Olga Bezsmertna
Ihr Einstieg an der Wiener Staatsoper hätte aufregender kaum sein können: Nur wenige Wochen nach ihrem Engagement als Ensemblemitglied des Hauses sprang Olga Bezsmertna spektakulär in der Rolle der Dame in Paul Hindemiths Cardillac ein. „Man kann sogar in der Rolle der eitlen Dame ein Hausdebüt feiern, das Kenner aufhorchen lässt: Olga Bezsmertna stellte sich als Besitzerin eines wohllautenden, sehr ausdrucksstarken Soprans, volltönend in allen Lagen vor. Von dieser Prachtstimme wird man mit Sicherheit in nächster Zukunft auch im gängigen Repertoire Aufregendes zu hören bekommen“ las man zum Beispiel in der Presse. Für die Sängerin selbst lief die Vorbereitung auf diesen Abend eher unspektakulär ab. „Um ehrlich zu sein: Ich verstand im Vorfeld fast gar nicht, was eigentlich passiert, auch, weil alles so schnell ging. Abgesehen davon war an der Wiener Staatsoper alles so neu für mich, so ungewohnt. Ich bekam die Chance einzuspringen, und ergriff sie. Erst am Vorstellungstag dachte ich mir: ,Oh Gott!’ In meinem Kopf begannen die Gedanken zu kreisen und ich betete zu Gott, dass alles gut gehen solle!“ erzählt die Sopranistin. Und lacht: „Danach verstand ich dann so richtig, was geschehen war…“ Geschehen war also ein erfolgreiches Hausdebüt, das nicht nur seitens der Kritik – siehe oben – positiv bewertet wurde, sondern vor allem auch seitens des Publikums. Nur eine war nicht ganz zufrieden: Bezsmertna selbst. „Ach, ich bin so ein schrecklich selbstkritischer Mensch. Eigentlich denke ich mir immer: dies oder das hättest du besser machen können. Das Maximum an Positivem ist, dass ich mir sage: ,Naja, das war okay!’ “ Um sich auch wirklich beurteilen zu können, hört sich die Sängerin Aufnahmen ihrer Auftritte an. „Denn wenn man auf der Bühne steht, geht alles so schnell, man ist zu sehr beschäftigt, um sagen zu können, wie man wirklich war.“ Und da eine zusätzliche Kontrolle nie schadet, schickte sie zum Beispiel eine Tonaufnahme ihres Hausdebüts an ihre Pianistin nach Kiew, die sich ebenfalls kritisch mit der Leistung auseinandersetzte.
Bezsmertna, die in Kiew studierte, war Gewinnerin mehrerer wichtiger Wettbewerbe wie etwa des Gesangswettbewerbs der Bertelsmann Stiftung, bevor sie an das Haus am Ring engagiert wurde. Als ihre derzeitigen Lieblingsrollen nennt sie die Contessa d’Almaviva und Marguerite, aber auch Mimì. „Wobei“, lacht Bezsmertna, „ich mich als Charakter manchmal mehr wie Musetta fühle und nicht wie Mimì! Stimmlich sind diese Partien aber alle wie gemacht für mich. Aber auch die Leonora in Il trovatore, die Lisa in Pique Dame, die Tatjana in Eugen Onegin, das sind alles Idealpartien. Wenn ich sie singe, spüre ich: Das ist meins!“ Eine weitere – noch ein wenig in Ferne befindliche – Rolle nennt sie ebenfalls: die Tosca. Wie sie auch Partien von Wagner und Strauss im Kopf hat, allerdings ebenfalls erst in ein paar Jahren. „Meine Lehrerin sagte immer: ,Olga, du kannst im Grunde mit deiner Stimme alles singen. Aber du musst spüren, dass es für dich richtig ist.’ Und bis jetzt konnte ich diesem Gefühl sehr gut vertrauen.“
Etwas später im Interview berichtet Olga Bezsmertna von einem weiteren Herzensberuf, jenem der Regisseurin. „Das ist mein Traum. Nicht jetzt, aber in einigen Jahren. Schließlich habe ich in Kiew auch zwei Jahre Regie studiert. Und wenn ich eine Partie szenisch erarbeite, dann gibt es zwar das Konzept vom jeweiligen Regisseur, vieles aber entwickle ich selbst. Entsprechende Ansätze sind also schon da …“ Und die private Olga Bezsmertna? Die widmet sich, so erzählt die Sängerin, in erster Linie ihrer Familie. Ihre dreieinhalb Jahre alte Tochter – „schauspielerisch und gesanglich sehr begabt!“ – streckt bereits ihre ersten Fühler in Richtung Musik aus. Grundsätzlich möchte Bezsmertna aber Beruf und Familie nach Möglichkeit trennen. „Ideal ist: 50 zu 50 Prozent. Manchmal überwiegt natürlich das eine, dann das andere. Aber man sollte als Künstler immer versuchen, einen Ausgleich zwischen diesen beiden Elementen zu finden!“
Oliver Láng