Nicht über Elina nachdenken
KS Elīna Garanča singt den Octavian und gibt ein Solistenkonzert
Als überschwänglicher, schwelgerischer Octavian und als komisches Mariandl ist Elīna Garanča darstellerisch wie sängerisch eine stets aufs Neue hinreißende Rosenkavalier-Besetzung. Nach drei Jahren singt sie diese Partie wieder in Otto Schenks Rokoko-inspirierter Staatsopern-Inszenierung. Und gestaltet bei einem Solistenkonzert gemeinsam mit Malcolm Martineau ein neues Liedprogramm mit Werken von Brahms, Duparc und Rachmaninow. Während einer Autofahrt führte sie mit Oliver Láng das folgende Gespräch.
Wenn Sie den Octavian gestalten: Berühren Sie immer dieselben Stellen in der Oper, oder fällt Ihnen einmal dies, einmal das, je nach Tages- oder Lebensverfassung, stärker auf?
Elīna Garanča: Das ist beim Octavian wie bei allen anderen Rollen. Was mir aber gerade besonders auffällt ist, dass die Weltsicht und die Ideologie eines 17jährigen, also von Octavian, sich langsam von mir entfernen. Mit dem Älterwerden verstehe ich die Welt der Marschallin, ihre Lebensweisheit immer besser. Und das, obwohl ich über die DENKEN Marschallin als Rolle nicht nachdenke. (lacht) Nur, damit Sie sich nicht in der nächsten Frage erkundigen, ob ich plane, die Marschallin zu singen: Nein, ich plane es nicht, wenigstens nicht in naher Zukunft.
Haben Sie eine Statistik über Ihre Octaviane geführt? Bei wie viel Aufführungen stehen Sie gerade?
Elīna Garanča: Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht genau. Wahrscheinlich an die 40?
Wie erzeugen Sie eigentlich authentische Rollenbilder? Wie sind Sie Octavian und verhindern, dass Sie nur Elīna sind, die wiederum Octavian spielt?
Elīna Garanča: Indem ich, wenn ich Octavian bin, gar nicht über all das nachdenke, und vor allem nicht über Elīna nachdenke. In diesem Moment bin ich Octavian und keine Sängerin, die Octavian spielt. Das Publikum soll ja nicht mich, sondern Octavian sehen. Wenn ich auf der Bühne als Mann die Beine beim Sitzen breit stellen muss, dann tue ich es. Ich versuche als Octavian das zu machen, was ich als Frau von einem Mann erwarten würde. Denn: Octavian ist … ein Mann. Und, um es ganz brutal zu formulieren: Wenn es die Rolle als Mann erfordert, dass ich mich in den Schritt greife, dann mache ich das eben. Über Elīna denke ich da nicht nach.
Wenn es allgemein anerkannte Sternminuten in der Opernliteratur gibt, dann gehört das Schlussterzett aus dem Rosenkavalier sicherlich dazu. Für Sie als Sängerin ist dies aber nur ein halbes Vergnügen, weil Sie nie ganz selbstlos schwelgen können?
Elīna Garanča: Das stimmt natürlich. So ganz verlieren in der Musik und im Text kann ich mich ja nicht, denn es ist ja immer noch Rhythmus da, den man richtig singen muss, es sind Einsätze da, die stimmen müssen und es ist eine Stimme da, die ich halten muss. Ich muss natürlich „da“ sein, und nicht losgelöst, mich vergessend, irgendwo. Aber genauso natürlich spürt man auch als Sängerin, dass es diese nicht festzumachenden Momente gibt, in denen das Crescendo immer größer wird, die Intensität zunimmt, bis alles in einer Ekstase explodiert. Das zieht uns als Sänger natürlich mit. Da wissen wir auf der Bühne schon, dass wir etwas geschafft und geschaffen haben. Ganz vergessen darf man sich nicht, aber man erlebt schon einen musikalischen Höhepunkt. Auch auf der Bühne.
Ob nun Oper oder Liederabend: Für wen machen Sie das Ganze eigentlich? Für sich, weil Sie einfach singen wollen oder für ein Publikum, dass sich beschenken lassen darf?
Elīna Garanča: Ich würde sagen: für beide!
Sie singen beim Solistenkonzert ein reines LiedProgramm, keine Arien. Hätte sich ein Opernhaus nicht für Arien angeboten?
Elīna Garanča: Wissen Sie, ich liebe das Lied an sich. Genau genommen komme ich aus einer Lied-Tradition, weil meine Mutter Lied-Sängerin war. Ich liebe diese Feinheiten, die dieses Genre bieten kann, ich empfinde die Intimität, die einem ein solches Konzert schenkt, als etwas ganz besonderes. Man zeigt sich dem Publikum von einer anderen Seite, hat kein Orchester im Rücken, spielt keine Rolle, sondern ist ganz man selbst. Hier steht man also, nackt und ungeschützt, ohne Kostüm, Perücke, Bühnenbild, ohne Kollegen, die einem helfen oder mit denen man in eine Konkurrenz tritt, nur ich und ein Klavier. Ich finde, das ist etwas ganz anderes als Opernarien zu singen: Wenn ich einen Liederabend mache, dann mache ich lieber einen, der nicht das eine mit dem anderen mischt. Also: Lied oder Oper. Entweder das eine, oder das andere. Entweder man hat in einem Liederabend etwas zu sagen, oder nicht. Und ich glaube auch, dass das Publikum diese reinen Liederprogramme schätzt.
