Mit der Raffinesse der Kunst dagegen halten
Josef Ernst Köpplinger, seines Zeichens Staatsintendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz, ausgebildeter Pianist, Sänger, Schauspieler und Theaterleidenschaftler par excellence, ist als gefragter Regisseur auch in Wien derart präsent – man erinnert sich beispielsweise gerne an seine hocherfolgreiche Evangelimann-Produktion an der Volksoper – dass so mancher annimmt, er hätte an der Staatsoper schon längst etwas inszeniert. Dieser lässliche Irrtum wird nun durch sein Debüt mit Einems Dantons Tod aufgelöst. Anlässlich des Probenbeginns kam es zu folgendem Gespräch mit Andreas Láng.
Herr Köpplinger, Sie sind ein Impresario der alten Schule, einer der das Theater und sein zum Teil mystisches Funktionieren bis in die kleinste Einzelheit kennt, selbst technische Details sind Ihnen nicht fremd. Woher kommt dieses alles umfassende Wissen?
Josef Ernst Köpplinger: Am Beginn stand eine Führung durch die Wiener Staatsoper zu der mich meine Tante mitnahm, wohl ahnend, welchen Eindruck diese auf einen achtjährigen Knirps machen würde. Und tatsächlich: der magische Moment beim Öffnen des Vorhangs, dieses unvergleichliche Gefühl das einen beim Stehen auf der gewaltigen Bühne umfängt, dieser Blick hinauf in die geheimnisvollen Höhen des Schnürbodens und in den Rund des Zuschauerraumes – es war schlichtweg um mich geschehen. Wieder zu Hause angekommen, stellte ich mein großes Puppentheater in die Zimmermitte und verpasste ihm eine aus Matador gefertigte komplette Bühnenmaschinerie samt Drehscheibe, die dann in zahlreichen, leicht gekürzten Privatopernaufführungen – etwa bei einem Freischütz – zum Einsatz kam. Ich hoffe, ich habe mit diesen Vorstellungen die zwangsweise zum Publikum erhobenen Nachbarskinder nicht für immer vom Theater vertrieben. Für mich war dies allerdings der Beginn einer unstillbaren Sucht, die mich immer weitertreibt und alles aufnehmen lässt, was nur irgendwie mit Theater zu tun hat.
Wenn wir einen Blick in Ihre Werkstatt werfen dürfen: Wie kommt es zur letztgültigen Entscheidung, ein Werk genau aus einer bestimmten Sicht zu beleuchten, in einer bestimmten Ästhetik zu zeigen, auf eine bestimmte Weise und nicht anders zu interpretieren?
Josef Ernst Köpplinger: Die subjektive Wahrnehmung oder besser das subjektive Empfinden, das durch das Lesen des Librettos sowie der Komposition entsteht, ergibt zumeist einen Impuls, der in die zu behandelnde Geschichte hineinzieht. Dieser Impuls kann sich aus vielerlei Aspekten speisen, aus persönlichen, aus emotionalen, aber auch aus aktuellen Geschehnissen in der Politik oder Weltgeschichte. Auf jeden Fall ist er der Ausgangspunkt, an dem ich zu arbeiten beginne. Allerdings geschieht es mitunter, dass sich der ursprüngliche Ansatz im Laufe der drei, vier Jahre, die im heutigen Opernalltag zwischen der Vertragsunterzeichnung und dem ersten Probentag liegen, ändert. Aus welchen Gründen auch immer. Sei es, weil die politische Lage eine andere wird, sei es, weil mein persönlicher Zugang zum Werk eine Verschiebung erfährt. Es kann passieren und ist mir schon passiert.
Muss man dann mit der alten Sichtweise weiterarbeiten – immerhin sind die Bühnenbilder womöglich schon gebaut worden?
Josef Ernst Köpplinger: Was die räumliche Situation betrifft – man könnte überflüssig Gewordenes weglassen, was mir aber grundsätzlich widerstrebt, weil ich immer großen Respekt vor dem Handwerk der Werkstätten habe. Aber ganz prinzipiell will und kann ich nicht in alten Sichtweisen, an die ich nicht mehr glaube, weiterarbeiten. Kunst ist gottlob nichts Starres, auch wenn der Rahmen, also die äußeren Gegebenheiten, relativ starr sind. Kunst zeichnet sich auch dadurch aus, dass solche starren Rahmen mit Raffinesse und Fantasie durchbrochen werden.
Kommen wir konkret zu Dantons Tod: Welche Überlegungen haben hier zu welchen Lösungen geführt?
