© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor © The George Balanchine Trust
Elena Bottaro & Denys Cherevychko in »Liebeslieder Walzer« (The George Balanchine Trust)
© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor © The George Balanchine Trust
Claudine Schoch & Roman Lazik in »Liebeslieder Walzer« (The George Balanchine Trust)

Liebesgeschichten in Bewegung

Das Wiener Staatsballett feiert am 14. Jänner Premiere mit Liebeslieder

Waren es sein Lieblingstänzer Fred Astaire und dessen Partnerin Ginger Rogers mit ihrer Jazz-Interpretation des Gesellschaftstanzes, die George Balanchine zur Kreation seines Balletts Liebeslieder Walzer inspiriert haben? Oder waren es die vier Tänzerinnen der Originalbesetzung, für die er unbedingt ein Stuck kreieren wollte? Oder doch ganz allein die beiden gleichnamigen Liederzyklen von Johannes Brahms? Entstanden ist ein Ballett, welches nicht nur den Walzer in eine neoklassische Choreographie integriert, sondern auch einen einzigartigen Stellenwert im Œuvre des Künstlers einnimmt. Ein Balanchine-Ballett, dessen Bewegungsgrundlage im Walzer liegt, gehört auf die Bühne der Wiener Staatsoper, dessen war sich auch Gerhard Brunner, der von 1976 bis 1990 Ballettdirektor im Haus am Ring war, bewusst. Für seine erste Saison gelang es ihm, ganze 17 Jahre nach der Uraufführung mit dem New York City Ballet, dieses ikonische Werk in das Repertoire der Wiener Staatsoper zu holen. Nach einer Pause von zwei Jahrzehnten bilden die Liebeslieder Walzer nun den Abschluss des dreiteiligen neuen Ballettabends des Wiener Staatsballetts und verwandeln die Bühne erneut in einen eleganten Tanzsaal.

Bereits während sich der Vorhang hebt, bewegen sich vier Paare im Walzerschritt über die Bühne. Eine Bühne, die einem Ballroom, einem Salon gleicht, in dem sich nicht nur die acht Tänzer*innen, sondern auch vier Sänger*innen und eine Pianistin sowie ein Pianist gemeinsam den »Liebesliedern« hingeben. »Das Arrangement und Bühnenbild erinnern an eine Soiree, wie sie früher oft veranstaltet und zu der neue Musik vorgetragen wurde. Die Sänger*innen und das Duo am Klavier sind die Künstler*innen, die Tänzer*innen portraitieren die zuhörenden Gäste«, erläutert Bart Cook, ehemaliger New York City Ballet-Tänzer, der gemeinsam mit seiner Partnerin Maria Calegari die Choreographie mit dem Wiener Staatsballett einstudiert hat. Die Tänzer*innen hören allerdings weniger mit den Ohren als mit ihren gesamten Körpern zu und lassen so, inspiriert von der Musik, Liebesgeschichten in Bewegung entstehen. »Kann Liebe allein genügen?« fragt das Ballett und zeichnet nicht nur Aspekte bedingungsloser Liebe nach, sondern macht jedmögliche Nuance einer Beziehung in den Schritten, in den gemeinsamen Tänzen der Paare sichtbar: bittersüße, scharfe Momente folgen auf liebevolle und zärtliche, Betrug und die Unfähigkeit, einander zu vertrauen, sich auf den Partner einzulassen, finden auf sublime Weise genauso Platz wie all das Schone, das in der Romantik liegt. »You don’t know how to waltz«, soll Balanchine seinen Tänzer*innen in Amerika stets gesagt haben. Als Antwort auf die in den Vereinigten Staaten wenig vorhandene Kultur des Gesellschaftstanzes hat er eine Choreographie geschaffen, die alle Möglichkeiten der Interpretation eines Walzers untersucht und große Emotionalität mit Bewegung verknüpft. Auf den ersten Akt, einen »wirklichen«, in dem eine elegante Abendgesellschaft zum Tanz bittet, folgt der zweite Akt, in dem der Walzer in die Vergänglichkeit übergeht und der Tanz zur Poesie wird. Die Damen tauschen ihre Tanzschuhe und Ballkleider gegen Spitzenschuhe und Tutus, die Herren legen die Handschuhe ab: Der Versuch, das Menschliche hinter sich zu lassen? Balanchine gibt dem Publikum seine Antwort in der Programmnotiz: »Im ersten Satz tanzen die echten Menschen und im zweiten Satz sind es ihre Seelen.« Als eine außergewöhnliche Arbeit in Balanchines choreographischem Kanon gelten die Liebeslieder Walzer auch aufgrund der Musikauswahl. Kein großes Orchester im Graben, sondern die beiden Liederzyklen Liebeslieder Walzer op. 52 und Neue Liebeslieder op. 65, die Johannes Brahms zwischen 1869 und 1874 schrieb – die Neuen Liebeslieder aufgrund des großen Erfolges der ersten Reihe – waren Balanchines Ausgangslage, um in die Welt der Wiener Bälle um die Mitte des 19. Jahrhunderts einzutauchen. Alle Lieder bis auf eine Goethe’sche Ausnahme zum Schluss sind zu Nachdichtungen meist osteuropäischer Volkslieder von Friedrich Daumer entstanden, mit denen Brahms ein buntes Kaleidoskop menschlicher Emotionen zum Thema Liebe entwickelt. Das Gesangsquartett und die beiden Pianist*innen bettet Balanchine in das Buhnen-Geschehen ein, sodass es den Tänzer*innen obliegt, mit ihren Bewegungen der Schönheit der Stimme zu folgen und neben sowie mit ihr zu wachsen. »Die Liebeslieder Walzer sind auch als Werkgestalt längst Ballettgeschichte, weil Prototyp einer neuen Form des klavierbegleiteten Balletts, das sich in den Folgejahren rasch durchgesetzt hat, am erfolgreichsten und nachhaltigsten in den Dances at a Gathering (Chopin) von Jerome Robbins und Hans van Manens Adagio Hammerklavier«, beschreibt Gerhard Brunner diese Entwicklung in der Historie des klassischen Balletts. Einige Jahre nach der Entstehung von Dances at a Gathering hat der ebenfalls am New York City Ballet wirkende Jerome Robbins seine »alte Liebe«, die Musik Frédéric Chopins, erneut zur Basis eines Balletts gemacht: Der Pas de deux Other Dances wurde 1976 für die russische Ballerina Natalia Makarova und ihren Landsmann, den Startänzer Mikhail Baryshnikov, für eine Gala des American Ballet Theatre kreiert und eröffnet den Ballettabend Liebeslieder. Robbins verband in seinem »piano ballet« die Anmut der Danse d’Ecole mit der Romantik Chopins und schuf so eine Choreographie, die durch ihre Natürlichkeit wie auch Virtuosität eine pure und wahrhafte Hommage an das Klassische Ballett ist.

