Platz für die Fantasie
Sebastian Holecek und Axel Kober debütieren in Hänsel und Gretel.
Viele Jahre, ja: Jahrzehnte stand Hänsel und Gretel – ein Standardwerk der deutschen Opernliteratur – nicht auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Sehr zu Unrecht! Denn die Märchenoper, am 23. Dezember 1893 in Weimar, dirigiert von Richard Strauss, uraufgeführt, ist ein Meisterwerk. Sagte schon Gustav Mahler, und sagten viele namhaften Dirigenten nach ihm, die sich in die Aufführungstradition Strauss-Mahler stellten. Sagte auch Christian Thielemann, der Dirigent des Staatsopern-Comebacks von Hänsel und Gretel im letzten Jahr, und meint auch Axel Kober, der mit diesem Werk als Dirigent an der Wiener Staatsoper debütiert: „Das Meisterhafte besteht darin, dass Humperdinck unglaublich viele Stimmen kunstvoll miteinander zu verweben versteht, gleichzeitig aber jede einzelne so unglaublich schön und melodiös ist, dass man meint, sie wäre die Wichtigste.“ Das Meisterhafte besteht aber auch darin, dass Hänsel und Gretel gleichermaßen Kinder wie Erwachsene anspricht. Das junge Publikum nicht nur, weil die Handlung hinlänglich bekannt ist, sondern auch, weil die Musik ein paar unbedingt kindgerechte Schlager enthält. Und Erwachsene, weil Humperdinck, als Verehrer und Assistent Wagners eine Post-Wagner-Oper schrieb, die süffig, komplex, großdimensioniert und poetisch ist. So nennt Sebastian Holecek, der heuer zum ersten Mal den Vater Peter Besenbinder an der Wiener Staatsoper singt, das Werk ein „Faszinosum“, das einem spätestens beim Abendsegen Tränen in die Augen treibt: Kindern wie Eltern, beide gleichermaßen beseelend. Und daher muss der Vater auch, so Holecek, für beide gleichermaßen plastisch gemacht werden. „Alles nur nicht eindimensional“soll er sein, und vor allem nicht: unsympathisch. „Ein quirliger Mensch, der stolz ist, dass er zur Abwechslung opulentes Essen nach Hause bringt. Die Musik hat einen Zug, auf den man sich gut draufsetzen kann – und muss!“ Jedenfalls aber: „Ein liebevoller Vater, zu seinen Kindern und zu seiner Frau.“ Und nicht zuletzt die Hexenerzählung muss so spannend sein, dass es den Kleinen – und vielleicht auch den Großen – kalt über den Rücken läuft. Eine leichtere Partie, zwischen all den Scarpias, Pizarros (wie zuletzt in Rom unter Pappano), Jochanaans, Escamillos, die Holecek aktuell zwischen Wien, Hamburg, Stuttgart und London singt? „Nein,“ lachter. „Das kann man nicht ,nur so‘ singen, da spielt es sich ordentlich ab! Humperdinck hat mit der Orchestrierung nicht gespart und verlangt vom Peter stimmlich viel Vollgas, wobei auch zartere Töne zu singen sind. Das muss man sich genau einteilen.“ Auch für den Dirigenten ist Hänsel und Gretel kein einfaches Werk. „Das Herausfordernde ist, die genannte Verwobenheit und Wagnersche Dichte dennoch schlicht klingen zu lassen, liedhaft, leicht“, so Kober. Dass Humperdinck als Komponist ein Meister war, beschreibt Holecek auch in der Behandlung der Singstimmen: „Die Besenbinder-Partie ist sehr gut geschrieben, im Zentrum der bassbaritonalen Stimme. Humperdinck kannte sich mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Sänger aus!“ Und dass er diese Rolle – nach der Münchner Staatsoper, der Volksoper und Salzburg – nun auch an der Staatsoper singt, freut ihn besonders: „Schon seit den Zeiten, in denen ich in der Staatsoper als Kind war, vor allem, um meinen Vater zu sehen, ist mir das Haus heilig! Und seit ich die Götter – Czerwenka, Hotter, Berry, Waechter und viele andere – auch bei uns daheim erleben durfte.“ Wichtig ist ihm jedoch diesmal – wie stets – auch das Eine: Dass der Abend vielgestaltig wird „und Platz für die Fantasie lässt.“ Für Kinder wie Erwachsene.
Oliver Láng
Hänsel und Gretel | Engelbert Humperdinck
29. Dezember 2016,
2., 5. Jänner 2017
Dirigent: Axel Kober
Mit: Sebastian Holecek, Donna Ellen, Margaret Plummer, Chen Reiss, Michaela Schuster, Maria Nazarova