SACHS IM TRAUMSPIEGEL
Informationen & Karten »Die Meistersinger von Nürnberg«
Der britische Regisseur Keith Warner zählt international zu den Größten seines Fachs. Sein Repertoire ist umfassend, seine Liebe zur Oper überwältigend und seine Arbeitskraft erstaunlich. Darüberhinaus wird er von Sängerinnen und Sängern aufgrund seiner Fachkenntnis, seines Wissens und seines Handwerks hochgeschätzt. Einen besonderen Schwerpunkt hat der Regisseur, der nun an der Wiener Staatsoper debütiert, auf Wagner gelegt, dessen zentrale Werke er mehrfach inszeniert hat. Nur eine Oper fehlte ihm bislang noch: Die Meistersinger von Nürnberg. Dieses Werk – eines der größten der Operngeschichte – bringt er nun an der Wiener Staatsoper neu heraus. Zehn Jahre nach der letzten Meistersinger-Aufführung im Haus am Ring und rund 50 Jahre nach der Premiere der letzten Produktion.
Gehen wir einmal davon aus, dass die Meistersinger eine Komödie sind. Aus Ihrer britischen Sicht betrachtet: Worin liegt der Unterschied zwischen britischem und deutschen Humor?
KEITH WARNER Ich habe nie einen großen Unterschied wahrgenommen. Die Menschen lachen über Chaplin, über Woody Allen, weltweit, überall. Daher kann ich keinen großen Unterschied zwischen England und Deutschland entdecken. Wobei es in einem anderen Aspekt einen Unterschied gibt: In Deutschland und Österreich wagen Menschen viel weniger, in der Oper zu lachen. Sie scheinen das Gefühl zu haben, dass eine Komödie weniger wert ist als eine Tragödie. Also ist eine Komödie nichts für ein ernstzunehmendes Opernhaus. In Amerika oder England gibt es diesen Gedanken nicht. Niemand dächte, dass die Shakespeare-Komödien weniger wert wären als seine Tragödien. Oder Eugene O’Neil oder Oscar Wilde keine große Kunst. Ich erinnere mich an einen Don Giovanni im Theater an der Wien, den ich inszenierte. Ich glaube bei diesem Werk an das Dramma giocoso, also die Komödie. Bei der Premiere: fast kein Lachen. Am nächsten Tag las ich aber in den Zeitungen, wie lustig diese Produktion doch gewesen wäre! Man traut sich also kaum zu lachen. Wohlgemerkt, im Theater. Denn wenn ich in Deutschland und Österreich mit Freunden zusammensitze, lachen wir über dieselben Dinge.
Nun aber: Sind die Meistersinger eine Komödie? Egal, ob man sich zu lachen traut oder nicht.
KEITH WARNER Ich denke, das war zuallererst für Wagner eine Frage. In der ersten Annäherung an das Werk, in der Marienbader Zeit, wollte er eine Komödie. Als er die Oper ausarbeite, war er allerdings in einer gänzlich anderen Stimmung, wir wissen von seiner Verzweiflung, und er hörte auf, die Meistersinger als eine Komödie zu bezeichnen – es solle keine leichte »Operette« mehr werden. Das sind die Meistersinger übrigens auch nicht. Ich denke, dass man in dieser Oper eine Reise entdeckt. Die ersten beiden Akte sind komödiantischer, kommen wir aber zu Beckmessers Lied, dann ist es nicht komisch, sondern schmerzhaft, quälend, grausam. Eine Selbstdemütigung. Wie also das Stück fortschreitet, wird es immer ernster. Und im 3. Akt klingt die Musik für mich deutlich dunkler. Dann, am Ende, haben wir wieder ein traditionelles Komödienfinale, im Sinne von: der Bub bekommt das Mädchen und so weiter. Wenn wir uns den Wahn-Monolog des Sachs anschauen und dann seinen langen Dialog mit Walther, dann finden wir – so las ich einmal – die profundeste Analyse der Schopenhauer’schen Philosophie. Es folgen Beckmesser und dann dieser tiefgründige, menschlich schmerzhafte Moment von Sachs, wenn Eva im Quintett singt. Es geht um Erwartungen, die sich ändern... Ich denke, dass Wagner die Komödie schlecht aufrechterhalten konnte. Aber so wurde die Sache gehaltvoller, reicher. Mir fällt der Autor Alan Ayckbourn ein, der inzwischen über 80 Jahre alt ist und unzählige Stücke schrieb. Begonnen hat er mit sehr cleveren Komödien, im Alter wurde es deutlich düsterer. Wie gesagt: eine Reise!
Ein wichtiger Aspekt Ihrer Inszenierung ist der Traum. Wer träumt? Und was?
