© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor

Raymonda

Wenn sich am 11. März der Vorhang zu Raymonda hebt, geschieht dies zugleich im Gedenken an den Geburtstag des Choreographen Marius Petipa, der sich an diesem Tag zum 200. Male jährt.

Petipa bezeichnete sich in seinen Tagebüchern selbst als „Phänomen“, eine Einschätzung, die getrost unterstrichen werden darf. Mit über 70 Balletten (Tänze in Opern noch nicht mitgerechnet), deren Meisterschaft in Werken wie Dornröschen oder Der Nussknacker – beide in enger Zusammenarbeit mit Peter Iljitsch Tschaikowski, die zugleich einen neuen Standard für die künstlerische Produktion von Balletten definierte, der bis heute verbindlich blieb – gipfelte, schrieb sich der unermüdliche Altmeister der klassischen Tanzkunst unauslöschlich in deren Geschichte ein.
Raymonda (1898) war das letzte große Ballett Petipas, das Aufnahme in das internationale Repertoire fand – sein chronologisch wirklich letztes, der 1903 uraufgeführte Zauberspiegel, war in dieser Hinsicht weniger glücklich – gleichwohl seine Entstehungsgeschichte keineswegs unproblematisch verlief.
Dies lag vor allem an Unwägbarkeiten des Librettos zu Raymonda, welches im Zuge seiner Entstehung eine Reihe an Umarbeitungen erfuhr und dessen Endgestalt maßgeblich durch die Hand des damaligen Direktors des kaiserlichen Theaters Iwan Wsewoloschski (1835 -1909) mit bestimmt wurde. Weitere Probleme entstanden durch die Unerfahrenheit von Petipas neuem musikalischen Arbeitspartner auf dem Sektor der Ballettmusik, dem genialen Komponisten Alexander Glasunow (1865-1936), welcher durch den frühen Tod von Tschaikowski (1840-1893) auf den Ersten Platz der russischen Symphoniker nachgerückt war. So gab Glasunow beispielsweise die Partitur zu Raymonda an seinen Verleger weiter, noch bevor die notwendigen und abschließenden Einrichtungen daran mit Petipa abgesprochen bzw. beendet waren und der erfahrene Choreograph brachte brieflich seine Verzweiflung zum Ausdruck: „M. Glasunow will keine einzige Note in der Variation für Mme. Legnani ändern und keinen kleinen Strich im Galopp gestatten. Es ist schrecklich, ein Ballett zu verfassen, wenn man es mit einem Komponisten zu tun hat, der das Ballett schon im Voraus an einen Verleger verkauft hat und drucken lässt.“ Dank der gemeinsamen Überwindung solcher Startschwierigkeiten trug und trägt jedoch gerade die Musik zum Erfolg der Raymonda bei. Im Zuge zweier weiterer einaktiger Kooperationen zwischen Petipa und Glasunow (Ruses d’amour und Les Saisons) entstanden darüber hinaus Perlen, die im heutigen Theaterbetrieb leider viel zu wenig beachtet werden.
Bemerkenswert ist auch der dramaturgische Bau der Raymonda, die sich „technisch“ als ein „durchgehendes Divertissement“ darstellt und damit das von Petipa in Dornröschen zur Perfektion geführte Konzept des Ballettdivertissements ins Extrem übersteigert. Mit dem Erreichen dieses Grenzwertes der „musiko-choreographischen Methode Petipa“ ist die Geschichte des großen zaristischen Balletts zugleich an ihrem Ende angekommen, gleichwohl viele Arbeitsgemeinschaften im zwanzigsten Jahrhundert (wie etwa John Cranko und Benjamin Britten) sich gewinnbringend an ihr orientierten. Gerade in Anbetracht des neu erstarkenden Interesses am abendfüllenden Handlungsballett gilt somit auch zweihundert Jahre nach seiner Geburt der von Bronislawa Nijinska geprägte Satz „Petipa hat gesiegt“ – möge sein Werk noch viele Jahrhunderte die Bühne bereichern.

Oliver Peter Graber


Raymonda | Rudolf Nurejew
9., 10., 11., 13. März 2018
02., 07., 12., 14. April 2018
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