Oliver Rathkolb im Interview

Im September findet an der Wiener Staatsoper ein großes Symposium statt. Mastermind Oliver Rathkolb berichtet im Interview über Schwerpunkte, die Ausrichtung und den Blick in die Zukunft.

Jubiläen werden bekanntlich immer wieder gerne als Nabelschau herangezogen, bei der man in erster Linie die Erfolge der Vergangenheit preist. Die Frage an den Historiker und Zeitgeschichtler: Wie gehen Sie mit großen Jubiläen um?
Oliver Rathkolb: Es gibt in diesem Zusammenhang ein interessantes Phänomen: Je turbulenter und unübersichtlicher die gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, desto größer wird die Bedeutung und Wirkungsmacht von Jubiläen. Offensichtlich sind die Menschen, und da nehme ich mich nicht aus, in Zeiten rasanter Entwicklungsschübe auf der Suche nach soliden Pfeilern, nach einer Basis, auf der man aufbauen und neue Konzepte für die Zukunft entwickeln kann. Ich finde, dass man das durchaus als Chance sehen darf, mit einem kritischen Blick zurück eine solide Basis zu schaffen, um auf  dieser neue Modelle und Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Das Symposium im September behandelt nicht nur das Haus am Ring, sondern weit mehr.
Oliver Rathkolb: Mit gutem Grund. Die Wiener Oper hat ja nicht nur eine Historie in Bezug auf das Gebäude am Ring, sondern auch eine umfangreiche Geschichte davor. Diese „Longue durée“ war eine Idee von Direktor Dominique Meyer, der das Gesamtprojekt initiiert hat. Und die musikalische und institutionelle Entwicklung der Oper im langen Entwicklungsstrang zu sehen, finde ich sehr spannend, verbunden mit der Frage, was in den Bundesländern oder im zentraleuropäischen Raum im 19. und 20. Jahrhundert passiert ist. Das ist nicht nur eine intellektuelle oder historische Fingerübung, sondern bietet viel Stoff für Gegenwarts- und Zukunftsdebatten, wo Musiktheater heute steht und wohin es gehen wird.

Nach welchen Paradigmen wird dieser umfangreiche Stoff – die Geschichte der Oper in Wien – abgearbeitet? Da muss man ja zwangsläufig Schwerpunkte setzen.
Oliver Rathkolb: Ich glaube, ein wichtiger Aspekt für die Referentinnen und Referenten ist zunächst einmal, einen möglichst knappen Text zu präsentieren, vieles also zu komprimieren, obwohl alle über umfassendes Wissen verfügen. Natürlich sollen die zentralen politischen Dekaden abgedeckt werden. Und natürlich muss man Schwerpunkte setzen und sich anschauen, wo die großen Entwicklungsschübe liegen. Man kann ja nicht alle Künstlerinnen und Künstler, alle Verästelungen beschreiben, das ist aber auch nicht notwendig, da es seitens der Wiener Staatsoper Publikationen geben wird, die sich mit diesen Themen auseinander setzen. Mir ist es wichtig, Akzente zu setzen und den jeweiligen kulturpolitischen Rahmen dazuzustellen. Ein Beispiel: Im 19. Jahrhundert wurde, im Gegensatz zur Barockzeit, der Versuch unternommen, die Kunstsparte Oper einem möglichst breiten, bürgerlichen Publikum zu öffnen und sie nicht nur wenigen Ausgewählten zugänglich zu machen. Es gab aber unterschiedliche Orte für unterschiedliche Besucher, also etwa Ränge versus Logen. Wie sich die gesellschaftliche Struktur durch das Publikum zog, merkte man bei der Eröffnung des Hauses, als nach der Pause die imperialen, aristokratischen Besucher verschwanden und fein essen gingen – und das „echte“ Publikum übrigblieb. Für mich ist die Oper des 19. Jahrhunderts etwas, was mit dem Emotionalen in Verbindung steht: Die Gesellschaft ist in Bewegung, es gibt zwar noch eine hierarchisierte Gesellschaft, aber es tut sich viel im Sinne einer Auflösung der alten Bindungen und Regeln. Das ist ein Aspekt, den man auch an den Opernstoffen nachvollziehen kann. Man sieht also eine Parallele zwischen dem Geschaffenen und den sozialen Entwicklungen. Das sieht man auch an der Konstruktion des Nationalismus’ und der Nationalstaaten, eine Entwicklung, die im 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und der Shoa eine furchtbare Richtung eingeschlagen hat. Das Spannende an der Oper in dieser Zeit vor 1914 ist, wie es Robert Schlesinger einmal ausgedrückt hat, jedenfalls die emotionale Revolution.

