© Chistian Schörg

Kunst ist ein mind opener

Manchmal scheint es, als ob es zumindest zwei Wolfgang Bankls gäbe: Eben hat man ihn noch auf der Bühne der Staatsoper in einer seiner zahllosen Partien gesehen, schon steckt er im Fafner-Kostüm des Kinderringes und wird von hunderten hell aufschreienden Kindern am Raub des Wunderschwertes gehindert. Zugleich ist die Erinnerung an seinen jüngsten Auftritt in der 9. Beethoven noch ganz frisch, das hier abgedruckte Interview hingegen musste via Telefon geführt werden, da Wolfgang Bankl Mitte Oktober in Berlin unter Simone Young im Rahmen der Berliner Festspiele den Gurnemanz in Bernhard Langs Parsifal- Überschreibung Mondparsifal verkörperte.
Anfang November ist der Vielbeschäftigte wieder – wie schon bei der Premiere 2011 – als Dikoj in Janáčeks international leider viel zu selten gespieltem Meisterwerk Kátja Kabanová zu erleben.

Herr Kammersänger, inwieweit ist ein Sänger auf der Bühne auch ein Missionar, ein Kunstmissionar?

KS Wolfgang Bankl: Es ist ursprünglich nicht meine primäre Absicht gewesen überhaupt Sänger zu werden. Ich wollte eigentlich das Handwerk des Komponisten, oder weniger hochtrabend formuliert, jenes des Arrangeurs professionalisieren, um Musik besser zu verstehen und in Hinblick auf den Jazz entsprechend einsetzen zu können. Da aber diese Studienrichtung am Konservatorium der Stadt Wien nur in Kombination mit einem sogenannten Hauptfach möglich war, entschied ich mich, als damals 24jähriger, für den Gesang – ohne vorher auch nur eine einzige Gesangsstunde genommen zu haben. Ich hatte dann das Glück, oder war es ein Zufall, tatsächlich in eine Gesangsklasse aufgenommen zu werden, noch dazu zu einem Professor, der in mir Potenzial erkannte und mich entsprechend förderte, sodass nach einem dreiviertel Jahr klar wurde: „ Ja, das mache ich – und zwar mit dem größtmöglichen Einsatz.“ Kurzum, ich durchlief die damals übliche Karriereleiter – kleine Partien in kleinen Häusern, dann Festengagement in der deutschen Provinz und schließlich Aufnahme ins Staatsopernensemble. Das ist die eine Seite. Auf einer Nebenschiene sozusagen singe ich sehr gerne Liederabende, Oratorien, Konzerte – und zumindest hierbei bin ich wirklich wild und bewusst missionarisch unterwegs!

Inwiefern?

KS Wolfgang Bankl: In meinen Liederabend-Programmen suche ich nicht die bereits hundertfach ausgetretenen Pfade, sondern fordere die Zuschauer, vielleicht überfordere ich sie mitunter (lacht), mit mir gemeinsam neue Welten zu entdecken oder neue Zusammenhänge zu erkennen – sei es durch zahlreiche Uraufführungen oder eben durch nicht alltägliche Zusammenstellungen. Eines meiner Programme

Diese Antwort fordert gewissermaßen die Frage heraus: Was soll Kunst überhaupt, kann eine „Aufgabe“ der Kunst definiert werden?

KS Wolfgang Bankl: Kunst ist sicher ein mind opener, sie hilft den Geist so zu öffnen, dass man Dinge sehen kann, die man ohne sie in dieser Form nicht erkannt hätte. Kunst macht, kurz gesagt, Perspektiven deutlich. Nur ein Beispiel: Ich habe mich als Mitwirkender in Brittens Billy Budd lange Zeit darüber gegrämt, dass am Ende der Oper nicht ein großes Ereignis letztendlich doch Gerechtigkeit herbeiführt. Langes energiereiches Ringen mit diesem Stück hat mir schließlich klar gemacht, dass es offenbar nicht darauf ankommen kann, eine Schandtat durch private Rachegelüste erträglicher zu machen.

Ändert sich durch so eine Perspektivenverdeutlichung im Laufe der Zeit auch der eigene Kunstgeschmack des Interpreten? Verwerfen Sie Komponisten, die Sie früher gemocht haben oder schätzen Sie Werke, die Sie vor 20 Jahren noch links liegen gelassen hätten?

KS Wolfgang Bankl: Mein Geschmack hat sich in den letzten 30 Jahren nicht grundsätzlich verändert. Aber – und dieses „aber“ gehört betont: Ich habe gelernt, Komponisten und deren Werk zu verstehen, die ich bereits gemocht hatte, ohne zu wissen warum. Allen voran möchte ich in diesem Zusammenhang Beethoven nennen – da hat mir vor allem Adam Fischer die Augen geöffnet. Aber auch Janáček gehört zweifellos hierher. Ich erinnere mich, dass ich bei der ersten Probe einer Janáček-Oper überhaupt nichts mit dieser Musik anfangen konnte. Sie hat sich mir sozusagen erst nach und nach geoffenbart. Heute weiß ich beispielsweise, dass es falsch wäre, die Härten in seiner Tonsprache durch falschen Schönklang glätten zu wollen – nein, das muss im Gegenteil richtig brutal herausgearbeitet werden. Auch in der scheinbaren, mir zunächst suspekten Einfachheit in manchen Verdi- Opern habe ich erst nach und nach die Genialität entdeckt. Es ist also mit anderen Worten oft unumgänglich sich intensiv mit der Materie zu beschäftigen, um letztendlich Schätze heben zu können, die man vorher nicht bemerkt hat.

Immer wieder trifft man im Zusammenhang mit Ihrem Namen auf den Begriff Giro d’Arte. Was ist das?

KS Wolfgang Bankl: Fünf- bis sechstägige Radtouren von Freunden im Radfahreroutfit, die in unterschiedlichen Kunstbereichen tätig sind, und bewusst gewisse Orte ansteuern, an denen wir – ganz ungezwungen – Lieder mit instrumentaler Begleitung vortragen oder Poeten ihre Gedichte vorlesen. Manches wird extra für diese Touren geschaffen – wir halten immerhin schon beim Giro-Werkverzeichnis 179. Auf diese Weise konnten wir schon in nahezu allen österreichischen Bundesländern, in Bayern, Ungarn, Tschechien bis nach Prag und in Slowenien wirken.

Sie haben auch Geige studiert, spielen Sie sie gelegentlich auch auf diesen Giro d’Arte Touren?

KS Wolfgang Bankl: Meine Geigenvergangenheit begann vor mittlerweile 50 Jahren … zehn Jahre habe ich das Spiel praktiziert. Heute nehme ich das Instrument alle heiligen Zeiten in die Hand – aber für die Öffentlichkeit ist das nicht gedacht, es ist ein rein privates Hobby.

Gibt es einen Komponisten, den Sie in jeder Stimmung gerne hören, der Sie in misslichen Lebenslagen reinigt und ins Lot bringt?

KS Wolfgang Bankl: Johann Sebastian Bach. Wenn ich seine Musik erlebe oder auch nur in seinen Partituren lesen darf, ist alles wieder gut.

Das Gespräch führte Andreas Láng


Kátja Kabanová | Leos Janáček
1., 4., 7. November 2017
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