MUSIK ALS GLÜCKSHORMON
Wollen Sie einen glücklichen Menschen erleben? Einen, der inmitten aller Lebensfragen und all dem, was auf den Menschen einstürmt, mit sich im Reinen scheint? Dann kommen Sie in die Staatsoper, schauen Sie in den Orchestergraben und erblicken Sie Luc Mangholz. Hier sitzt er, an der Position der Soloflöte. Vielleicht auch ein wenig positiv angespannt, wie es sich bei Vorstellungen gehört, sicherlich konzentriert. Womöglich war es auch kein guter Tag. Aber alles in allem: er ist glücklich. Und tatsächlich kommt dieses Wort erstaunlich oft im Gespräch mit ihm vor. Wenn es um den Beruf geht. Seine Position. Seine Karriere. Seinen Lebensweg.
Beitrag von Oliver Láng
Dieser hat ganz unspektakulär in Frankreich begonnen. Die Eltern, keine Musiker, aber musikinteressiert, ermöglichten ihren Kindern Instrumentalstudien. Im Falle der älteren Brüder: Klavier auf entspanntem Niveau, im Falle der Schwester: Geige mit Begeisterung. Und schließlich der Jüngste, eben Luc: Cello. Oder genauer: Cello sollte es werden, doch dann war da dieses Konzert mit dem Flötisten aus der Oper, das alles umkrempelte. Flöte, das musste es für den jungen Mangholz fortan sein. Also begann er das entsprechende Studium, und das ganz ohne Druck. »Meine Eltern haben mich unterstützt, aber nicht gepusht, es war anfangs immer Hobby und Spaß.«
Keine Erwartungshaltung, keine Helikoptersituation, keine elterliche Selbstverwirklichung, einfach nur musizieren. »Da hatte ich großes Glück«, so Mangholz. Spätestens mit elf oder zwölf Jahren erkennt er, dass es die Musik sein muss, die sein Leben bestimmen wird. Und schon mit zehn hat er »mehr geübt, als notwendig«. Wenn Sie nun aber einen sehr emsigen jungen Flötisten vor Augen haben, der kräftig und konsequent Tonleitern rauf- und runterpflügt und sich mit komplizierten Fingersätze knechtet, die er vielleicht später einmal brauchen könnte – dann haben Sie ein falsches Bild. Denn Mangholz musiziert einfach. Also: Wenig üben im technisch-professionellen Sinne, stattdessen Musik, Musik, Musik. »Einfach gespielt«, nennt er das. Weil es Spaß machte und schön war.
Mit 14 dann die Richtungsänderung. Eine Lehrerin erklärt dem Teenager, dass er nun im Alter wäre, etwas mehr in das technische Können zu investieren. Sonst kannst du Tschüss sagen zum Traum! Eine Nacht Tränen, dann der Entschluss, den Ratschlag ernst zu nehmen. Auch das war, im Nachhinein betrachtet, Glück. Denn durch das nun erworbene handwerkliche Können öffneten sich neue Türen für die musikalische Umsetzung. »Ich habe entdeckt, wie viel Technik bringt: Wenn man sein Instrument gut beherrscht, hat man den Kopf frei nur für Musik und muss nicht an das Wie denken.« In den folgenden Jahren kamen leise Anmerkungen aus der entfernteren Verwandtschaft: Ob denn die Musik ein »ordentlicher« Beruf sei? Ob Luc nicht doch etwas Anderes studieren sollte? Doch das ist nur ein Hintergrundrauschen, die Eltern halten zu ihm. »Sie informierten sich bei Lehrern, wie es mir mit dem Instrument geht, aber ließen mich machen, wie ich wollte. Vielleicht hatten Sie Sorgen und Stress bezüglich meiner Zukunft, die für Sie als Nichtmusiker nicht ganz klar war – aber sie sagten es mir nie, um mich keinem Druck auszusetzen.« Und ganz allgemein: »Es war schön, dass ich so viele positive und nette Menschen um mich hatte, die mich unterstützten«. Auch Einschränkungen galt es hinzunehmen: Urlaube, die dem Üben geopfert wurden. Feste mit Freunden, die sich zeitlich nicht ausgingen. Aber alles überstrahlt vom Sinn und der lautete: Musik.
