Liebe oder BESITZ?
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Tosca, Salome, Minnie, Rusalka: nur einige der wichtigen Opernrollen der schwedischen Sopranistin Malin Byström. Viele weitere könnte man aufzählen, etwa die Elisabeth in der französischen Fassung von Verdis Don Carlos, mit der sie im Haus am Ring 2020 debütierte. Mit der Salome, die sie unter anderem schon in London am Royal Opera House gesungen hat, kehrt sie nun als Premierenprotagonistin an die Wiener Staatsoper zurück. Inmitten der aufregenden und inspirierenden Probenarbeit fand sie Zeit, mit Oliver Láng über die Arbeit mit dem französischen Regisseur Cyril Teste, die Liebessehnsucht der Salome und die stimmlichen Herausforderungen dieser außerordentlichen Strauss-Rolle zu sprechen.
Frau Byström, die Salome ist eine Partie, die Sie international bereits mehrfach, sehr erfolgreich, gesungen haben. Gibt es etwas, was Sie in dieser Neuproduktion gelernt haben bzw. über die Figur noch nicht wussten – oder so noch nicht wussten?
MALIN BYSTRÖM Mit unserem Regisseur Cyril Teste habe ich viel mehr über die Figur und ihre Psychologie nachgedacht als mit manchen anderen seiner Kollegen – und das finde ich sehr schön. Er ist kein Regisseur, der einem sagt: »Genau dieses und jenes musst du auf der Bühne machen!«, sondern er gibt mir ein paar Ideen und will dann sehen, wie ich damit umgehe. Wir sprechen sehr viel über all die zahlreichen Schichten, die in dem Stück und der Figur stecken. Und fragen uns: Aus welchen Blickwinkeln kann man eine Szene betrachten? Wie kann man ein Verhältnis zwischen zwei Figuren beleuchten? Dabei kann ich vieles ausprobieren und dringe so immer tiefer in das Stück ein. Nicht, dass ich die Figur vorher nicht verstanden hätte. Aber nun kann ich noch mehr unterschiedliche Aspekte erkennen und sie zeigen. Das ist spannend und bereitet mir große Freude.
Als ich Sie bei einer szenischen Probe erlebte, hatte ich das Gefühl, keinen Teenager zu sehen, sondern eine junge Frau, die die Welt durchaus schon versteht und erfahren hat.
MB Na ja, man kann ja auch jung sein und schon viel verstehen. Ich glaube, dass Salome durch ihre Erfahrungen vielleicht ein bisschen älter wirkt, als sie vom Alter her ist – und sie will auch älter sein. Wobei sie natürlich dennoch sehr jung ist.
Was sieht sie in Jochanaan? Eine Rettung aus ihren Verhältnissen? Ist Jochanaan mit seiner Glaubensstrenge etwas, was sie so nicht erlebt hat – und sie daher interessiert? Oder ist er ein Vaterersatz?
MB Ich würde sagen: Alle drei angesprochenen Aspekte stimmen. Salome weiß, dass ihr Vater in demselben Kerker wie Jochanaan eingekerkert war und sie vermisst ihren Vater, hier kommt es zu einer fast ödipalen Spiegelung. Man darf auch nicht vergessen, dass sie von ihrer Mutter viel zu wenig bekommen hat: zu wenig Schutz, zu wenig Liebe. Also sucht sie nach all dem. Salome erfährt darüber hinaus im Verhältnis zu Jochanaan neue Gefühle, etwas was sie nicht kennt. Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Wie liebt man? Wie verhält man sich, wenn man liebt? Letztlich geht sie so damit um, wie sie es aus ihrer Umgebung und ihrem bisherigen Leben kennt.
Begehrt sie Jochanaan wirklich? Kann Salome Liebe und Sexualität unterscheiden?
MB Ja, ich denke, sie begehrt ihn. Und ob sie Liebe und Sexualität unterscheiden kann? Können wir das immer? Es gibt vielleicht Momente, in denen die Trennlinie für viele nicht ganz scharf gezogen ist. Aber ohne Zweifel ist es für Salome mehr als nur Sexualität, mehr als nur das Körperliche.
Geht es auch darum, dass sie sein Widerstand reizt?
MB Das sehe ich weniger, wenn, dann zumindest nicht bewusst.
Sie sagten, dass Salome zu wenig Geborgenheit und Zuneigung von Herodias erhielt. Wie ist das Verhältnis von der Tochter zur Mutter? In der Bibel ist sie ja die folgsame Tochter, die Oper sieht das anders.
MB Es ist für Herodias schwer, denn ihre Tochter will nichts mit ihr zu tun haben. Ja, Salome freut sich ja fast, als sie hört, was Jochanaan über ihre Mutter sagt. Endlich einer, der wagt, die Wahrheit auszusprechen! Salome will absolut nicht eine solche Frau werden, wie ihre Mutter. Vielleicht sucht Herodias die Verbindung zu ihrer Tochter, aber dieser Zug ist abgefahren. Es ist zu spät.
Es ist also keine normale Pubertät mit Phasen der Ablehnung der Eltern, sondern mehr?
MB Nein. Viel mehr!
Und das Verhältnis zu Herodes?
MB Es ist furchtbar, aber ich denke, man kann es nur mit Hass beschreiben. Salome möchte nichts mit ihm zu tun haben. Aber sie benutzt ihn, um das zu bekommen, was sie will.
Ist Salomes Hass auch in einem Missbrauch durch Herodes begründet?