KEITH WARNER Ich stellte mir den Traum von Sachs als kreatives Bedürfnis vor, in dem Sinn, dass er eine Geschichte über seine Gefühle erschafft. Ich wollte aber, dass dieses Träumen ansteckend ist. Dass diejenigen, die sich anstecken lassen und das nötige Talent haben, ihre eigenen Welten erschaffen können, eine Art von Illusion. Plötzlich beginnt Sachs, in Walthers Fantasie einzutauchen, er wandelt durch dessen Welten, und umkehrt kann Walther auf jene von Sachs zugreifen, auch Eva tritt dazu. Mir gefällt es, wenn das Verhältnis zwischen der Realität und der inneren Vorstellung des Künstlers oder des individuellen Traums fließend wird. Man fragt dann nicht mehr: Was ist das jetzt genau? Wir kennen das von Shakespeare, vom Sommernachtstraum, aber auch vom Sturm und anderen Werken, dass Realität und Illusion sehr eng miteinander verwoben sind. Genau das spüre ich auch seit langem in der Musik der Meistersinger. Man könnte das Ganze ausschließlich als Traum von Sachs zeigen – aber umso älter ich werde, desto weniger möchte ich eine konzeptuelle Sicht entwickeln, die nur einen Weg, nur eine Interpretation zulässt. Ich mag es, wenn es eine Zweideutigkeit gibt.
Wagners Werk ist umgeben von vielerlei Theorien und Ideen. Wie bringt man eine seiner Opern mit – oder trotz – all dieser Theorie auf eine Bühne?
KEITH WARNER Indem es immer Theater bleiben muss. Ein Opernabend kann nicht nur Idee oder Konzept sein, er muss in diesem Rahmen funktionieren. Als Darsteller oder Regisseur können wir einen alternativen Weg zur Philosophie gehen, wir können theatralisch denken. Das ist gleichrangig zur Philosophie und zu einer Ideenlehre. Was wir im Theater gemeinsam erleben, und wie das funktioniert, ist eine alternative Art, das Leben und die Welt zu sehen. Es ist nicht nur Unterhaltung! Durch das theatralische Denken lernt man Dinge auf eine Art zu sehen, wie man sie durch Philosophie niemals lernen könnte.
In Ihrer Arbeit spielen eine Reihe von Symbolen eine Rolle. Wir sehen einen Vogel, einen Kobold. Dieser erinnert auch noch an Friedrich Nietzsche. Bringen Sie hier eine weitere Interpretationsebene ein?
KEITH WARNER Sowohl der Vogel als auch der Kobold – es muss ja nicht unbedingt Nietzsche sein – finden ihre Deckung im Text. Walther singt ja von Raben, Elstern und Dohlen, das sind die Meister. Hier kommt etwas Surreales ins Spiel. Und dann sieht er sich selbst als einen prächtigen, goldenen Vogel. Walther wird dabei übrigens durchaus von Sachs unterstützt. Auch der Kobold kommt aus dem Text, Sachs spricht ihn im Wahn-Monolog an. Dazu kommt die Musik, in der ich von Anfang an eine etwas magische Mittsommernachtsmusik höre, die uns leitet und andere Entwürfe anbietet. Die Sache mit dem Nietzsche-Kopf bezieht sich darauf, dass Wagner meinte, eine nagende Galle wäre notwendig, also etwas Irritierendes, das die kreative Fantasie beflügelt. Ein Künstler brauche dieses kleine Sandkorn in der Auster, das ihn in Gang bringt. So gesehen war sei Hass auf Meyerbeer zum Beispiel ein Mittel, um herauszufinden, wie er selbst Opern schreiben wollte. Die italienische Opernpraxis, wie er sie hasste, führte ihn zu seinen Musikdramen. Das ist also der Kobold. Es muss nicht Nietzsche sein, es könnte auch Hanslick sein, Rossini, eine Person, von der Wagner sich irritiert fühlte. Ich weiß auch nicht, wie viele im Publikum Nietzsche überhaupt erkennen. Nietz- sche als Philosoph gefiel mir am besten. Es gibt natürlich auch eine Sachs-Referenz, auch er hat in sich etwas, eine Qual, die an ihm nagt, aber auch die Inspiration beflügelt und die Tür zum Unterbewusstsein in gewisser Weise öffnet. Das bedeutet aber nicht, dass es in diesem Stück eine tiefe Auseinandersetzung Wagner-Nietzsche gibt. Es geht nur um die Irritation.
Sah sich Wagner eher in Walther abgebildet, oder war er doch Hans Sachs?
KEITH WARNER Über diese dramaturgische Frage habe ich viel nachgedacht. Und je länger ich mich mit dem Ring, mit Lohengrin und vor allem mit Tristan und Isolde beschäftigte, desto intensiver wurden die Überlegungen. Wagner hatte eine faszinierende Methode zu schreiben, sie bestand darin, Figuren in Teile zu trennen, als wären sie unterschiedliche Seiten derselben Medaille. Ich denke, Walther, Beckmesser, Sachs, vielleicht sogar Eva und David sind alles Aspekte einer Person. So sieht sich Sachs mitunter in David, wenn er flirten will... Diese Erkenntnis trägt dazu bei, wie ich die Oper inszeniere, nämlich, dass sich alles um Hans Sachs dreht. Er projiziert sich in die verschiedenen Figuren und spiegelt sich fast immer in ihnen. Es werden in ihnen verschiedene Aspekte von Sachs gezeigt. Eine komplexe, etwas dramaturgische Methode, die mich fasziniert! Manchmal scheint es fast, als gäbe es keine andere Person in dem Stück, das Ganze wird immer mehr zu einem Monodram mit Sachs, in dem wir immer tiefer in seine Gedanken eindringen.