KUNST ist kein Gummibärchen
Herbert Föttinger, Kammerschauspieler und Direktor des Theaters in der Josefstadt, spielt erstmals an der Wiener Staatsoper – und zwar den Haushofmeister in Straussʼ »Ariadne auf Naxos«. Also jene Figur, die mit boshafter Grundierung die Wünsche seines Herren, des »reichsten Mannes von Wien«, ausrichtet. Wünsche, die die Kunst radikal dem Geld unterwerfen. Was Herbert Föttinger über Theater und Geld, Wien und die Stellung des Theaters in dieser Stadt denkt, erzählte er auf einem Spaziergang von der Josefstadt zum Brunnenmarkt, der Gegend seiner Jugend.
Der Haushofmeister: Welche Form von Bosheit entdecken Sie bei ihm? Eine, die der Angst vor seinem Herrn entspringt? Oder ist er einfach so? Ist es eine spezifisch Wienerische Bösartigkeit? Gibt es eine solche überhaupt?
HERBERT FÖTTINGER Selbstverständlich! Aber die ist anders als jene des Haushofmeisters, sie ist horváthesker im Sinne von »Geschichten aus dem Wiener Wald«, nestroyanischer, schnitzlerischer. Bei dieser Form von Boshaftigkeit spüren wir die subtile Freude, dem anderen zu schaden, den Spaß, wenn es dem Gegenüber schlecht geht. Beim Haushofmeister habe ich hingegen das Gefühl, dass er eine Einheit mit seinem Herrn bildet und dessen Haltung und Meinung übernommen hat. Er ist ein kleiner Unsympathler, der endlich Macht zeigen kann. Er ist einfach ein Wurmfortsatz seines Herrn.
Vergleicht man unsere aktuelle kulturelle Situation mit jener in der Ariadne, geht es uns ja zweifellos sehr gut. Diese Hemmungslosigkeit, mit der das Geld regiert, haben wir in Österreich nicht.
HERBERT FÖTTINGER Naja, »Wer zahlt, schafft an.« Dass dieses Denken besteht, wissen wir ja mittlerweile, es hat sich aber zum Glück noch nicht auf den Kulturbereich ausgedehnt. Aber grundsätzlich ist es leider vorstellbar, dass ein Geldgeber entsprechende Forderungen anbringt und etwas auf der Bühne genauso sehen will, wie er es sich vorstellt. Da setzt Ariadne ja mit der Kritik an: Geld und Macht können die Kunst zerstören! Dass dann in der Opernhandlung doch etwas Besonderes entsteht – das ist das Wunder der Bühne und natürlich die Theaterfantasie der Autoren. Aber im Grunde ist es kunstzerstörerisch, was da zu erleben ist. Und wenn man den Text, der gesprochen wird, ernst nimmt, wird einem die Radikalität des Zugriffs des »reichsten Manns von Wien« auf das Werk des Komponisten ersichtlich. Wir sehen den reichen Herrn zwar nicht, aber wir spüren den erschreckenden Geist, der in diesem Haus herrscht.
Welche der Figuren entspricht Ihnen im echten Leben? Der Komponist, dessen ganzer Glaube an dem Werk hängt? Der Musiklehrer, der schon viel erlebt hat? Oder Zerbinetta, die das alles mit Leichtigkeit nimmt?
HERBERT FÖTTINGER Da muss ich ehrlich sagen: ich bin der Komponist. Für mich kann es keine Eingriffe von außen geben! Und ich lasse mir von niemandem sagen, was auf der Bühne stattzufinden hat.
Gilt das für den Regisseur und den Schauspieler gleichermaßen?
HERBERT FÖTTINGER Gleichermaßen!
Auch der Theaterdirektor darf nicht in Kompromissen denken?
HERBERT FÖTTINGER Natürlich gibt es gewisse Zwänge, aber ich kann nicht sagen: »Dieses oder jenes streiche ich, weil das für irgendjemanden nicht angenehm klingt«. Das Theater verlangt die Radikalität einer Wahrhaftigkeit und braucht die Freiheit. Nur so kann es Seelenbildung sein, nur so kann es das geistige Rückgrat eines Landes werden. Kunst bildet uns, macht uns größer, weiter im Denken. Und wenn die Frage gestellt wird, ob Theater tatsächlich ein Lebensmittel ist, dann lautet die Antwort: ja! Denn es gibt nicht nur physische, sondern auch psychische Nahrung. Zu dieser zählt die Kunst ebenso wie die Bildung. Und wir wollen ja im Sinne der Demokratie gebildete, frei denkende Menschen, die ein selbstständiges Urteilsvermögen besitzen. Zur Menschwerdung braucht man Kunst. Und wenn die Kunst nicht frei ist, ist auch diese Menschwerdung durch die Kunst gefährdet.
