Mitunter gibt es nichts Schöneres als den Tod

Peter Stein im Gespräch über seine Inszenierung von Věc Makropulos

Beim Konzeptionsgespräch sprachen Sie davon, dass Ihnen zu Probenbeginn die Knie schlottern. Ist das generell so oder ganz besonders bei einer komplexen Oper wie Věc Makropulos?

Peter Stein: Das ist ganz unterschiedlich. In diesem Fall ist eine der großen Herausforderungen das Tschechische, eine Sprache, die ich nicht spreche, was die Sache natürlich nicht einfacher macht. Und es ist mein erster Janáček. Ich wollte zwar immer schon eine Oper von ihm inszenieren und es gab sogar schon zwei geplante und zum Teil ausgearbeitete Janáček-Projekte, eines an der New Yorker Met und eines in Lyon, beide sind aber geplatzt. Und so wird diese Věc Makropulos- Produktion meine Janáček-Premiere.

Kommt Ihnen als Regisseur, der so große Sprechtheatererfahrung hat, Věc Makropulos als Dialogoper entgegen?

Peter Stein: Genauso dachte ich auch und habe angenommen, dass ich als Theaterregisseur die richtige Adresse für Janáček bin, da von den Sängern darstellerisch mehr verlangt wird als sonst. Sie alle haben große schauspielerische Fähigkeiten, was unsere Arbeit besonders schön und fruchtbar macht. Ich denke, wir arbeiten alle sehr gut zusammen! Bekanntlich lege ich großen Wert auf genaues Spiel; denn mein Stil ist ja immer, nicht nur bei dieser Oper, da aber besonders, dass man auch ohne Untertitel verstehen soll, was auf der Bühne passiert. Ich bin ja ein reaktionärer und konservativer Regisseur, der das umsetzt, was in der Partitur steht und etwas zu entwickeln versucht, was im Sinne der erzählten Geschichte ist. Und der dem Zuschauer die Möglichkeit geben will, eine Vorstellung dessen zu haben, was in dem Kunstwerk enthalten ist.

Das der Oper zugrundeliegende Schauspiel wird als Komödie bezeichnet. Janáčeks Oper hingegen ist keine Komödie mehr.

Peter Stein: Erstens einmal: Solche Begriffe machen mir keinen Spaß. Weil sie zunächst definiert werden müssten. Aber in der Tat, als Komödie kann man die Oper sicherlich nicht bezeichnen. Sie ist zum Teil ganz lustig, im Sinne einer Ironie. Aber das Thema ist der Tod. Das Sterben. Alles zielt darauf ab. Wir sehen auf der Bühne eine Frau, die eigentlich längst gestorben ist und nur mit Hilfe irgendwelcher künstlichen bzw. alchimistischen Manipulationen am Leben gehalten wurde. Sie ist in Wahrheit aber schon viele Tode gestorben! Das versuche ich in meiner Inszenierung zu zeigen: Ihre ständigen Zusammenbrüche bei der Suche nach der Verlängerung ihres Lebens, ihr Kollabieren, weil sie einen neuen Schuss braucht. Sie ist in der Tat drogenabhängig! Und man denke nur: Ihre Verhältnisse, Partner und Freunde sind alle gestorben, während sie vor dem Tod davonläuft. Und sie wird dazu geführt zu begreifen, dass es mitunter nichts Schöneres geben kann als den Tod, dass dieser ein geniales Instrument ist und auch erstrebenswert. Das ist der entscheidende Punkt! Und man sieht, wie sich diese Person langsam zu diesem Punkt hinbewegt. Kann man so etwas als Komödie sehen? Nein. Aber andererseits darf es auch nicht zu schwer werden, es soll federleicht daherkommen. Denn die Emilia Marty hat viele Facetten, die Figur ist unverschämt, sentimental, gefühlvoll, mondän, alles was man von einer Operndiva haben will. So wird verhindert, dass das Ganze larmoyant wird.

Emilia Marty verbittert an ihrem langen Leben. Der Umkehrschluss ist, dass ein früher Tod vor Verbitterung schützt?

Peter Stein: Das ist das, was sie sagt. Man braucht Illusionen, um am Leben zu bleiben, und nur aufgrund der Tatsache, dass – wie sie meint – wir relativ früh sterben müssen (und für ihre 350 Jahre ist es ja in der Tat früh), können diese Illusionen bis zum Tod halten. Aber sie halten nicht ewig – und wenn das Leben zu lange dauert, wird es eine Qual. Daher braucht es den Tod. Das ist das Argument am Ende. Dennoch ist sie nicht nur zynisch und hart. Sie hat immer wieder auch große gefühlvolle Momente, einen dauernden Wechsel an Emotionen. Das ist das Interessante daran. Und das muss herausgearbeitet werden.