MB Ja. Und zwar durch einen Missbrauch, der zur Normalität in der Familie wurde. Auch dadurch, dass Herodias sieht, aber nicht viel dagegen sagt. Es kann ja auch um subtile Sachen gehen. Ein Blick, eine Hand zu lange auf die Knie und so weiter. Das ist ja auch das Erste, was ich singe: »Warum sieht mich der Tetrarch fortwährend so an? Es ist seltsam, dass der Mann meine Mutter mich so ansieht.«
Herodes bietet Salome, um sie von der Forderung nach dem Kopf des Jochanaan abzubringen, gewissermaßen »kapitalistische« Werte an: Macht, Schmuck, Geld. Das alles lehnt sie ab. Weil sie an diesen Werten nicht interessiert ist?
MB Zumindest in diesem Moment zählt das alles für sie überhaupt nicht.
Und weshalb will sie den Tod von Jochanaan? Um Herodes oder um Jochanaan zu bestrafen?
MB Hier geht es um Jochanaan, nicht um Herodes. Dabei dreht es sich – natürlich – auch um Strafe. Aber ebenso darum, Jochanaan, auf welche Weise auch immer, zu besitzen. Das ist die unglaubliche Tragik!
Die musikalische Apotheose am Schluss, sie beschreibt das Gefühl der Liebe?
MB Es gibt Momente, in denen Salome vieles versteht und die Liebe und die Tragik des Ganzen begreift. Die Euphorie... vielleicht versucht sie sich selbst zu überzeugen? Man kann das alles nicht streng logisch mit dem Kopf erfassen, es sind so viele Schichten, so viele Gefühle und Verwirrungen.
Gibt es eine Grundemotion, die Salome leitet?
MB Nein, ich spüre kein einzelnes Grundgefühl. Salome will zum Beispiel Jochanaan wirklich haben, aus ganzem Herzen, vollkommen. Aber sobald er sie verflucht, brandet in ihr auch gegen ihn ein Gefühl der Wut auf. Vielleicht ist es nicht Hass, aber Liebe und Hass in einer seltsamen Mischung. Und dann will sie Rache.
Salome wurde immer wieder das Bild der Femme fatale übergestülpt.
MB Ich sehe sie nicht so. Vielleicht ist sie das aus dem männlichen Blick. Aber eine Femme fatale ist für mich älter, bewusster in ihrem Tun. Salome fällt nicht in diese Kategorie.
In der Übersetzung des originalen Oscar Wilde-Textes und damit in der Oper fehlt in Salomes Schlussmonolog ein Satz. Nämlich die Conclusio nach »Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes«. Diese lautet: »Man sollte nur die Liebe betrachten.« Würden diese sechs Worte Entscheidendes an der Charakterinterpretation Salomes ändern?
MB Ich weiß nicht, ob das viel änderte. Womöglich ist es so, dass die Interpretationsmöglichkeiten ohne diesen Satz größer sind. Der Charakter der Salome ist dadurch offener angelegt, wenn die Einsicht, nur die Liebe zu betrachten, nicht so explizit im Raum steht.
Richard Strauss wusste selbst um die Herausforderung seiner Salome-Partie. Die Sängerin muss nämlich beides abdecken: feine Ziselierung und große Kraft. Wie legen Sie Ihre Salome gesanglich an?
MB Ich denke, man darf sich nicht nur für eine Richtung entscheiden, also nur fein oder nur kräftig. Stattdessen versuche ich stets, meine Stimme so zu führen, dass ich alle Nuancen abdecken kann. Mir ist es vor allem wichtig, alles mit einer sauberen und reinen Stimme zu singen und ganz präzise zu sein – das muss ja bei allen Rollen so sein, also auch bei Salome. Selbstverständlich gilt es vor allem bei dieser Partie, jene Passagen zu finden, in denen man nicht sofort Forte oder Fortissimo geben muss. Ganz wichtig ist dabei freilich die gute Zusammenarbeit mit dem Dirigenten, gerade was die Lautstärken betrifft. Denn das Orchester ist ja groß! Mir persönlich ist es ja viel lieber – das erscheint auf den ersten Blick paradox– die gesamte Oper zu singen als nur die Schlussszene. Warum? Weil sich an einem kompletten Salome-Abend meine Stimme gut aufwärmen und vorbereiten kann, in einem Konzert hingegen fehlt dieser große Anlauf.
Fällt Ihnen eine Stelle ein, die für Sie der schönste, tiefste Moment des Abends ist? Der Sie stets aufs Neue bewegt?
Jener Moment in Salomes Gesang am Ende der Oper, in dem sie begreift, was sie durch den Mord an Jochanaan verloren hat. Ein Augen- blick der unvorstellbaren Tragik. Gerade noch die Euphorie, und dann der Moment, in dem sie versteht, wie falsch sie agiert hat. Es ist so traurig!
Wenden wir uns nun der Sängerin Malin Byström zu. Wie geht es dieser, wenn sie eine Salome singt und durchlebt? Wie geht es ihr danach?
MB Selbstverständlich tauche ich in die Rolle voll ein und es dauert danach stets eine Weile, bis ich wieder Malin Byström bin. Und derzeit, in der Probenphase, träume ich seltsam: die Fragen, die Salome betreffen, verlassen mich auch nachts nicht. Andererseits gilt, wie immer: Man muss einen klaren Kopf bewahren und die gedankliche Ebene – wie löse ich diesen Abend sängerisch? – offenhalten. Ein Zugang, bei dem ich mich ganz ohne Kontrolle in die Partie hineinstürze und keine Ahnung habe, wie die Rolle gesanglich umzusetzen ist, ist nicht mein Weg – und es funktioniert auch nicht!