© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Bei ihrem Debüt als ZERBINETTA lag ihr die Wiener Opernwelt zu Füßen (auch im Bild: Ilja Kazakov, Carlos Osuna, Michael Arivony, Hiroshi Amako)
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Serena Sáenz als Lauretta in der Neuproduktion von Gianni Schicchi (im Bild mit Ambrogio Maestri)

Mit Höherem verbunden

Als Einspringerin in der halsbrecherischen Partie der Zerbinetta lieferte Serena Sáenz 2022 ein umjubeltes Staatsopern-Debüt. Als Lauretta in Gianni Schicchi überzeugte sie diesen Oktober abermals Publikum und Presse. Nun singt die Sopranistin ihren ersten Staatsopern-Mozart: die Blonde in der atemberaubenden Entführung aus dem Serail-Produktion von Regiemeister Hans Neuenfels. Oliver Láng sprach mit der spanischen Sängerin über ihren »Roboter-Modus«, Lebensplanung und die Wahl der richtigen Rollen. Einen Aspekt hob die Sängerin dabei besonders hervor: die Transzendenz des Bühnenmoments.


ol Fangen wir mit einer Frage an die junge Sängerin an: Wie vermitteln Sie Oper an Ihre Freunde und Altersgenoss*innen? Sängerin ist doch ein eher ungewöhnlicher Beruf.

s Ha! Sehr gute Frage! Wie bringen wir Oper an ein junges Publikum? Also, wenn ich Leuten sage, dass ich Opernsängerin bin, reagieren viele überrascht. Und manche sagen: »Aber du siehst doch gar nicht aus wie eine Sängerin.« Und dann erkläre ich ihnen: Weil Oper nicht das ist, was die falschen Stereotypen einem seit so vielen Jahren erklären! Wir sind hochaktive Unterhaltungskünstler*innen! Und dann lade ich sie ein, sich einfach eine Vorstellung mit offenem Herzen und Geist anzuschauen. Ihre Reaktion auf Opernabende ist immer extrem positiv. Und: überrascht. Überrascht, dass Oper so berührend sein kann. Wir müssen also die Schönheit der Oper immer mehr und immer weiter zu den Jungen bringen. In Schulen gehen! An die Universitäten! Und auch die sozialen Medien dafür einsetzen. Denn die Menschen wissen sehr oft einfach nicht viel über Oper.

ol Und was ist Oper für Sie persönlich? Eine Art andere Welt? Eine Antwort auf Fragen? Einfach Freude? Ihr Kollege Rolando Villazón meinte einst, dass Oper-Machen eine Art Psychotherapie ist.

s Ich würde nicht sagen, dass es sich um eine Therapie handelt. Oper ist eine umfassende Kunstform, für mich ist sie die Möglichkeit, komplett in Trance zu geraten. Wenn ich auf der Bühne bin, wenn ich singe und spiele, bin ich nicht mehr ich. Es ist also nicht Serena, die singt. Vielmehr nimmt mich eine Art höhere Macht in Beschlag. Es ist wie auf einem komplett anderen Planeten, an einem anderen Ort, mit einer anderen Wahrnehmung von Zeit. Das Gefühl unterscheidet sich vollkommen von meinem üblichen Leben! Ich kann es vielleicht so zusammenfassen: Die Seele ist befreit und verbindet sich mit etwas Höherem.

ol Und wenn Sie die Bühne wieder verlassen: Sind Sie dann wieder Serena? Oder eine gewandelte Serena?

s Natürlich ist es so, dass all die Erfahrungen, die ich auf der Bühne mache, sich in mir sammeln. Aber dennoch kommen sie aus einer anderen Welt und verbinden sich nicht immer mit meinem realen Dasein. Ich weiß nicht… ich bin eine ganz gewöhnliche Frau, wenn ich mein Leben lebe. Aber wenn ich auf der Bühne bin… dann bin ich Superwoman.

ol Aber wenn Sie in dieser anderen Welt sind: genießen sie das? Oder entzieht sich das Gefühl einer konkreten Beschreibung?

s Es ist immer positiv konnotiert. Meistens ist es Freude, Glück, Erfüllung, Inspiration. Aber es ist auch ein Lernprozess, denn nicht jeder Abend ist gleich. Aber letztlich ist es immer etwas sehr Erfreuliches. Nach – und vor allem während einer Vorstellung.