Wenn man eine Moral, sofern man das überhaupt will, aus dem Stück destillieren möchte, dann wäre es, dass man gar nicht versuchen soll 350 Jahre alt zu werden?

Peter Stein: In den letzten 100 Jahren ist die Lebenserwartung enorm gestiegen und es werden Perspektiven entworfen, das Leben noch weiter zu verlängern. Da ist es sehr sinnvoll diese Oper zu spielen! Eine, die uns mitteilt: Ihr solltet nicht so fürchterlich drum kämpfen. Dieses übermäßig verlängerte Alter – das ist es ja, es wird ja nicht die Jugend verlängert – kann zu nichts Gutem führen. Sondern nur zum Absterben der Illusionen, zum Warten auf den Tod, zum Dahinvegetieren. Das Ergebnis wäre eine enorme Langeweile.

Manche sehen und sahen das anders. Im Zusammenhang mit Karajan hört man immer wieder, dass er sich zuletzt über seinen erkrankten Körper beschwert hat und wiederkehren wollte, da er noch so viel zu sagen hatte.

Peter Stein: Karajan hatte ein übermäßig starkes Ego und dementsprechend muss das, was er gesagt hat, bewertet werden. Abgesehen davon: Man kann sich ja gerne wünschen wiederzukehren, aber man muss dann damit rechnen, als Ratte wiederzukommen, oder als Biene oder als Blumenstrauß. Ich weiß nicht, ob das so erstrebenswert ist... Ich denke, wenn man etwas zu sagen hat, dann soll man das sagen, solange man lebt. Dieses unendliche Verlängern... ich weiß nicht. Es gibt in der Oper am Ende einen Chor, der im Zuschauerraum stehend singen wird: Wir haben es so gut, dass wir sterben dürfen. Eine kleine, ironische Bemerkung. Ironie ist ja an sich sehr wichtig in dem Stück.

Ist das aber nicht nur Theaterkunst? In Wahrheit wollen ja, wenn es daran geht, die Wenigsten wirklich sterben.

Peter Stein: Schauen Sie, ich bin 78. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass es ganz in Ordnung wäre, wenn ich stürbe. Das denke ich nicht immer, ganz im Gegenteil! Aber es wird Ihnen wahrscheinlich auch passieren, dass Sie irgendwann an einen Punkt kommen, an dem Sie sich sagen: Ich habe so viel gemacht, im Grunde bin ich fertig. Es ist schön weiterzumachen, aber sein muss es nicht. Und ich denke, dass viele Menschen, die diese Oper besuchen, genau wissen, was Capek und Janáček da meinen. Und sie werden den Teufel tun, dem zu widersprechen.

Sind in diesem Punkt Künstler wie „normale“ Menschen? Immerhin hat der Künstler die Möglichkeit, Unsterbliches zu schaffen.

Peter Stein: Mit so großen Begriffen sollte man vorsichtig sein. Das entscheidet man nämlich nicht selber, sondern die Nachwelt. Da kann man Glück, aber auch Pech haben. Abgesehen davon ist es so, dass es nur sehr wenigen Künstlern gelingt, ein Alterswerk zu schaffen. Tizian, Rembrandt, Goethe. Ein großes Alterswerk ist nicht selbstverständlich, vor allem nicht im Theater. Weder für Autoren, noch für Schauspieler, Sänger – oder Regisseure. Man hat allerdings, und das muss ich dazusagen, viel Erfahrung und beherrscht sein Handwerk. Und hat daher etwas anzubieten. Aber es muss nicht die Krönung des Lebens werden.

Verdis Falstaff zählt zur Krönung.

Peter Stein: Ja, natürlich. Da haben Sie Recht. Aber dennoch ist es nicht das Übliche. Das betrifft nur wenige, besonders begnadete Künstler.

Dennoch verwende ich das große Wort noch einmal: Ist es nicht ein schönes Gefühl, dass Sie Abende geschaffen haben, die Ihnen eine gewisse Unsterblichkeit in der Kunst gegeben haben?

