Mörderische Leidenschaften

Es ist, und das mag zunächst einmal verwundern, ein Werk der Liebe. Lady Macbeth von Mzensk, von Dmitri Schostakowitsch, erzählt zwar von Gräueltaten und Mord, von Tod und Unterdrückung, Rache und Bestrafung, ist aber im Kern dennoch eine Oper, in der der Komponist – auch – von Liebe sprechen wollte. Von einer bedingungslosen, überbordenden, keine Grenzen kennenden Liebe, die weder gesellschaftliche, noch vernünftige, noch menschliche Regeln akzeptiert.

Der Titel aber weist zunächst einmal auf die blutige Ausrichtung des Sujets hin. Lady Macbeth, nach Shakespeare, ist ein Prototyp der Machtgier, des Blutrausches, aber auch des Wahnsinns. Gewinnen-Wollen um jeden Preis, wenn nötig, auch morden! Eine derartige Heranziehung einer Shakespeare’schen Figur war im Übrigen nichts Ungewöhnliches in der kulturellen Produktion Russlands zu dieser Zeit, man rief gerne die Hamlets und König Lears herbei, um ihnen dann ein bürgerliches, russisches Idiom zu verpassen, gleichzeitig aber beim Zuschauer oder Leser Assoziationen zu wecken. Steht einmal Hamlet, oder eben Lady Macbeth, im Titel, so weiß der Rezipient auch gleich, wohin die thematische Reise geht. Schostakowitsch allerdings ging es weniger um das Gräuel der Lady Macbeth. Die literarische Vorlage – eine Novelle von Nikolai Leskow – veränderte er dahingehend, dass die weibliche Hauptfigur in ihren Taten gemildert dargestellt wurde. Ihre Morde wurden dezimiert und zum Teil zur Beihilfe umgewandelt, die Herzlosigkeit der Lady Macbeth in den Hintergrund gerückt. Schließlich sollte es ja, siehe oben, ein Werk der Liebe werden … Nun aber wirklich der Liebe? Um Schostakowitschs Zugang richtig verstehen zu können, muss man die kulturellen wie gesellschaftlichen Bewegungen und Umgebungsvariablen der Entstehungszeit der Oper ins Auge fassen. Man befand sich in der ersten postrevolutionären Zeit, in der die anfänglich angenommene künstlerische Freiheit in Russland stark zurückgeschnitten wurde. Noch aber wehte in manchen Köpfen der Wind eines auch zwischenmenschlichen Freiheitsgedankens, der sich den traditionellen partnerschaftlichen Bindungen entgegensetzte. Zuvor, in der Zarenzeit, hatte der sogenannte Domostroi, ein Kodex, das gesellschaftliche, aber auch innerfamiliäre Leben geregelt, und das auf eine sehr patriarchalische Art und Weise. Dem Hausherren stand innerhalb seines Lebensbereiches neben einer Reihe von Pflichten auch ein umfassendes Bestrafungsrecht, bis hin zur Züchtigung, zu. Dem wurde ab 1917 der neue Gedanke einer Emanzipation der Frauen entgegengehalten, auch die Tendenzen einer sexuellen Befreiung, wie etwa im sogenannten Instruktor der Roten Jugend zu lesen war: „Freiheit der Liebe und alles, war drum und dran hängt! Küsst euch und liebt euch!“ – Es ging also um eine Befreiung der Liebe aus einem vorgegebenen, erzwungenen Korsett, um die Verwirklichung einer Eigenverantwortlichkeit und vor allem: um eine Selbstbestimmung. Die erneute antiliberale Gegenbewegung ließ freilich nicht lange auf sich warten.

Schostakowitsch hatte all diese gesellschaftlichen Umwälzungen mitbekommen und sich ausführlich mit ihnen auseinandergesetzt; und so sah er seine Katerina, die Lady Macbeth, durchaus auch als liebendes Wesen im Sinne dieser Revolution, das nur aufgrund der gesellschaftlichen Umstände eine zerstörerische Kraft entfaltet. Also: Die Oper handelt, so Schostakowitsch, von Liebe, aber eben nicht nur von Liebe, sondern davon „wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringsherum Schlechtigkeit herrschte. An diesen Schlechtigkeiten geht die Liebe zugrunde. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geldgier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhältnisse anders, wäre auch die Liebe eine andere …“

Ein wichtiges Detail am Rande: Schostakowitsch widmete die Oper als Liebesgabe seiner Braut Nina. Arbeitsbeginn war im Jahr 1930, nach der Nase (1927-1928) war Lady Macbeth von Mzensk die zweite Oper des erst 24jährigen Komponisten. Gedacht war ursprünglich an eine Trilogie junger russischer Frauen, doch kam Schostakowitsch über den ersten Teil nicht hinaus. 1933, nach der Fertigstellung des Werkes, wurden gleich zwei Premieren parallel vorbereitet, in Leningrad (wo auch die Uraufführung am 22. Jänner 1934 stattfand) und in Moskau. Der anfängliche Erfolg war ein großer, man sprach vom „Sieg des sowjetischen Musiktheaters“, vom grandiosen Schritt in Richtung des sozialistischen Realismus.“

