© Gregor Hohenberg

Prominente Debüts für einen Revolutionär

Alberto Franchetti? Nur wenige kennen heute seine Namen. Dabei war er zu Lebzeiten der größte Konkurrent von Giacomo Puccini. Wie er ein Liebling der Frauen und Gesellschaft sowie ein fanatischer Auto-Liebhaber. Gegen den Widerstand seines Vaters, eines adeligen Großgrundbesitzers, studierte der 1860 in Turin Geborene Musik in seiner Heimatstadt, in Venedig, später in München und Dresden, wo Joseph Rheinberger und Felix Draeseke zu seinen Lehrern zählten. Mit Asrael feierte er seinen ersten Opernerfolg und erregte das Interesse Giuseppe Verdis. Über dessen Empfehlung erhielt den Auftrag, zur Vierhundertjahrfeier der Entdeckung Amerikas eine neue Oper für das Opernhaus von Genua zu schreiben: sein vieraktiges dramma lirico Cristoforo Colombo, mit dem er seinen größten Erfolg hatte.

Ob ihm der auch mit Andrea Chénier treu geblieben wäre? Luigi Illica schrieb das Libretto ursprünglich für Franchetti, der er dann Umberto Giordano überließ. Der nutzte diese Chance brillant, feierte gleich mit der Uraufführung der am 28. März 1896 am Teatro alla Scala in Mailand uraufgeführten Oper einen Triumph. Das hatte der 1867 in Foggia geborene, in Neapel ausgebildete Komponist auch nötig. Erste Opernversuche, der Einakter Marina und Mala vita, wurden entweder nicht publiziert oder entfachten wegen ihres Naturalismus heftige Proteste. Auch mit der 1894 in Neapel uraufgeführten Oper, Regina Diaz, klappte es nicht.

Dafür aber mit diesem ihm von seinem Komponistenkollegen Francetti überlassenen Stoff, in dessen Mittepunkt der bedeutendste französische Lyriker des 18. Jahrhunderts steht: der 1762 in Galata bei Istanbul geborene, 1794, zwei Tage vor dem Sturz Robespierres und damit dem Ende von dessen Diktatur gestorbene, André Marie Chénier, der nur 31 Jahre alt wurde.

Abwechslungsreich war sein Leben trotzdem. Zuerst lebte der Sohn eines Tuchhändlers, der nebenberuflich französischer Konsul war, in Instanbul, übersiedelte anschließend mit der Familie nach Paris, wo er am Collège de Navarre eine humanistische Ausbildung erhielt. Im Salon seiner aus Griechenland stammenden Mutter vertiefte er sich durch Begegnungen mit Literaten, Gelehrten und Naturforschern in die griechische Antike und verfasste Gedichte nach griechischen und lateinischen Vorbildern. Nachdem der Versuch, Offizier zu werden, gescheitert war, unternahm er Bildungsreisen in die Schweiz und nach Italien, wurde für einige Jahre Sekretär des französischen Botschafters in London. Zurück in Paris, engagierte er sich für eine konstitutionelle Monarchie, bekämpfte die revolutionären Jakobiner, vor denen er flüchten musste, als sie an die Macht kamen. Verraten, verbrachte er die Zeit bis zu seiner Hinrichtung im Gefängnis, schmuggelte in der Schmutzwäsche die dort entstandenen, stark politischen Gedichte an seine Familie. Trotz zahlreicher Bemühungen konnte man seinen Tod durch die Guillotine nicht verhindern. Chénier war ein Lebemann. Dass er sich in eine Adelige verliebt hätte, die bereit war, für ihn in den Tod zu gehen, ist nicht bekannt. Auch von einem Gérard weiß man nicht. Ob sich Illica für diesen vom Bediensteten zum Revolutionär Gewandelten, der seine Humanität nicht über Bord wirft, von Chéniers Bruder Marie-Joseph inspirieren ließ, von dem manche meinen, er hätte diesen verraten? Anregen zu seinem Textbuch ließ sich Illica von den Werken Chéniers und biographischen Aufsätzen über ihn. Darüber hinaus von der von den Brüdern Edmond und Jules Goncourt geschriebenen Geschichte der französischen Revolution und dem André Chénier-Roman von François-Joseph Méry. In diesem trifft man auf einen Gérard wie eine Marguerite de Pressy, die wie Maddalena am Schluss von Giordanos Oper mit Chénier gemeinsam in den Tod geht.

