOFIA VARGAIOVÁ
© Wiener Staatsoper / SOFIA VARGAIOVÁ
© Wiener Staatsoper / SOFIA VARGAIOVÁ

Schlaflos in Wien

Opern- und Ballettvorstellungen, philharmonische Konzerte, üben. Hat man als Konzertmeister nicht schon genug zu tun? Warum spielen Sie am Samstagvormittag auch noch Kammermusik?

Weil ich es liebe! Wir alle lieben es! Und es ist so wichtig, es bringt uns Musikern und Musikerinnen auf so vielen Ebenen sehr viel. Wobei: Im Grunde ist Kammermusik ja eine Form, die wir die ganze Zeit über betreiben, auch im Orchesterverband, auch in einer großen Besetzung, im Opernhaus und auf der Konzertbühne. Denn dieses genaue Hören aufeinander, das Miteinander-Spielen, das Reagieren auf das Gegenüber: das praktizieren wir ja unser ganzes Musikleben lang. Abgesehen davon ist Kammermusik einfach eine Leidenschaft. Und für diese Leidenschaft nehme ich mir gerne auch am Samstagvormittag Zeit.

Das gehört ja zu den großen Atouts des Staatsopernorchesters: dass alles so gut aufeinander eingespielt sind und mit so wachem Ohr auf die Bühne und die kollegenschaft hören.

Ja, absolut. Und es kommt noch etwas dazu: Jede und jeder weiß um eine besondere Dualität. Auf der einen Seite spielen wir als Gruppe zusammen und müssen uns musikalisch gut mischen, auf der anderen ist eine Individualität da, die eingebracht wird. Natürlich muss man im Orchester das Individuelle ein bisschen zurücknehmen und sich einordnen, aber es ist immer vorhanden – und wichtig!

Das bedeutet, dass Sie als Solist anders spielen als im Orchesterverband. In welchem Maße unterscheiden sich diese Spielweisen?

Das ist eine sehr gute Frage! Als Solist habe ich in manchem, etwa im Tempo, größere Freiheiten. Auch ist der Klang unterschiedlich: Wenn ich im Orchester zum Beispiel piano spiele, dann ist es wirklich sehr leise. Solistisch muss man anders artikulieren, es muss einfach mehr Ton da sein, ich muss hörbarer sein. Auch setze ich ein anderes Vibrato ein, bin an sich präsenter – eben solistischer. Im Falle des Konzertmeisters ist es so, dass ich auch ein wenig mit dem Klang führen muss, selbst, wenn ich ein Teil der Gruppe bin. Es ist immer die vorhin angesprochene Dualität: Gruppe und Individuum. Früher gab es den Gedanken, dass Orchesterspielen etwas mit Passivität zu tun hat. Das ist jedoch grundfalsch. Man muss ebenso aktiv sein wie als Solist, nur sich eben immer auch als Teil einer Gruppe wissen.

Ein weiteres Erfolgsrezept des Orchesters ist, dass das Repertoire so immens groß ist. Es stehen laufend unterschiedliche Stücke am Spielplan und durch die permanente Abwechslung muss man sich immer wieder auf neue Stile und Konstellationen einstellen.

Klar, gerade aufgrund dieses großen Repertoires, das das Orchester anbietet, bleiben wir in unserer Musikalität sehr wach. Das ist ein Aspekt, der mir wichtig ist! Denn wenn man in eine Routine verfällt, ist es für uns Künstler das Schlimmste. Routine ist unser Feind! Stattdessen muss man sich immer weiterentwickeln und kreativ bleiben. Das breite, abwechslungsreiche Repertoire ist da ideal.

Das Repertoire muss aber erst einmal erarbeitet werden. Wie ist es als junger Konzertmeister, in das Orchester einzusteigen und ein so großes Programm erarbeiten zu müssen? Wann schläft man dann noch?