ol Wie kommen Sie in diesen besonderen Zustand? Müssen Sie erst einmal eine Stunde meditieren oder reicht ein Bühnen-Scheinwerfer und – zack! – schon ist alles anders?

s Ich bete immer, bevor ich auf die Bühne gehe. Das ist etwas, was mir sehr hilft. Und ganz wichtig ist der Moment kurz vor einem Auftritt, in dem ich zu visualisieren versuche, was gleich auf der Szene passieren wird. Das hilft gegen ganz menschliche »Serena-Gedanken«, Zweifel, die einen überkommen, oder ein bisschen Nervosität. Ich muss das alles hinter mir lassen, mich auf das verlassen, was ich zuvor an Arbeit eingebracht habe – und darauf fokussieren, dass nun etwas Erfüllendes kommt. Sobald ich die Bühne betrete, ist dann ohnedies alles anderes.

ol Ihr Debüt in Wien – Zerbinetta in Ariadne auf Naxos – war ein Einspringen. Ist das etwas, was Sie mögen? Das Rasante? Unvorhergesehene?

s Ich muss sagen, es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man für ein Einspringen angefragt wird. Ich mag es! Und glücklicherweise passiert es immer wieder. Denn das Adrenalin, dass dann durch meinen Körper schießt, ist so intensiv, dass für Fragen und Zweifel kein Platz bleibt. »Kann ich das oder nicht?« spielt es einfach nicht mehr. Sondern: Ich muss das jetzt machen! Diese Situation nimmt übrigens viel Druck von einem. Ich weiß, dass ich eine beschränkte Zeit habe, das Beste von mir zu geben. Ich nenne das meinen Roboter-Modus. Ich schalte ihn ein – und kann selbst in diesem Zustand Freude aus einer Situation gewinnen. Aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es müssen nicht immer Einspringen sein! (lacht) Denn der Stresslevel ist natürlich deutlich höher…

ol Nach welchen Kriterien suchen Sie Rollen aus? Zum Beispiel: Was macht die Blonde in der Entführung aus dem Serail besonders?

s Zuallererst muss eine Partie zu meiner Stimme und auch zu meinem Alter passen. Man darf da nichts übertreiben und nichts zu früh machen. Und es muss sich gut anfühlen. Wenn ich die Empfindung habe, dass ich viele meiner Emotionen anbieten und sie in eine Rolle packen kann, dann ist die Partie richtig. Ich muss gleichzeitig fühlen, dass das kein harter Kampf wird.

ol Und sollte Ihnen eine Figur möglichst entsprechen? Braucht es viele charakterliche Schnittmengen?

s Ich glaube nicht, dass ich mit einer Bühnenfigur verwandt sein muss. Wichtiger ist, dass ich mich in sie verliebe. Meistens passiert das mit Charakteren, die nicht viel mit mir gemeinsam haben. Dann kann ich neue Spielarten erforschen, mich anderen Sichtweisen auf die Spur heften und Verhaltensweisen ausprobieren, die ich sonst nicht habe. Das ist ungemein spannend. Wissen Sie was? Ich mag den Wahnsinn auf der Bühne! Das ist etwas, was mich sehr fasziniert. An die Grenzen gehen, Extreme ausprobieren. All das, was nicht alltäglich ist.

ol Gibt es so etwas wie einen Masterplan für Ihr Bühnenleben? Also: In drei Jahren diese Rolle an diesem Haus, in fünf jene an jenem Haus.

s Hm, nein. Überhaupt nicht. Das gibt es für mich nicht. Aber was es gibt, ist: Mit offenen Armen das zu umarmen, was kommt. Und Menschen, die meine Stimme kennen und mich kompetent beraten. Ich möchte die Zukunft nicht zerdenken. Es ist viel besser, die Gegenwart zu erleben!



Wolfgang Amadeus Mozart

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

15.   18.   21.   26.   DEZEMBER 2023

Konstanze Sofia Fomina - Emanuela von Frankenberg
Blonde Serena Sáenz - Stella Roberts 
Osmin Antonio Di Matteo - Andreas Grötzinger
Belmonte Sebastian Kohlhepp - Christian Natter
Pedrillo Michael Laurenz - Ludwig Blochberger
Bassa Selim Christian Nickel


Musikalische Leitung Cornelius Meister 
Inszenierung Hans Neuenfels