Macbeth: Nicht nur Schöngesang
Macbeth ist für mich ein Rollendebüt. In einem solchen Fall studiere ich zunächst einmal die Noten – ohne Text – und mache mir so ein erstes Bild von dem, was auf mich zukommt. Dann kümmere ich mich um den Text, übersetze und lerne ihn, ganz ohne Musik, fast wie ein Schauspiel: Ich will den Sinn und die tiefere Bedeutung des Gesprochenen erforschen, die sprachlichen Knotenpunkte und Klimaxe finden, die Figur über ihre Worte kennenlernen. Danach setze ich beide Elemente wieder zusammen, lege also den Text über die Musik und verfeinere den Charakter weiter. Verdis Musiksprache und meine Erfahrung mit ihr bieten dabei eine Hilfe, denn bei aller Eigenständigkeit seiner Figuren und Opern gibt es doch auch bei ihm immer wieder Konstanten, die sich herauskristallisieren. Es gibt ganz bestimmte melodische Wendungen, die Verdi regelmäßig einsetzt, wenn es zum Beispiel um Liebe geht, um Verlust oder um Macht. Auch bestimmte Harmoniefolgen verwendet er mitunter in ähnlichen Situationen, nicht deckungsgleich, aber wiedererkennbar: diese einzelnen Bausteine beschreiben oft Gefühlsbefindlichkeiten seiner Protagonisten, und so gibt Verdi dem Sänger Wegweiser, die in das Innere der Figur deuten.
In den letzten Jahren habe ich mein Repertoire stark auf Verdi fokussiert – Posa, Renato, Luna, Giorgio Germont, Simon Boccanegra, Miller, Rigoletto – damit will ich nicht sagen, dass ich ein „typischer“ Verdi-Bariton bin, weil ich nicht sagen kann, was ein Verdi-Bariton genau ist. Aber seine bei Bariton-Charakteren eingesetzte Tessitura liegt für mich günstig, weil sie etwas höher gelagert ist als bei vergleichbaren Partien etwa von Donizetti und Bellini. Diese Höhe geht oftmals einher mit stimmlichen Extremsituationen, großen Sprüngen, wie sie wiederum bei anderen Komponisten seltener zu finden sind. Diese Extreme betreffen sehr stark auch andere Stimmlagen, in Macbeth etwa die Partie der Lady Macbeth. Im Vergleich: Wagner-Opern sind oft viel länger, aber viele Rollen über weite Strecken deutlich weniger exponiert. Natürlich kommt es aber nicht nur auf die Höhe an; Verdi braucht meiner Meinung nach die schönsten Stimmen der Welt, daher versuchte ich stets, mein Organ in diese Richtung zu lenken. Obwohl ich kein Bastianini bin – der für mich die überhaupt schönste Stimme hatte – konzentrierte ich mich stets darauf, eine Wärme und „Rundheit“ zu entwickeln, und nahm mir meinen Bruder als Vorbild, der einen fantastisch schönen Bariton besitzt. Da liegt einer der besonderen Reize des Macbeth, denn diesmal geht es eben nicht um einen Schöngesang, der bei Posa oder Renato wichtig ist, sondern es geht um extreme Farben und zahllose Akzente. Von dieser Warte aus betrachtet ist der Macbeth ein für mich ganz neuer Ansatz, den ich ungemein spannend finde. Und auch wenn ein Renato für meine Stimme wohltuender ist, so ist die Herausforderung, die der Macbeth bietet, etwas für mich extrem Attraktives. Wie bei kaum einer anderen mir bekannten Rolle gibt es die genannten Akzente, Portamenti, so viele sich ständig ändernde Emotionen, man braucht mitunter fast einen veristischen Ansatz. Und obgleich ich vorhin von einzelnen Bausteinen in Verdis Opern gesprochen habe, ist gerade Macbeth ein Werk, in dem Verdi neue Wege beschritten hat, sprach er doch selbst in einem Brief an den Impresario Alessandro Lanari davon, dass diese Oper der Musik eine neue Richtung geben und auch zukünftigen Komponisten neue Wege öffnen wird. Das betrifft natürlich auch das Gesangliche: Der Macbeth unterscheidet sich wesentlich von den anderen Verdi-Partien, die ich gemacht habe, er ist noch „schauspielerischer“ als die anderen (und bei Verdi ist man ohnedies als Darsteller immer gefordert). Die Behandlung seiner Auftritte ist, abgesehen von seiner zentralen Arie, stark monologisch, zumindest monologhaft in ihrem Ausdruck. Die Partie kommt dem „Pari siamo“ des Rigoletto sehr nahe, diesem In-Gedanken-Sein, dem Ausdruck der Gefühle. Das ist auch das Schwierige in der Persönlichkeit Macbeths, es ist schwer zu erkennen, wie weit ihm das Morden Genuss bereitet oder er es nur als Mittel zum Zweck, zur Machterlangung, sieht. Eine ähnliche Frage ist auch, warum er ganz am Anfang der Oper erschrickt, als der erste Teil der Prophezeiung wahr wird: Ich denke, weil er bisher nie daran dachte, etwas ausdrücklich Verwerfliches zu machen. Er hat zwar als Krieger sicherlich viel Blut vergossen, aber immer „legitimiert“ durch seine Funktion, aus religiösen oder anderen Gründen. Nun entfaltet sich die Erkenntnis der Möglichkeiten, und eben auch der erschreckenden Möglichkeiten, und erstmals muss er selbst entscheiden. Die Hexen öffnen seine Augen, und er kommt nicht mehr los von den Gedanken, auch wenn er zwischendurch unter der Situation – und seinen Taten – leidet. Macbeth ist trotz allem aber ein schwacher Mensch, schon deshalb, weil er sich von der Idee der Macht so kontaminieren lässt und er sich gegen die Verführung nicht wehren vermag. Und doch kann er einem am Ende Leid tun, sieht man doch bei seiner berühmten Arie „Pietà, rispetto, amore“ einen Leidenden, der Bilanz seiner Taten zieht.
George Petean
Macbeth
Premiere: 4. Oktober 2015
Reprisen: 7., 10., 13., 17., 21. Oktober 2015