Die Aufführungszahlen kletterten in Russland schnell in die Höhe, auch das Ausland interessierte sich bald für das Werk. 1935 kam es zur ersten Aufführung in den USA, wobei die Reaktion nach der Premiere gemischt war: Neben Zustimmung gab es auch Kritik an der Düsterheit des Werkes und an der von manchen empfundenen „Unmoral“. So meinte ein Rezensent etwa: „Schostakowitsch ist zweifellos der bedeutendste Komponist pornografischer Musik in der Geschichte der Oper.“ Im selben Jahr überarbeitete der Komponist sein Werk zum ersten Mal und entschärfte, noch ohne Druck von außen, die eine oder andere für ihn offenbar zu direkte Passage. Hatte Katerina zuvor noch von sich paarenden Tieren gesungen, flatterte in der zweiten Fassung nur noch ein prüdes glückliches Taubenpaar. Doch die große Krise sollte erst folgen. Inmitten des Erfolgsschwunges betrat eines Abends Stalin die Oper, lachte zwischendurch höhnisch, verließ noch während der Vorstellung das Theater. Am nächsten Tag erschien ein ungezeichneter Artikel im Staatsblatt Prawda, der dem Diktator zugeschrieben wird. „Chaos statt Musik“ nannte sich der Beitrag, und in dem Text wurde mit der Oper brutal abgerechnet. „Alles ist grob, primitiv und vulgär“, hieß es darin, „Die Musik schnattert, saust, keucht, erstickt – mit dem Ziel – möglichst natürlich die Liebesszene auszudrücken“. Abgesehen davon sei die Oper Ausdruck „linksradikaler Zügellosigkeit“ und sei dem „Formalismus“ verhaftet. Für Schostakowitsch bedeutete eine solche Verurteilung mehr als nur eine schlechte Kritik von höchster Stelle, es bedeutete eine Existenzvernichtung, bis hin zur Bedrohung des physischen Lebens. Von da an musste Schostakowitsch um sein nacktes Leben fürchten, und man kennt aus seinen Lebensberichten seine Panik vor jedem vor seinem Haus haltenden schwarzen Wagen, den er als Geheimdienstwagen zu identifizieren meinte. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass die Kulturausübung in Russland noch niemals unfreier und unterdrückter gewesen war als zu dieser Zeit, längst hatte der kommunistische Apparat die Weisung ausgegeben, dass jede Kunst der direkten Verherrlichung der sowjetischen Daseinsform dienen sollte. Eine nach unbedingter Freiheit strebende Frau wie die Katerina der Oper war nicht positiv, arbeitsam und systemerhaltend genug. Was also passierte? Das Werk verschwand schnell von den Spielplänen in der Sowjetunion und durfte erst viele Jahre später, in einer abermals überarbeiteten und geglätteten Form (als Katerina Ismailowa) wieder gespielt werden. Als solche wurde das Werk auch 1965 erstmals an der Wiener Staatsoper gegeben – Dmitri Schostakowitsch war bei den Proben zu dieser Erstaufführung anwesend! Doch erst die aktuelle Produktion – Premiere 2009 – brachte dem Wiener Staatsopernpublikum die Oper in ihrer eigentlichen, ursprünglichen Fassung, wie Schostakowitsch sie eigentlich erdacht und geschrieben hatte.

Und eben diese Produktion aus dem Jahr 2009 – Inszenierung: Matthias Hartmann – kommt nun im Haus am Ring wieder zur Aufführung. Wie schon bei der Premiere singt KS Angela Denoke die Rolle der unglücklichen, drangsalierten und mordenden Katerina, KS Kurt Rydl gibt den wenig sympathischen Schwiegervater Boris, Marian Talaba den Ehemann Sinowi, Misha Dydik den Sergej. Dirigent dieser Aufführungsserie ist wieder Ingo Metzmacher, der mit der Premiere dieser Produktion sein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper gegeben und seither die Premiere von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie Parsifal geleitet hat und der Dirigent der heurigen Opernball-Eröffnung war.

Oliver Láng

Ausschnitte aus Interviews mit Ingo Metzmacher und Matthias Hartmann anlässlich der Premiere 2009

„Ich finde, Lady Macbeth von Mzensk ist in gewisser Weise eine Antioper, denn alles, was sonst immer schön und überhöht dargestellt wird, ist hier ganz drastisch und nackt. Es lohnt sich, die der Oper zugrundeliegende Erzählung von Nikolai Leskow zu lesen: sie ist eine neutrale Berichterstattung, fast reportagehaft, ohne moralische Wertungen. Und Schostakowitsch hat genau das in seine Musik gelegt, ja diese Aspekte sogar noch verstärkt. … Ich glaube nicht, dass Schostakowitsch wirklich charakterlich werten wollte. Er wollte auch keinen denunzieren, sondern zeigte Menschen, wie sie sind: etwa den Schwiegervater, der nur Kinder und Enkel haben will und schon geahnt hat, dass Katerina nicht die richtige Ehefrau für seinen Sohn ist. … Im letzten Akt gibt es einen russischen Tonfall, der sicherlich an eine Tradition anschließt; neu war das Ungeschminkte. Wobei man auch hier Parallelen zu Wozzeck und den Werken von Janácˇek finden kann.“

Ingo Metzmacher

„Diese Oper handelt davon, dass unser Anspruch und unsere Konstruktion eine Divergenz und keine Kongruenz haben. Der Zuschauer muss Fragen an sich selbst stellen, Fragen über die eigene Verführbarkeit. Wenn ein Mann daran denkt, wer die Frau sein soll, mit der er den Rest seines Lebens verbringen will, dann stellt er sich eine intelligente, selbstbestimmte Person vor, die mit ihm auf gleicher Augenhöhe ist, die ihren eigenen Weg kennt. Und was passiert morgens um acht? Er sieht an der Busstation ein hübsches Dummerchen auf einer Litfaßsäule, das Werbung für eine Modemarke macht. – Und sofort dreht sich instinkthaft sein Kopf zu dieser Frau hin, ungewollt. Was ist das also an ihm, was ihn nicht an seine Ansprüche bindet, sondern an seine genetische Determination? Genau diese Schizophrenie zwischen unserem Anspruch und unserer Anlage bildet Schostakowitsch in scharf geschnittenen Bildern ab.“

Matthias Hartmann