Peter Stein: Solche Sachen dürfen Sie mich nicht fragen. Ich hatte mit diesen ganzen Öffentlichkeitsgeschichten immer schon gigantische Probleme. Das ist vielleicht mein Preußentum oder eine gewisse Scheu. Ich habe auch nicht das Gefühl, etwas geschaffen zu haben, was bleibt. Ganz im Gegenteil. Ich halte mich da an Schiller, der sagte: Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Ich weiß genau, dass die Jungen gar nicht mehr wissen, wer ich bin.

Naja.

Peter Stein: Sagen Sie nicht Naja. Das ist ja in Ordnung so. Es ist grundsätzlich der Job von anderen Leuten und nicht von einem Selber, sich mit dem Nachlass zu beschäftigen. Wenn ich die Möglichkeit bekomme zu arbeiten, bin ich dankbar, freue mich darüber und hoffe, dass etwas herauskommt. Inszenieren ist immer ein Lotteriespiel: Das kann klappen oder auch nicht. Selbst wenn die Bedingungen hervorragend sind, kann die Sache schiefgehen. Das wollen wir hier aber nicht hoffen ...

Dass Emilia in der Oper eine Sängerin ist, ist eine zusätzliche Pointe?

Peter Stein: Das finde ich ganz wunderbar, weil das Theater natürlich eine Metapher für das Leben ist. Das war schon bei Shakespeare so, sein All the world is a stage ist mehr als berühmt. Und tatsächlich: Im Leben spielt ja jeder eine Rolle und tritt dann ab. Das Theater kann eine Methode sein, Wahrheiten des Lebens, wenn auch durch Verstellung und Verkleidung, aufzuzeigen. Dementsprechend bin ich sehr froh, dass dieser 2. Akt, der im Theater spielt, existiert. Und dass das Werk in der Opernwelt spielt, ist es ein zusätzlicher Effekt. Ein ironischer! Aber gerade weil die Metapher so berühmt und stark ist, muss man den 2. Akt unbedingt so machen, wie Janáček es wollte. Wir haben es sogar noch verstärkt, indem wir die Sicht umgedreht haben. Bei uns schaut man von der Bühne in einen Zuschauerraum hinein. Und wir haben uns noch einiges ausgedacht, damit das weiter intensiviert wird, indem zum Beispiel Kulissen abgebaut werden, Bühnenarbeiter über die Bühne gehen und so weiter.

Was wird man im Bühnenraum sehen?

Peter Stein: Man wird genau das sehen, was in dem Stück vorkommt. Es gibt die Vergangenheit und das Heute. Wir sehen also im 1. Akt einen Raum des 19. Jahrhunderts, ein altes etwas schäbiges Anwaltsbüro, im 2. Akt ein Operntheater und im 3. Akt ein modernes Hotelzimmer der zwanziger Jahre, also jener Zeit, in der die Oper geschrieben wurde. Damit wird klar, dass etwas von früher ins damalige Heute hereinragt und da verlöschen muss. Das erscheint mir sinnvoller als eine Aktualisierung, denn wenn man aktualisiert, weiß man ja gar nicht mehr, wo man sich gerade im Stück befindet ... Abgesehen davon haben wir so die Möglichkeit, ästhetisch schöne Räume und Kostüme zu zeigen.

Beim Operntheater handelt es sich um die Wiener Staatsoper?

Peter Stein: Ja. Wir probierten auch andere Prospekte aus, zum Beispiel die Oper aus Prag, wo das ganze ja eigentlich spielt. Dann entschieden wir uns aber für die Wiener Staatsoper. Einerseits als kleines ironisches Zeichen, andererseits war es auch eine ästhetische Entscheidung.

Oliver Láng


Věc Makropulos

Premiere: 13. Dezember 2015 Reprisen: 15., 18.,

20., 23. Dezember 2015

Jakub Hrůša | Dirigent

Peter Stein | Regie

Ferdinand Wögerbauer | Bühnenbild

Annamaria Heinreich | Kostüme

Joachim Barth | Licht

Cecile Kretschmar | Maske

Francesco Mercuri | Regieassistenz

Laura Aikin | Emilia Marty

Ludovit Ludha | Albert Gregor

Margarita Gritskova | Krista

Markus Marquardt | Jaroslav Prus

Carlos Osuna | Janek Prus

Wolfgang Bankl | Dr. Kolenaty

Heinz Zednik | Hauk-Sendorf

Thomas Ebenstein | Vítek

Marcus Pelz | Maschinist

Aura Twarowska | Aufräumerin

Ilseyar Khayrullova | Kammermädchen