Musik ist eine Reise in die Welt der Wunder
Mit seinem schön timbrierten, gut geführten Bariton beeindruckt der aus Georgien stammende Misha Kiria ebenso wie mit seinem schauspielerischen Talent – ganz gleich, ob er, wie meist, komische Partien zum Besten gibt oder machtgierige Potentaten, tragische Liebende wie den Michonnet in Adriana Lecouvreur oder gefährlich-rachsüchtige Charaktere à la Tonio in Pagliacci. Die großen europäischen Bühnen von den Salzburger Festspielen über die Mailänder Scala, die Bayerische Staatsoper bis hin zu Glyndebourne hat er bereits erfolgreich erobert und setzt nun mit seinem im April geplanten Debüt an der Canadian Opera Company in Toronto zum Sprung über den Atlantik an. An der Wiener Staatsoper debütierte er vor rund zwei Jahren als Dulcamara in Donizettis L’elisir d’amore. Nun folgen hier im Februar und März zwei weitere seiner Paradepartien: die Titelpartie in Don Pasquale und Don Magnifico in La cenerentola.
Misha Kiria im Gespräch mit Andreas Láng
An der Wiener Staatsoper haben Sie bisher Dulcamara gesungen, an der Volksoper Magnifico, in Salzburg waren Sie ein ausgezeichneter und sehr junger Gianni Schicchi und auch sonst überwiegen in Ihrem Kalender die heiteren Rollen. Selbst in der tragischen Forza singen Sie die komische Figur des Fra Melitone. Wie kam es zu dieser Fokussierung?
Zwar habe ich mittlerweile viele sehr unterschiedliche Rollen aus der Opernliteratur gegeben, doch kommen die komischen Rollen meinem
eigenen Wesen einfach am nächsten. Jeder der mich kennt, bezeichnet mich als Frohnatur und ich kann gar nicht anders, als diesem Befund zuzustimmen. Auf jeden Fall macht es mein humorvoller Charakter einfacher, lustige Charaktere zu verkörpern. Während meines Studiums an der Akademie der Mailänder Scala haben wir ebenfalls viel an komischen Opern gearbeitet, so zum Beispiel an Rossinis La cenerentola und La scala di seta, die ich auf der Bühne der Scala singen durfte, sowie Verdis Un giorno di regno, die ich am Teatro Filarmonico in Verona aufgeführt habe. Und spätestens als ich beim Verdi-Festival am Teatro Reggio di Parma mit dem Falstaff debütierte, wurde mir klar, dass mir das Singen dieses Repertoires sehr große Freude bereitet.
Sie kommen aus Georgien, das zwar nicht viele Einwohner hat, aber dennoch viele Sängerinnen und Sänger herausbringt. Wie können Sie sich das erklären?
Georgien hat eine sehr reiche Musikkultur. Die polyphone georgische Volksmusik wird seit tausenden von Jahren von Generation zu Generation weitergegeben. Es gibt keine Familie in Georgien, in der nicht mindestens ein Mitglied diese Volkslieder singen kann.
Sie haben Ihre Studien einerseits in Tiflis absolviert, andererseits auch an der Akademie der Mailänder Scala. Wie kamen Sie nach Italien und warum?
Ich wollte schon immer in Italien italienischen Operngesang studieren. Aber dieser unbedingte Wunsch und Wille allein war nicht ausreichend – es bedurfte natürlich auch sehr harter Arbeit! Das georgische Nahverhältnis zur italienischen Kultur wird übrigens auch durch ein greifbares Beispiel unterstrichen: 1851 entstand unter der Leitung des italienischen Architekten Giovanni Scudieri das erste Operntheater Georgiens, das dann auch noch mit Donizettis Lucia di Lammermoor eröffnet wurde.
Gab es für Sie eine berufliche Alternative?
Ich habe nie über eine Alternative nachgedacht. Die Frage hat sich einfach nicht gestellt. Ich wollte immer singen und auf der Bühne spielen.
Sie haben abgesehen von Ihrer Mitwirkung bei der Uraufführung von Animal Farm in Amsterdam fast ausschließlich italienisches Fach gesungen. Sie sprechen aber auch Deutsch, Russisch – wird es in diese Richtung auch etwas geben? Oder im Französischen Fach?
Tatsächlich besteht mein gesamtes Repertoire fast ausschließlich aus italienischen Partien. Aber in letzter Zeit höre ich besonders gern die Werke von Richard Wagner bzw. lese die entsprechenden Partituren. Für mich gibt es nichts Größeres und Grandioseres. Was das französische Repertoire betrifft, stand in der letzten Saison die Rolle des Sancho Pança in Massenes Don Quichotte an der Deutschen Oper in Berlin auf meinem Programm. Und aktuell bereite ich die Rolle der Sulpice in La Fille du régiment für München vor.
