© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

MORD, BETRUG, GEWALT – und Liebe

Mit seiner 1934 uraufgeführten Lady Macbeth von Mzensk präsentierte Dmitri Schostakowitsch ein Werk mit kontrastreichen Bildern, einen Stoff voller Gewalt und Sehnsucht. Und ein Werk über eine Mörderin aus Liebe. In der Wiener Staatsoper ist die hochgelobte Produktion aus 2009 zu sehen.

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Der 28. Jänner 1936. Dmitri Schostakowitsch und der Cellist Viktor Kubatzkij sind auf Gastspielreise in der Hafenstadt Archangelsk, noch am Bahnhof kauft der Komponist die Prawda, das offizielle Organ des Sowjet-Regimes. Auf Seite drei schlägt ihm eine Überschrift entgegen: »Chaos statt Musik«. Es geht um seine Oper Lady Macbeth von Mzensk, die seit drei Jahren hocherfolgreich gespielt wird und in Russland, aber auch international, für Furore sorgt. Doch mit einem Schlag ist alles anders. Stalin hatte am Vortag eine Vorstellung besucht, Missfallen empfunden und – wie aus Grammatikfehlern ersichtlich ist, die kein professioneller Journalist gemacht hätte – wohl selbst den Hetzartikel in die Zeitung diktiert. »Von der ersten Minute an verwirrt den Hörer in dieser Oper die betont disharmonische, chaotische Flut von Tönen, Bruchstücke von Melodien, Keime einer musikalischen Phrase versinken, reißen sich los, und tauchen erneut unter im Gepolter, Geprassel und Gekreisch. Dieser ›Musik‹ zu folgen ist schwer, sie sich einzuprägen unmöglich.« Und so weiter, noch viel schlimmer weiter! Was Schostakowitsch lesen muss, ist keine schlechte Kritik, ja nicht einmal eine Infragestellung seiner Arbeit. Es ist weit mehr: ein Todesurteil für sein Werk, eine nun folgende Ächtung seiner Person – und womöglich auch der Aufruf zur Verfolgung durch Stalins Schergen. Von nun an ist sich Schostakowitsch seines Lebens (und jenes seiner Angehörigen) nicht mehr sicher. Als etwas später auch mit seinem Ballett Heller Bach ähnlich umgegangen wird, scheint das Schicksal des Komponisten besiegelt. Lady Macbeth verschwindet von den Spielplänen, erst nach fast 30 Jahren darf die Oper wieder gespielt werden, wenn auch nur in einer von Schostakowitsch »entschärften« Fassung: er mildert Dissonanzen und eindeutige Textpassagen, gibt dem Werk mit Katerina Ismailowa einen neuen Namen – diese Fassung erklingt zunächst, in den 1960er Jahren, auch an der Wiener Staatsoper.

Doch fangen wir am Anfang des Opernprojekts an. Wie kam es dazu? Worum geht es in diesem Werk? 1924 schrieb der damals noch blutjunge Schostakowitsch seine erste Symphonie, 1928 seine erste Oper Die Nase und katapultierte sich so in die erste Liga der sowjetischen Komponisten. Anfang der 1930er Jahre nahm er sich, inmitten zahlreicher Schauspiel-, Ballett- und Filmmusiken, das nächste Sujet vor, eben Lady Macbeth von Mzensk, basierend auf einer damals rund 75 Jahre alten Erzählung von Nikolaj Leskow. An Shakespeare gemahnende Namen, verbunden mit russischen Orten, waren zu Leskows Lebzeiten eine literarische Modeerscheinung, die die Fallhöhe bekannter tragischer Figuren mit einem heimatlichen Umfeld verknüpfen sollte. Schostakowitsch schrieb an der neuen Oper in seiner Verlobungszeit und der glücklichen Phase nach der Hochzeit – mit großen, arbeitsbedingten Unterbrechungen, denn auch zahlreiche andere Werke entstanden in dieser Phase. Wobei die Oper nicht für sich allein stehen, sondern den Anfang einer Trilogie markieren sollte: Geplant waren drei Opern über Frauenschicksale Russlands: nach der Lady Macbeth wollte der Komponist ein Werk über die Anarchistin Sofia Perowskaja sowie eines über ein Arbeiterinnen-Schicksal aus der Sowjetunion folgen lassen. Doch aus oben beschriebenen Gründen konnte Schostakowitsch nur den ersten Teil der Trilogie vollenden – den er übrigens seiner damaligen Frau widmete.