In Ariadne auf Naxos ist einerseits die Position des Komponisten zu erfahren, für den Kunst das Allerheiligste ist, aber auch jene von Zerbinetta, die Theater stärker als Unterhaltungsmedium sieht. Befindet sich ein Theater immer in dieser Spannung?
HERBERT FÖTTINGER Jetzt müsste man das Wort Unterhaltung genauer definieren. Ich will nicht die abgedroschene Formulierung wiederholen, dass in diesem Wort auch »Haltung« steckt. Mit Unterhaltung ist jedenfalls nicht gemeint, dass ich etwas genieße wie ein Gummibärchen. Sondern der Anspruch, dass mich etwas anregt und auch gescheiter macht.
Und dennoch wird oft der Wunsch nach dem schnellen Genuss an das Theater herangetragen. Selbst in einer erschütternden Tragödie stolpert womöglich eine Person – und schon lachen manche. Ein Grundbedürfnis?
HERBERT FÖTTINGER Das ist nur der primäre Reiz. Die Person, die stolpert, hat ja vielleicht ein Problem, das sich im Stolpern äußert? Da ist es die Aufgabe des Publikums, über diese erste Schicht der Wahrnehmung hinwegzugehen und zu schauen, was dahintersteckt. Und gerade das macht es aufregend: Nämlich, dass ich nicht bei der ersten Bananenschale verbleibe, sondern weitergehe, nicht im ersten Eindruck verharre, sondern einen zweiten, dritten zulasse. Kunst muss man sich ja auch verdienen! Beim Bildungsbürgertum, das lange so heftig gescholten wurde, zählten die Künste zum Grundwissen, zur Grundausstattung. Sie waren gewissermaßen ein Elementarunterricht des Lebens. Dass wir in einer Zeit leben, in der man das mitunter infrage stellt, finde ich schade. Denn alles, was man weiß, was man besser weiß, hilft einem weiter. Wenn ich Musik zu verstehen und nicht nur zu konsumieren lerne, wird mein Erlebnis, der Gewinn, den ich aus einer Aufführung ziehen kann, größer.
Der Reiz von Ariadne auf Naxos liegt für viele unter anderem im Blick hinter die Kulissen des Theaters. Man trifft auf Unruhe, eine Diva, einen Divo, Konkurrenzen. Wie sehr genießen Sie diese spezielle Welt? Wie echt ist sie?
HERBERT FÖTTINGER Dem Funktionieren des Stücks tut diese aufgeladene Stimmung sehr gut. Diese besondere Atmosphäre und manche Konflikte gibt es ja mitunter tatsächlich. Ich selbst bin allerdings eher ein Freund der kreativen, konzentrierten Arbeit – die man in Ariadne nicht erlebt. Aber natürlich hat dieses Außergewöhnliche, die Unruhe, die letztlich auch durch den Haushofmeister ausgelöst wird, seinen Reiz. Die Überhöhung, die ans Farcehafte grenzt, entbehrt nicht einer gewissen Wirkung.
Anfangs sprachen wir von der Wienerischen Boshaftigkeit. Wie sieht es ganz allgemein mit dem Wiener Ton aus? Michael Heltau etwa sprach immer wieder gerne von einem speziellen »Ton«.