Können Sie die Erfahrung aus Opernabenden dennoch einbringen?
Elīna Garanča: Ja, sicher. Ein Sänger wächst ja auch auf der Opernbühne. Alles, was ich im Alltag privat erlebe, trage ich auf die Opernbühne und bereichere damit meine Rollen. Und alles was ich auf der Opernbühne als Sesto, Carmen oder Octavian gelernt habe, bringe ich in einen Liederabend ein. Ich denke nicht, dass eine Sängerin das Liedgesicht oder das Operngesicht aufsetzen kann: je mehr Erfahrungen man hat, desto mehr hat man zu sagen.
Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie die Lieder aus, die ins Programm kommen?
Elīna Garanča: Zunächst suche ich immer nach einer Thematik, aber es ist auch so, dass ganz allgemein die Lieder, also Musik und Text, mich ansprechen müssen. Ich habe auch immer im Hinterkopf, dass es Programme sind, die ich jahrelang singe, sie müssen mich also immer wieder verzaubern und begeistern können. Ein für mich interessanter Aspekt ist, dass sich meine Sicht auf die Werke verändert. Schumanns Zyklus Frauenliebe und -leben verstand ich anders, als ich verheiratet war und wieder anders, als ich Mutter wurde. Alles in allem suche ich lange nach den richtigen Liedern, und dass Brahms zum Beispiel einfach sehr gut zu meiner Stimme passt, ist ein nicht zu unterschätzendes Kriterium.
Gestalten Sie die Lieder als Einzelstücke oder stellen Sie diese in Beziehung zueinander, deuten mit einem auf ein anderes?
Elīna Garanča: Es geht mir darum, Stimmungen zu kreieren oder eine besondere Farbe zu treffen beziehungsweise zu erzeugen. Manchmal kombiniere ich Lieder, weil die Harmonien dazu einladen, oder sie thematisch weiterführend sind. Es gibt ja die berühmte goldene Regel bei solchen Abenden: einmal schnell, dann langsam. Einmal lustig, dann traurig. So einfach ist das aber natürlich nicht! Es kann auch lauten: traurig und wieder traurig, weil in der Traurigkeit ja unterschiedliche Farben eingebracht sein können. Es gibt eine melancholische Traurigkeit und eine dunkle Traurigkeit – was nicht dasselbe ist! So gesehen arbeite ich weniger an einem Bogen, der das gesamte Programm umfasst als an einer Kontinuität, die von einem Werk zu einem anderen führt.
Lernen Sie Text und Musik gemeinsam? Oder in zwei Anläufen?
Elīna Garanča: ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass mir die Melodie hilft, den Text zu lernen. Nur Text, ganz trocken: das könnte ich so nicht. Ich mache es anders: Ich nehme den Text mit dem richtigen Rhythmus und mit der angedeuteten Melodie auf und höre es immer wieder an. Dadurch lerne ich ihn.
Als Liedsängerin stehen Sie einen ganzen Abend auf der Bühne. Fehlt Ihnen da das zeitweilige Abgehen vom Podium, das Sie an Opernabenden haben?
Elīna Garanča: Es ist zumindest viel schwerer, wenn man die Bühne nicht verlässt. Es gibt einfach keine Pause zum Sammeln, kurz Verschnaufen, Wassertrinken. Und man ist, wie schon angesprochen, alleine. Aber gerade in dieser Zweisamkeit, die man mit dem Pianisten hat, liegt die große Chance. Dass man eine Intimität erschaffen kann wie an wenigen anderen Abenden. Dass man ganz persönlich wird: und gerade auch darum singe ich so gerne Liederabende!
KS Elīna Garanča ist im April als Octavian in Richard Strauss`Der Rosenkavalier und mit einem Solistenkonzert zu erleben.
Richard Strauss
Der Rosenkavalier
6., 9., 12. April
Solistenkonzert
KS Elīna Garanča | Mezzosopran
Malcolm Martineau | Klavier
15. April
KS Elīna Garanča singt ein Solistenkonzert im Großen Haus: Dabei gestaltet sie eine Reihe von Liedern von Johannes Brahms (unter anderem Wir wandelten, Alte Liebe, Es träumte mir, Von ewiger Liebe), Henri Duparc (u.a. Extase, Phidylé) und Sergei Rachmaninow (Dämmerung, Flieder, Singe nicht, du Schöne). Am Klavier wird sie von Malcolm Martineau begleitet. Martineau wurde in Edinburgh geboren, studierte am St. Catharine’s College in Cambridge und am Royal College of Music. Seit langem zählt er zu den bedeutendsten Begleitern seiner Generation und hat mit Künstlern wie unter anderem Dame Janet Baker, Olaf Bär, Barbara Bonney, Ian Bostridge, Angela Gheorghiu, Susan Graham, Thomas Hampson, Simon Keenlyside, Angelika Kirchschlager, Magdalena Kožená, Dame Felicity Lott, Christopher Maltman, Karita Mattila, Ann Murray, Anna Netrebko, Anne Sofie von Otter, Michael Schade, Frederica von Stade und Bryn Terfel gearbeitet. Auftritte führten ihn an alle wichtigen Häuser und zu den bedeutenden Festivals; eine umfangreiche Diskografie dokumentiert sein künstlerisches Schaffen.