Josef Ernst Köpplinger: Die erste Frage die zu klären war, lautete: Wie viel Historie braucht das Stück? Natürlich hätten wir die Handlung in ein zeitloses Heute transferieren können, doch war mir das zu simpel, schon deshalb, weil die Musik Gottfried von Einems einen immensen Schauwert besitzt, der aufzeigt, was in diesen letzten Tagen Dantons passiert ist und eine entsprechende szenischen Umsetzung verlangt. Nur ein Detail: So hoch man die Vernunft hielt – im Stück wie in der tatsächlichen Geschichte –, sie wurde ausschließlich nur mehr zum Ersinnen besonders perfider Reden benützt, die die Hinrichtung möglichst vieler Menschen, auch Kinder, legitimierte, deren Vollzug dann vom Mob bejubelt wurde. Gerade diese johlende, zu jeder Aggression bereite Volksmenge ist uns ja leider nicht unbekannt, man trifft sie zum Beispiel gelegentlich in Fußballstadien, wo kleinste Banalitäten bekanntlich zu brutalen Massenhandgreiflichkeiten führen können. Das ist einerseits erschreckend und andererseits ein Indiz dafür, dass es vom Mensch zum Tier oft nur ein kleiner Stolperer ist. Dieser Gedanke ließ uns nicht mehr los und da domestizierte Tiere gemeinhin in Ställen untergebracht sind, haben wir für das Dantons-Tod-Bühnenbild eine Art perspektivisch verlaufenden, tunnelartigen Holzverschlag geschaffen, in dem zwar Raum vorhanden ist und sogar einige Planken eingebrochen sind, aber ein Entkommen der Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Das Publikum sieht also einen stallähnlichen, endzeitlichen Kubus, in dem die Geschichte ihren tragischen Verlauf nimmt.
Haben Sie Büchners Drama als Gedankenstütze während Ihrer konzeptionellen Arbeit ebenfalls hinzugezogen oder ließen Sie sich nur von der Oper inspirieren?
Josef Ernst Köpplinger: Natürlich bin ich mit der Büchner’schen Vorlage sehr vertraut, habe das Stück jetzt noch einmal durchgearbeitet. Aber als direkte Basis für unsere Arbeit eignet sich dieses Schauspiel schon deshalb kaum, weil Büchner einen größeren, intensiveren Abschnitt zeigt, den Personen mehr Entfaltung zubilligt. Die Opern-Version von Gottfried von Einem und – vergessen wir in puncto Libretto Boris Blacher nicht – zeigt bewusst nur einen Aspekt des Stückes, diesen aber stark vergrößert. Auf ungemein packende Weise wird hier vor Augen und Ohren geführt, wie es in einem mörderischen Trichter unerbittlich dem Ende entgegen geht.
Wo befindet sich für Sie der Höhepunkt der Oper?
Josef Ernst Köpplinger: Es gibt eine Reihe von kleineren und größeren Kulminationspunkten: Die ganze Tribunalszene natürlich. Aber auch so winzige Details wie den Gesang der beiden Henker zähle ich dazu, der an eine Heurigenmelodie erinnert und einerseits die Gefährlichkeit der Wiener Nettigkeit hervorhebt und andererseits zeigt, dass die gesamte Wiener Theaterwelt zwischen der Kapuzinergruft und dem Wurstelprater angesiedelt ist. Aber die beiden eigentlichen Höhepunkte sind die Gefängnisszene mit Danton und Camille sowie der berührende Schluss, wenn die wahnsinnig gewordene Lucile mit dem Beutel in der Hand, in dem sich der Kopf ihres Mannes Camille befindet, vortritt und „Es lebe der König“ ruft und sich damit dem Henker ausliefert. Opfert sie sich bewusst? Ist es ihre Überzeugung? Stellt sie die Sinnhaftigkeit der Revolution in Frage? Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Oper 1947 uraufgeführt wurde, knapp nach einer Schreckensherrschaft in der das Beil oft fiel – ist dieser Ausruf also ein mögliches Menetekel? Wenn man sich heute in Österreich umschaut und sieht, was da an Gedankengut an die Oberfläche gespült wird, denke ich mir oft: Oh ja, Zeiten können sich schneller wiederholen, als wir uns träumen lassen! Und umso notwendiger ist die Kunst, um dagegen zu halten.
Gottfried von Einem
Dantons Tod
Premiere: 24. März 2018
Reprisen: 27., 31. März, 3., 6., 9. April 2018