© Peter Mayr

MEHR als nur eine OPER

Musikdirektor Philippe Jordan im Gespräch mit Andreas Láng



Mittelalter, das nebelige Schottland, Morde, Hexen, Visionen: bei solchen Ingredienzien verwundert es wohl nicht weiter, dass Verdi für seine Oper Macbeth eine geradezu schwarze Tinta – also Grundfarbe, Grundatmosphäre – wählte.

Philippe Jordan: In der Tat handelt es sich vielleicht um sein düsterstes Bühnenwerk überhaupt – was allerdings nicht bedeutet, dass die Partitur dadurch monochrom wäre. Im Gegenteil: Sie ist in ihrer Farbigkeit überaus differenziert und vielgestaltig, aber eben im düsteren Spektrum. Sehr viel Moll, dumpfe und düstere Klangmischungen, die gehäufte Verwendung von b-Tonarten – so changiert er gerne zwischen b-Moll/f-Moll und Des-Dur – boten für Verdi ein fruchtbares Experimentierfeld. Dazu kommt eine entsprechende Instrumentierung, in der die tiefen Register des Orchesters, wie Fagotte, Hörner, Cimbasso, Bratschen, Celli, Kontrabässe eine bevorzugte Behandlung erfahren und die hohen Instrumente immer wieder regelrecht ausgespart werden, die Streichergruppe außerdem regelmäßig con sordino, also mit Dämpfern spielen muss – das Publikum wird schon durch wenige Takte in dieses schaurige, nördlich-kalte Ambiente eingeführt. 


War Verdi hier in seiner musikalischen Genre-Malerei nicht sogar ambitionierter, progressiver als in späteren Opern, also zum Beispiel in der berühmten Trias Rigoletto-Trovatore-Traviata?

Philippe Jordan: Das möchte ich gar nicht sagen – die Gewittermusik im Rigoletto beispielsweise ist gerade diesbezügliches ein absoluter Geniestreich. Aber Verdi hat im Macbeth vieles ausprobiert und entwickelt, was er danach weiterführen konnte. Sicherlich hat er sich auch an einigen Stellen soweit hinausgewagt wie später nie mehr (ähnlich wie Richard Strauss bei seiner Elektra), aber wie dürfen nicht vergessen, dass manch Entscheidendes erst in der zweiten Fassung von 1865 dazukam und er hier schon auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen konnte.


So manches, aber nicht alles: Letztlich treffen in der zweiten Fassung – die mit dieser Produktion im Wesentlichen erklingt – dennoch ein früherer Verdi auf einen mittleren Verdi, einiges aus 1847 auf anderes aus 1865. Wie sehr sind die Nahtstellen offenbar, wie groß ist der Stilbruch?

Philippe Jordan: Nicht so groß wie man denken könnte, keineswegs vergleichbar wie etwa beim Tannhäuser von Wagner. Verdi hat die unterschiedlichen Teile wirklich gut zusammengebracht, nicht zuletzt durch das Eliminieren der konventionellsten Passagen aus der früheren Version, in denen es noch vordergründig Koloraturen und Virtuosität gibt. Und die große Nachwandler-Szene der Lady Macbeth stammt zwar aus der Erstfassung, weist aber in ihrer gesamten Anlage und Musiksprache ohnehin weit voraus auf den späten Verdi, auf eine Amneris, eine Eboli, in der Verwendung der Chromatik sogar auf den Falstaff. Ähnliches gilt für den wunderbaren Patria oppressa-Chor aus dem vierten Akt, der schon das Verdi-Requiem vorausahnt.


Neben dem Dunklen ist es auch das Grauen, das Gefühl des Schreckens und des Horrors, das die Handlung und damit die Partitur bestimmt. Insbesondere die Hexen, die in Barrie Koskys Inszenierung ja als Angstfantasien aus dem Inneren der Psyche heraus agieren, nehmen hier einen besonderen Stellenwert ein. Wie lassen sich Angst und Schrecken in Musik transformieren?