Illica hat diese beiden Personen in seinen Text einbezogen, um aus ihnen eine spannende Dreiecksgeschichte zu entwickeln. Es sind alles andere als schablonenhafte Figuren, vielmehr differenziert gestaltete Charaktere, die nach entsprechenden Singschauspielern verlangen. Man braucht dafür nur die Titelfigur selbst heranziehen: ein Dichter als Kritiker politischer Zustände, zugleich ein sensibler Poet, der sich für eine neue Epoche stark macht. Aber auch ein intensiv Liebender.

Erstmals wird Jonas Kaufmann diese von den Größten seines Fachs geschätzte Partie im Haus am Ring übernehmen. „Musik ist eine Sprache, mit der man jedes Herz und jede Seele überall auf der Welt erreichen kann. Mit ihr kann man Gefühle ohne Worte ausdrücken. Die menschliche Stimme ist das natürliche Ur-Instrument – das Ideal, dem alle Instrumente nachempfunden sind“, hat er in einem Gespräch mit Thomas Kunze sein grundsätzliches künstlerisches Credo genannt. Erst einmal hat er in seiner Heimatstadt München Mathematik studiert, ehe er sich an der dortigen Hochschule für Musik und Theater zum Opern- und Konzertsänger ausbilden lies. Am Saarländischen Staatstheater hatte er sein erstes Festengagement. 1999 debütierte er bei den Salzburger Festspielen, 2001 gastierte er mit Cassio in Verdis Otello an der Lyric Opera Chicago erstmals in den Vereinigten Staaten. 2006 folgte sein Met-Debüt in der Partie des Alfredo, mit dem Tamino sein erster Auftritt an der Wiener Staatsoper. Seitdem war er hier in den Titelpartien von Gounods Faust, Wagners Parsifal und Massenets Werther, als Des Grieux in Manon, als Dick Johnson in La fanciulla del West und Cavaradossi in Tosca sowie im Rahmen der Liederabende-Reihe mit einem Mahler-Strauss-Britten-Recital zu Gast. Längst gibt es kaum mehr ein Opern- oder Konzerthaus, bei dem der mit zahlreichen Preisen für seine Einspielungen bedachte Tenor nicht aufgetreten ist. Darunter bei der Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele 2010 in der Titelpartie der von Hans Neuenfels szenisch, von Andris Nelsons musikalisch betreuten Neuinszenierung von Wagners Lohengrin mit Anja Harteros als Elsa. Mit ihr gastiert Kaufmann nun erstmals an der Staatsoper. „Jahrhundertsopran“ oder die „Stradivari unter den Stimmen“: das sind nur einige von zahlreichen Versuchen, der Kunst dieser Sopranistin griechisch-deutscher Abstammung nahezukommen. Ausgebildet in Deutschland wurde sie Ensemblemitglied am Schillertheater der Stadt Gelsenkirchen und Wuppertal, später in Bonn, ehe ihr mit dem Gewinn des Cardiff Singer of the World-Wettbewerbs 1999 der Durchbruch gelang, der sie rasch an die ersten Bühnen der Alten und Neuen Welt führte, 2002 erstmals an die Wiener Staatsoper als Micaëla in Bizets Carmen. Zu den weiteren hier gesungen Partien zählen die Alcina in Händels gleichnamiger Oper, die Arabella, die Feldmarschallin im Rosenkavalier, die Eva in den Meistersingern, die Elisabetta in Don Carlo, die Mimì in La Bohème, die Contessa in Le nozze di Figaro, Donna Anna in Don Giovanni, Desdemona in Otello oder die Tosca. 2014 gestaltete sie hier einen Liederabend.

Gleich Jonas Kaufmanns Andrea Chénier ist auch ihre Maddalena ein Rollendebüt im Haus am Ring: am 23. April mit Reprisen am 26. und 29. April sowie 2. Mai. Roberto Frontali singt den Gérard, Marco Armiliato dirigiert.

Walter Dobner


Umberto Giordano
Andrea Chénier

23., 26., 29. April, 2. Mai 2018

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