Ist Musiktheater nun nur etwas, das die gesellschaftlichen und politischen Umstände reflektiert oder macht Oper selbst Politik?
Oliver Rathkolb: Ich glaube, das hängt immer von den politischen Rahmenbedingungen ab, ganz generell ist Oper aber natürlich immer ein Spiegel ihrer Zeit. Am stärksten sieht man das bei uns in der Zeit des Nationalsozialismus, als es massive Einschnitte in die Traditionen der Wiener Oper gab. Der Opernbetrieb war bis dahin eine Art kultureller Schmelztiegel, alleine schon, wenn man sich anschaut, woher die einzelnen Musikerinnen und Musiker kamen. Da kann man die unterschiedlichen Identitäten, die es in der Habsburger- Monarchie gegeben hat, ablesen. Und das wurde durch die rassistische Politik, in der Jüdinnen und Juden ausgeschlossen, vertrieben, verfolgt und ermordet wurden, beendet. Die Wiener Oper verlor auch das Zentraleuropäische und Internationale. Es gibt die spannende Studie von Christian Merlin, die zeigt, wann die Internationalisierung Internationalisierung im Staatsopernorchester eingesetzt hat: unter Gustav Mahler. Das Interessante ist, dass wir heute wieder dorthin zurückgekommen sind, die Biografien der Künstler im Ensemble der Wiener Staatsoper sind wieder ganz international. Das kosmopolitische Element ist zurückgekehrt.

Wie stark baut sich da ein Spannungsfeld zwischen Globalisierung und unverwechselbarer Identität auf?
Oliver Rathkolb: Aus der Perspektive des Zeithistorikers gesehen glaube ich, dass Musik im Allgemeinen eine noch wichtigere Aufgabe hat als vor 20 oder 30 Jahren. Und zwar, um diesen für viele angstmachenden kulturellen Globalisierungsschub zu verarbeiten und so eine kulturelle Verhandlungsbühne zu werden. Das finde ich sehr wichtig. Da zeigt sich auch, wie gegenwärtig Musiktheater ist!

Wie weit ist das Symposion ein Strich unter eine Entwicklung und eine Zusammenfassung dessen, was wir wissen und wieweit ein Anstoß, in die Zukunft zu schauen?
Oliver Rathkolb: Es ist gelungen, und da bin ich Direktor Meyer und den Mitherausgebern der aus der Tagung entspringenden Bände sehr dankbar, einen großen Teil der musikhistorischen Intelligenz hier in der Wiener Staatsoper versammeln zu können und sie zu bitten, ihr Wissen zu bündeln und zusammenzufassen. Insofern ist das Symposium zunächst einmal ein Überblick über eine Entwicklung, die sich ereignet hat. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass sich gerade aus dieser Entwicklung der Blick auf die Zukunft ergibt. Aus diesem Grund haben wir ja eine zweite, kürzere Tagung im Mai initiiert, die mit dem gewonnenen Wissen die Zukunft der Oper thematisiert. Dabei geht es weniger um eine Lehre aus der Geschichte – das funktioniert ja leider bekanntlich schlecht, sonst würden wir alle in einer viel besseren Welt leben – aber man kann sich aus dem Historischen eine reflexive Basis für die Gegenwart und Zukunft holen. Das lassen wir bewusst ein bisschen offen.

Das Gespräch führte Oliver Láng


Symposium
Geschichte der Oper in Wien
17.-19. September 2018
Gustav Mahler-Saal
Eintritt frei!

SYMPOSIUMS-PROGRAMM