Philippe Jordan: Unter anderem durch lautes Flüstern, bewusst viel Luft in der Stimme, durch häufiges Atmen zwischen den Tönen, Keuchen. Man muss bei den Hexenchören ungemein aufpassen, dass die Passagen nicht zur Folklore verkommen, zu elegant und witzig daherkommen wie der Zingarelle-Chor in der Traviata. Verdi schreibt zu Beginn der ersten Szene »Tutte le streghe in scena ... staccate e marcate assai: né dimenticarsi che sono streghe che parlano«, also: man möge nicht vergessen, dass hier Hexen sprechen. Mut zum Hässlichen ist hier angesagt, um die Damen möglichst bösartig und furienhaft erscheinen zu lassen. Schrecken und Furcht vermittelt auch das von Verdi explizit vorgeschriebene, fast durchgehende sotto voce im ersten Duett Macbeth-Banquo. Wie ungewöhnlich für eine italienische Oper dieser Zeit: Ein Anfangsduett das bewusst nur halblaut gesungen, fast geflüstert gegeben wird! Gott sei Dank nimmt die heutige Sängergeneration solche Vorgaben und Nuancen in der Partitur ernster als vor 30, 40 Jahren – dadurch wird die Originalität und Genialität Verdis noch deutlicher spürbar. Und da Sie die Idee der Angstvisionen in dieser Inszenierung ansprachen, sie entsprechen sehr treffend den Intentionen Verdis. Denken wir beispielsweise nur an die berühmten Prophezeiungen und die Vision der acht Könige im dritten Akt: Die Bühnenmusik agiert hier nicht mehr wie eine herkömmliche Banda, sondern als Klang unbestimmten, mystischen Ursprungs, die sich mit dem – gewissermaßen realen – Klang des Orchesters im Graben mischt. 


Apropos Vorgaben in der Partitur: Muss man heute überzeichnen, um denselben Neuigkeitsund Überraschungseffekt zu erzielen wie zu Uraufführungszeiten?

Philippe Jordan: Nicht unbedingt. Ein guter Restaurator wird die Farbigkeit von Renaissance-Bildern ja auch nicht übersteigern und noch bunter erscheinen lassen, um jenen Effekt zu erzielen, den diese Kunstwerke auf die Betrachter vor 500 Jahren ausgeübt haben müssen. Es geht einfach darum, den extremen Geist, der der Partitur innewohnt, umzusetzen. Ich finde, es reicht schon, wenn man wirklich come scritto, also wie in den Noten geschrieben, spielt, zum Beispiel ein vier- oder fünffaches p ernst nimmt respektive auf der anderen Seite keine falschen Traditionen weiterführt – zu viel Rubato, zu viele ausgehaltenen Spitzentöne – sondern die Direktheit, Unerbittlichkeit, diese gewisse Strenge der Verdi’schen Musik mit all ihren Details vermittelt.


War es die Inspiration der Shakespeare-Vorlage die Verdi entwicklungsmäßig so weit nach vorne gebracht hat?

Philippe Jordan: Zweifelsohne hat Shakespeare – und es war ja seine erste Vertonung eines zentralen Stückes dieses Dramatikers – Verdi schlechterdings überwältigt und in höchstem Grade inspiriert. Ebenso wie später Schiller im Falle von Don Carlos. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Verdi beim Macbeth im wahrsten Sinn des Wortes Musiktheater geschaffen hat und nicht der damals gängigen Operntradition gefolgt ist. Die Gesangslinien und Melodien entspringen hier einer deklamatorischen Haltung, die eher vom Gedanken des Schauspiels getragen beziehungsweise von der Dramaturgie der Szene bestimmt wird. 


Deshalb fehlen die sogenannten Schlager ...

Philippe Jordan: ... oder ein typisches Liebesduett – was man übrigens bei der Uraufführung negativ vermerkte. Verdi schien einfach extrem vom Gedanken des Theaters an sich fasziniert. Er war also durchaus ein Reformator und nicht, wie Werfel es einmal formulierte, ein Gegenreformator der Oper.