Ganz einfach: gar nicht. (lacht) Für mich war diese Position musikalisch so wertvoll, so ungeheuer wichtig, dass einfach nichts darüber ging. Ich wollte unbedingt Teil dieses Orchesters sein und habe dementsprechend viel Zeit investiert. Gerne investiert! Es gab im ersten Jahr Tage, da war ich der erste, der in die Oper kam und der letzte, der gegangen ist. Denn es geht ja nicht nur um die Vorstellungen, die man spielt, sondern man muss die Stücke natürlich auch lernen. Und nicht nur die eigene Instrumental-Stimme, sondern ich muss als Konzertmeister die ganze Partitur kennen. Bevor ich diese Stelle antrat, dachte ich: Vielleicht wird es zwischendurch zu viel, vielleicht kann einem dieses beständige Lernen über den Kopf wachsen. Aber siehe da: Nein, es macht immer Spaß und hat immer Spaß gemacht! Inzwischen ist es ja so, dass ich einen Teil des Opernrepertoires schon kenne und es daher für mich einfacher wird. Was aber nicht bedeutet, dass ich mich langweile. Schließlich ist man als Musiker ohnedies immer auf der Suche und will immer etwas Neues finden.

Wo hat man als Konzertmeister die Ohren? In der eigenen Gruppe? Oder muss man auch da den gesamten Klangkörper mitdenken?

Natürlich geht es um das ganze Orchester! Man kann alles hören – wenn auch aus meiner Position leider nicht alles sehen. In diesem Punkt habe ich in den letzten zwei Jahren sehr viel gelernt: Es geht nicht nur um die eigene Stimme, sondern um das Orchestergefüge. Alles ist wichtig. Alles muss bedacht werden. Wenn zum Beispiel die ersten Violinen mit dem zweiten Fagott eine Phrase gemeinsam spielen, dann muss man sich musikalisch und im Timing verbinden. Man muss wissen, wie und wohin sich musikalische Themen innerhalb des Orchesters entwickeln. Wer auf wen reagiert. Es braucht also einen großen Überblick – und mit dem musiziert es sich einfach besser!

Eine so einfache wie schwierige Frage: Was macht eine gute Geigerin, einen guten Geiger aus? Oder anders: Worauf hören Sie? Was ist das Besondere an einer Solistin wie etwa an Vilde Frang, die auch beim Friedenskonzert in der Staatsoper auftrat?

Schön, dass Sie Vilde Frang erwähnen, eine fantastische Musikerin und eine gute Freundin von mir! Ich bin ein Fan von ihr… Vielleicht ist die Antwort ganz einfach: Es muss von Herzen kommen. Natürlich, eine gute Technik, das Handwerk, die Fingerfertigkeit, die Intonation, das Wissen, das muss alles da sein. Aber das Wichtigste bleibt dann doch das Gefühl, das gewisse Extra, das ein Spiel zu etwas Besonderem macht. Und dieses Extra, das kommt aus dem eigenen Leben. Man muss etwas sagen wollen als Musiker. Und wenn eine Aufführung zu einem Zuhörer oder einer Zuhörerin spricht: dann hat man das Wichtigste geschafft!

Wie aber erzeugt man dieses berühmte Extra? Geht es um das Erzählen einer Geschichte? Wie vermittelt man Emotion?

Ich glaube, es kommt aus der persönlichen Lebenserfahrung: Man muss dieses Persönliche in sich finden und in die Kunst transferieren.

In Ihrem Kammermusikprogramm spielen Sie neben Antonín Dvořák mehrere Werke von Krzysztof Penderecki. Warum dieser Schwerpunkt?

Das hat mein Kollege Jurek Dybał initiiert: Er kann auf ein großes Penderecki-Repertoire zurückgreifen, hat auch in einigen Penderecki-Uraufführungen gespielt. Und nachdem ich letztes Jahr das Violinkonzert dieses großen Komponisten aufführen durfte – übrigens ein ungemein herausforderndes, langes Werk –, war ich gleich Feuer und Flamme. Ein großartiges Programm!