Unterschiedliche Sänger bereiten sich unterschiedlich auf Auftritte vor: Manche trifft man schon am Nachmittag in der Garderobe, weil sie sich schon einzusingen beginnen. Andere stehen spät auf und achten darauf möglichst ruhig zu bleiben, wieder andere lesen bis knapp vor dem Auftritt ein Buch. Ich kenne eine Sängerin, die muss vor jedem Auftritt ein ganzes Schnitzel essen. Wie sieht es bei Ihnen aus?
In meinem Fall ist es ganz einfach: Köstliche Spaghetti, eine Tasse Espresso und schon kann es losgehen. (lacht)
Kommen wir zur ersten Partie, die Sie jetzt bei uns singen werden: Ist Don Pasquale zu bemitleiden?
Don Pasquale ist, auch wenn er ein altmodischer Mann ist, ein guter Mann. Das zeigt sich schon daran, dass er am Ende das Spiel um seine Scheinheirat vergibt und die Heirat seines Neffen mit der ursprünglich abgelehnten Frau akzeptiert. Er müsste das ja nicht tun, denn die Maskerade wurde beendet, bevor er sich mit Ernesto versöhnt hat. Vielleicht spielt aber auch die Tatsache eine Rolle, dass er keinen anderen Erben hat und den Reichtum in der Familie behalten will…
Und wie sieht es mit der anderen Partie aus? Hat der »böse« und korrupte Stiefvater Don Magnifico auch eine positive Seite?
In den italienischen komischen Opern sind die Bösewichte nie wirklich böse, diese Opern erlauben meist keine wirklich tragischen Figuren. Der Text und vor allem der musikalische Kontext lassen dies nicht zu. Nach der Spannung des ersten Aktes folgt immer das Happy End des zweiten. Ja, wir stellen uns Don Magnifico gerne als einen positiven Charakter vor, dessen Leben nicht so gut gelaufen ist. Das Leben hat ihn zu einem liebenswerten Lügner gemacht, der nicht wirklich schlecht sein kein oder irgendjemandem das Leben ruinieren will, uns aber mit einigen meisterhaften und urkomischen Musiknummern unterhält: Wie könnte man ihn hassen? Und am Ende bereut er ohnehin was er getan hat. Die wahren Bösen sind eigentlich die anderen.
Was lieben Sie an der Musik Donizettis und was an der Musik Rossinis?
Donizettis Musik ist melodischer und jene Rossinis rhythmischer, sprudelnder. Beide begeistern mich auf ihre je eigene Art und Weise.
Was bedeutet Musik für Sie grundsätzlich?
Musik gibt mir die Möglichkeit wunderbare Reisen zu unternehmen – in eine Welt der Wunder, die anders nicht zu erreichen ist.
Kann es den Moment geben, wo Sie vorübergehend einfach keine Musik hören wollen? Zum Beispiel am Abend nach einer Probe? Eine bekannte Sängerin gab an, dass Sie in der Freizeit manchmal die Stille bevorzugt. Keine Musik, kein Theater, kein Gespräch – nur Stille.
Ich mag die Stille auch sehr, aber es kommt selten vor, dass ich selbst still bin. Nach den Proben und nach den Auftritten singe ich sogar doppelt so gerne: Wenn der Auftritt gut gelaufen ist, aus Glück und Freude, und wenn ich nicht zufrieden war, kann ich mich einfach nicht ausruhen, bis ich das behoben habe, was mir an dem Abend oder bei den Proben nicht gefallen hat.
Gibt es Rollen, die Sie inzwischen so im Blut haben, dass Sie mitten in der Nacht aufstehen und sie singen könnten?
Ja – einige sogar! Wenn Sie mich mitten in der Nacht aufweckten, würde ich Gianni Schicchi, Bartolo, Falstaff, Magnifico, Dulcamara singen – ohne auch nur einen Augenblick nachdenken zu müssen.
Haben Sie auch schon etwas von georgischen Komponisten aufgeführt?
Während meines Studiums am Konservatorium in Tiflis sang ich viele Lieder von georgischen Komponisten – lauter Werke mit einer außergewöhnlichen Musik. Und aktuell bereite ich in der Tat ein Solokonzert vor, in dem es auf jeden Fall neben der deutschen, französischen, russischen und italienischen vor allem georgische Musik geben wird.