Von nun an ging es schnell: Ein paar Probespiele, anfangs mehr zu Trainingszwecken, noch mehr Ausbildung, etwa an der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters, deren Mentaltraining-Programm dem Flötisten neue Einblicke und Sicherheit verleiht. Er wird unter anderem im Gustav Mahler-Jugendorchester und in Hamburg engagiert, spielt aushilfsweise im Luzerner Sinfonieorchester, im Konzerthausorchester Berlin, im Orchestre National de France und bei den Berliner Philharmonikern. Eine wichtige Station ist das NDR Elbphilharmonie Orchester, in dem er eine Saison lang engagiert ist, bevor er 2019 an die Wiener Staatsoper kommt. Diese ist: Eine ganz neue Welt, mit einem riesigen Repertoire und vielen neuen Herausforderungen. Die erste: Die Menge an Opern, die es nun zu bewältigen gilt. Einen Sommer lang bereitet sich Mangholz vor, lernt seine Soloflöten-Stimme für alle Werke, die in den nächsten Monaten am Spielplan stehen. Ganz unauffällig macht am Nachtkästchen das Buch Platz für einen Lautsprecher, aus dem Werke wie Rosenkavalier, Traviata und Salome erklingen. Ach ja, Salome: »Ich glaube, ich habe diese Oper 40mal angehört, wechselweise mit Partitur und Flöte.« Schwieriger wird die Phase, als der Vorrat an vorbereiteten Werken allmählich schrumpft. Intensive Wochen, in denen Mangholz übt, spielt, probt, übt, spielt und probt. Corona unterbricht diese Phase und macht dem Musiker nach Neustart des Kulturlebens einmal mehr klar, wie besonders doch sein Leben in der Kunst ist. Und wieder einmal fällt das Wort: Glück. Das habe er empfunden, als er wieder auf dem Podium beziehungsweise im Orchestergraben sitzen durfte. Und selbst dieser unglaublich fordernden, ersten Zeit, die für viele zum Prüfstein wird, gewinnt Mangholz ausreichend Positives ab: »So viele standen mir in dieser Phase bei. Kolleginnen und Kollegen im Orchester meinten immer wieder, wenn etwas unklar war: ›Keine Sorge, wir helfen dir!‹ Überhaupt, so viele in der Staatsoper unterstützten mich, quer durch die Abteilungen.«
Spannend war aber nicht nur der Weg ins Orchester, sondern auch das Eintauchen in eine besondere Klangtradition, die sich von der französischen in etlichen Punkten unterscheidet. »Der Ton ist reicher, wärmer«, meint er auf die Frage, was aus seiner Sicht den »Wiener Klang« ausmacht. Und auch kammermusikalischer. Vor allem aber sei er, je nach Repertoire, vielfältig. Wo andere sich auf einen, wenn sicherlich auch schönen und exzellenten Klang verließen, könne das Orchester der Wiener Staatsoper gleich eine ganze Palette anbieten: Der Grund dafür liegt nach Mangholz auch in der Ausbildung. An vielen Orten wird schon im Studium auf eine technisch sehr gute, aber stets ähnliche Phrasierung und Artikulation gesetzt. In Österreich und Deutschland spiele jede und jeder ein bisschen anders, und gerade diese Individualität mache die Sache so spannend. Die Addition dieser persönlichen Eigenheiten ergibt dann zum Teil auch die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Orchesterklanges. Wobei hier zu differenzieren ist: Natürlich müsse man sich im Orchester anpassen: »Wenn sich nach einem Solo sechzig Köpfe im Orchester zu einem drehen, dann weiß man, dass man es mit der individuellen Spielweise vielleicht übertrieben hat«, schmunzelt Mangholz. Und doch: Das Geheimnis liegt in der Individualität, die in dieselbe Richtung weist.
Schnell habe er sich übrigens im Staatsopernorchester wohlgefühlt und sei auch gleich angenommen worden: »Das ist der Vorteil, wenn man so viel gemeinsam spielt.« Opernabende, Ballett, Konzerte, Tourneen, die vielen gemeinsamen Abende verkürzen die Eingewöhnungszeit. Und die Musik natürlich, die alle verbindet. Nicht nur die Ausführenden, übrigens. Sondern tatsächlich alle. Die schönsten Momente, die sind für Mangholz jene, in denen alle auf der Bühne und im Orchestergraben mit dem Publikum eine Einheit bilden, wenn man förmlich gemeinsam atmet und gemeinsam durch ein musikalisches Erlebnis geht. »Das sind Momente, die nur uns gehören und die es nur für uns gibt. Da kann mein Geist sich auf die Reise begeben und ich spüre Menschen, die ich vermisse, ganz nah.«
Braucht es noch den Nachsatz, dass dies auch ganz besonders glückliche Momente sind?