Eine New Yorker Choreographin, die Jerome Robbins, der als Theatermacher vielseitig interessiert und in unterschiedlichsten Stilen künstlerisch zuhause war, so begeistert und inspiriert hat, dass er für sie eine enthusiastische Empfehlung für das renommierte Guggenheim-Stipendium schrieb, ist Lucinda Childs. Ihre 1993 in Portugal uraufgeführte Choreographie Concerto zur gleichnamigen Komposition von Henryk M. Górecki steht in Wien zwischen den Arbeiten der beiden New Yorker Tanzlegenden Robbins und Balanchine. Die Amerikanerin zählt zu den Künstler*innen, die sich das unter der Rezession leidende Manhattan der 70er Jahre zur postindustriellen Buhne machten. Childs, die man später auch »Queen of Minimalism« nannte, begann ihre Karriere am Judson Dance Theater, jenem legendaren New Yorker Künstlerkollektiv, das mit seinen experimentellen Ansätzen unter anderem Geburtsstätte des Post Modern Dance war. In der Ablehnung von traditioneller Form und Erzählung entstanden Arbeiten, die nicht nur im urbanen Raum stattfanden, sondern auch das künstlerische, tänzerische Moment in Alltagsbewegungen suchten. Als freie Choreographin für Ensembles weltweit, wie auch für ihre 1973 gegründete Lucinda Childs Dance Company kreiert die Künstlerin seither Arbeiten, die sich zum einen mit der Choreographie von purer Bewegung und Form befassen, zum anderen den Fokus auf Interdisziplinarität in der Vereinigung von Tanz, Bild, Video und Musik suchen. Die Wahrnehmung des Publikums ist dabei ein zentrales Anliegen der Choreographin, die sich stets die Frage stellt: Was passiert mit unserer Wahrnehmung einer Bewegung, wenn diese stetig in unterschiedlichen Situationen verändert wird? Darauf aufbauend sucht Concerto, mit dem das Wiener Staatsballett erstmals eine Arbeit Lucinda Childs’ zeigt, die elementare Verbindung von geometrischen Mustern, sich wiederholenden Bewegungsabläufen sowie Rhythmen und entfaltet eine hypnotische Wirkung, derer man sich nur schwer entziehen kann. Jerome Robbins – Lucinda Childs – George Balanchine. Drei Tanzschaffende, deren künstlerische Heimat New York war und die bei aller Unterschiedlichkeit der choreographischen Ansätze, stets nach einer intensiven Verbindung von Form und Komposition, Tanz und Musik suchen. Liebeslieder vereint nicht nur diese diversen Tanzwelten auf der Bühne, sondern auch das Wiener Staatsballett mit Gesangssolist*innen und Pianist*innen der Wiener Staatsoper. (Nastasja Fischer)