Erzählt wird in der Oper die Geschichte der unglücklichen Katerina, die mit dem reichen Kaufmann Sinowi verheiratet ist und unter dessen Lieblosigkeit, aber auch unter der Tyrannei und den Anzüglichkeiten ihres Schwiegervaters Boris leidet. Sie verliebt sich in den Arbeiter Sergej, dessen Brutalität ihr bewusst ist, und lässt sich trotzdem auf eine Affäre ein. Als ihr Schwiegervater diese entdeckt, muss er durch die Hand des Liebespaares sterben – ebenso wie ihr Ehemann Sinowi. Die Morde werden aufgedeckt, die Täter verurteilt. Doch während Katerina an Sergej hängt, betrügt dieser sie mit der Mitgefangenen Sonjetka, ein tragisches Ende wird damit eingeläutet.

Ist die Titelfigur auch eine Täterin (Schostakowitsch milderte Katerinas Taten im Vergleich zur Vorlage zumindest um einen Mord, um die Protagonistin positiver zu zeichnen), so war sie für den Komponisten doch die klare Sympathieträgerin des Abends, die unter den Umständen zu leiden hat – und nur durch sie zu den Taten getrieben wird: »Versteht sich, dass die Oper auch von Liebe handelt, aber nicht nur. Sie handelt auch davon, wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringsum Schlechtigkeit herrschte. An diesen Schlechtigkeiten ringsum geht die Liebe zugrunde. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geldgier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhältnisse anders, wäre auch die Liebe eine andere.«

Schließlich kam das Werk nach langen Jahren der Arbeit zur Uraufführung, die im Jahr 1934 gleich eine doppelte war: Mit nur zwei Tagen Unterschied brachten Opernhäuser in Moskau und im damaligen Leningrad das Werk zur Premiere, der Erfolg war überragend, triumphale Kritiken und Begeisterung im Publikum begleiteten die Aufführungen. Fast zweihundertmal stand die Oper in den folgenden beiden Jahren auf den Spielplänen in den beiden Städten, es folgten internationale Produktionen. Manche von ihnen waren allerdings von verständnisloser Kritik überschattet. So schrieb etwa ein Kritiker aus den USA von Schostakowitsch als dem »bedeutendsten Komponisten pornografischer Musik in der Geschichte der Oper«, in der New York Times las man von einer »losen Zusammenstellung billiger Tricks«. Der Erfolg blieb jedenfalls ungebrochen – in der Sowjetunion bis zum anfangs erwähnten Theaterbesuch Stalins.

Was ist es, was Lady Macbeth von Mzensk seit fast 100 Jahren auszeichnet? Vieles, unter anderem der beherzte Zugriff des Komponisten auf die unterschiedlichsten musikalischen Formen, Fakturen und Stile. Aus einer unbändigen Gestaltungslust heraus fächert Schostakowitsch eine Palette an künstlerischen Artikulationsformen auf, changiert zwischen Groteske und Realismus, überzeichnet, kommentiert und findet im scharfen Kontrast auch zutiefst berührende Sequenzen, die eine von Sehnsucht getriebene Figur portraitieren. Es ist keine geschönte Welt, die Schostakowitsch zeigt, es sind harte Momente, die es zu erleben gilt. Harte Momente, die die Inszenierung von Matthias Hartmann, die nun wieder auf dem Spielplan steht, nicht ausspart. Auf den Punkt bringend zeichnet er die Groteske nach, zeigt Figuren in ihren charakterlichen Eigentümlichkeiten, auch in ihren Einsamkeiten. Vor allem aber inszeniert er ein Stück, das voller Leben in vielen Facetten ist: Abgründigkeiten und Verwerfungen, Gier und Verlorenheit, Verzweiflung, Liebe und Flucht. Dem Boris des Günther Groissböck, der mit größter darstellerischer Präsenz auch fragwürdigen Figuren ein prägnantes Profil zu verleihen vermag, steht diesmal Elena Mikhailenko als Katerina gegenüber. Als Sinowi ist Andrei Popov zu erleben, den Sergej singt Dmitry Golovnin, den man im Haus am Ring unter anderem als Hermann in Pique Dame erleben konnte. Der Dirigent der Wiederaufnahmenserie ist Alexander Soddy.

 

LADY MACBETH VON MZENSK 3. / 8. / 12 Juni 2023
Dirigent Alexander Soddy
Inszenierung Matthias Hartmann
Bühnenbild Volker Hintermeier
Kostüme Su Bühler
Choreographie Teresa Rotemberg
Mit u.a. Günther Groissböck / Andrei Popov / Elena Mikhailenko / Dmitry Golovnin / Maria Barakova / Evgeniya Sotnikova / Thomas Ebenstein / Hans Peter Kammerer / Marcus Pelz / Evgeny Solodovnikov / Attila Mokus / Carlos Osuna / Dan Paul Dumitrescu / Jenni Hietala