HERBERT FÖTTINGER Wenn man alte Aufzeichnungen heranzieht, dann spürt man schon, dass es etwas gab, etwas Besonderes, einen Ton, von dem auch die Dichter und Dramatiker gelebt haben. Zum Beispiel ein Hofmannsthal, der dieses Zeitkolorit im Schwierigen oder Unbestechlichen verewigt hat. Man kann jetzt sagen: Weltliteratur ist es, wenn es das überwindet. Doch wenn man die Texte genau liest, wenn man ein Harnoncourt der Sprache ist, dann erkennt man schon, was durch die Nivellierung zum Hochdeutschen, durch die ein Text eine Form der Allgemeingültigkeit bekommt, passiert. Die Feinheiten, 19 die Vielschichtigkeiten, diese speziellen Subtexte, wo grün nicht grün ist, sondern auch ein bisserl rosa, die gehen verloren. Das alles ist schwer zu vermitteln. Wenn der Invalide in Glaube, Liebe, Hoffnung auf die Bühne kommt und sagt: »Na bravo«, dann ist dieses »Bravo« im Hochdeutschen ein positives Wort. Im Sinne von: »Bravo!« Es bedeutet hier aber etwas ganz anderes, das Gegenteil, nämlich [sagt es auf Wienerisch]: »Na, bravo!«.
Nach wie vor genießt Wien den Ruf einer Kulturstadt. Hält das einer Überprüfung stand? Oder haben wir das einander einfach oft genug erzählt? Ist es tatsächlich so, dass sich die Wienerinnen und Wiener vergleichsweise mehr für die Oper, fürs Theater interessieren?
HERBERT FÖTTINGER Ich glaube schon, dass sie das machen. Alle Künstlerinnen und Künstler, die nach Wien kommen, weisen mich darauf hin. Es gibt hier schon eine ungewöhnliche Form der Begeisterung, selbst wenn die Ablenkungen, Gegenangebote und Konkurrenzen sehr groß sind. Alleine, dass in der Zeit in Bild, also in einer Nachrichtensendung, über Aufführungen des Musik- und Sprechtheaters berichtet wird, sagt schon sehr viel aus. Da können Sie in Deutschland lange schauen, bis Sie so etwas erleben! Bei uns hingegen ist es Normalität. Der berühmte Taxifahrer, der Ihnen sagen kann, was am Abend gespielt wird – ich weiß nicht, ob es ihn noch gibt, aber jedenfalls gab es ihn – ist schon eine Besonderheit. Oder als beim Begräbnis von Alexander Girardi Tausende trauerten… Nicht, dass sie alle im Theater gewesen wären, aber sie wussten Bescheid und es bedeutete ihnen etwas. Also ja, eine besondere Kunstfreude gab und gibt es in Wien schon, eine Euphorie für die Oper und das Sprechtheater. Warum das so ist? Das hat sicherlich viele Gründe und ich glaube nicht, dass man da alles über einen Kamm scheren kann. Aber im Vergleich zu anderen großen Städten, denken wir nur an Berlin, das ein härteres Pflaster ist, geht es uns diesbezüglich sehr gut.
Im Laufe unseres Spaziergangs haben wir zumindest einige hundert Meter in Wien zurückgelegt. Wenn Sie die Stadt ganz allgemein definieren sollten, wie würde die Beschreibung lauten?
HERBERT FÖTTINGER Wien war immer ein Schmelztiegel der Sprachen und der Kulturen. Das hat sich nicht verändert, vielleicht nur ein wenig verschoben. Wenn man Hofmannsthal liest, und ich erwähne noch einmal den Schwierigen, dann spürt man ganz genau, wie groß der Einfluss des Böhmischen und Tschechischen auf Wien war, auch in der Sprache. Das war eben die Monarchie, die Mischung der unterschiedlichsten Einflüsse. Und dieses Zusammentreffen des Tschechischen, Ungarischen, Jüdischen, Italienischen und vieles anderen, das hat hier in Wien seinen Kulminationspunkt gefunden. Genau das macht auch das Besondere aus, das Flair, wenn man so will. Natürlich kennen wir das ebenso aus anderen großen Städten, wenn wir uns zum Beispiel London anschauen. Aber Wien wurde in einem hohen Maße durch diese Vielfalt geprägt. Und so ist es ja bis heute. Vielleicht sind es heute weniger Tschechen und Ungarn, dafür zum Beispiel Serben, Kroaten und Türken. Als Jugendlicher lebte ich hier im 16. Bezirk, und ich weiß noch, wie ich in einem Nebenzimmer unserer Wohnung für die mündliche Matura lernte. Durch das offene Fenster hörte ich türkische Musik und fand das einfach toll. Bis heute inspiriert mich das, denn jede zusätzliche Sprache, jede Kultur stellt eine ungemeine Bereicherung dar – und keine Bedrohung, wie manche leider denken.