Kernrepertoire: Italien!

An der Wiener Staatsoper debütierte der italienische Dirigent Giampaolo Bisanti mit Verdis Macbeth – und mit großem Erfolg. Musikalisch kernig, ausdrucksstark und musikantisch war sein Dirigat – kein Wunder, dass er seit einiger Zeit die internationalen Bühnen erobert. Mit Verdis Maskenball kehrt er an die Wiener Staatsoper zurück. Im Interview erzählt er über Wurzeln, den Wert der Erfahrung und sein Debüt am Haus.

Maestro Bisanti, Sie haben vor und neben Ihrem eigentlichen Dirigierstudium auch Klarinette gelernt und weitere musikalische Fächer studiert. Waren das alles Vorstufen zu Ihrem Dirigentendasein, haben Sie das alles bewusst in Hinblick auf das spätere Dirigieren studiert?
Giampaolo Bisanti: Sie haben Recht, ich habe sehr früh begonnen Klarinette zu lernen und habe am Konservatorium in Mailand Komposition, Klarinette und Klavier studiert. Und natürlich auch Dirigieren. Ich komme aus einer musikalischen Familie, alle meine Geschwister – wir sind elf – musizieren, es war also sehr naheliegend, dass ich auch diesen Weg gehe. Dass ich Dirigent werde, war aber nicht per se ein Kindheitstraum, der Wunsch kam erst mit 13 oder 14 Jahren auf. Ich besuchte in der Scala ein Konzert der Wiener Philharmoniker unter Claudio Abbado – und wusste: das ist es! Also begann ich mit 17 ein Dirigierstudium und das Orchesterleiten wurde zum zentralen Ziel und Inhalt meines Lebens.

Was war für den 14-Jährigen das Faszinierende am Dirigieren?
Giampaolo Bisanti: Ich denke, das Beeindruckende war, dass ein Mensch ein Orchester, das aus so vielen Individuen besteht, leiten kann und sie dazu bringt, gemeinsam zu musizieren. Ich war ja geradezu schockiert, dass das möglich ist – und wie das möglich ist.

Die Tragweite dieses Berufes konnten Sie damals als Teenager aber noch nicht erkennen?
Giampaolo Bisanti: Nein, aus dem jugendlichen Blickwinkel sieht man das natürlich so noch nicht. Ich habe aber bald gelernt, dass Dirigieren eine sehr komplexe und schwierige Disziplin ist, bei der man viele sehr unterschiedliche Aspekte zusammenbringen muss. Unter anderem: Eine entsprechende Beziehung zu Menschen zu entfalten, die Fähigkeit, sie zu führen, sie zu faszinieren, die Fähigkeit, seine Ideen zu formulieren und zu vermitteln und natürlich auch die schöne und klare Gestik beim Dirigieren. Das alles zu lernen braucht viel Zeit – und man benötigt noch mehr Erfahrung. Wenn man ein Instrument studiert, dann kann man daheim, alleine üben, als Dirigent aber ist das Instrument das Orchester, das kann man ja schlecht mit nach Hause nehmen. Natürlich studiert man die Partitur, aber der eigentliche Kontakt mit dem Orchester – für den braucht man ein Orchester. Das bedeutet, dass man als Dirigent viel Erfahrung haben muss, um seinen Beruf wirklich zu beherrschen. Ich hatte das große Glück, dass meine Karriere sich Schritt für Schritt entwickelt hat, beginnend mit kleinen Klangkörpern an kleinen Häusern. So hatte ich die Gelegenheit, vieles in der Praxis zu lernen und vieles ausprobieren zu können.

Nun kann man natürlich viel Technisches lernen, wie zum Beispiel das Schlagen. Aber wie lernt man das Vermitteln der eigenen Ideen, das Überzeugen?
Giampaolo Bisanti: Das ist natürlich die besondere Herausforderung! Ich schließe an das an, was ich gerade ausgeführt habe: Riccardo Muti meinte einmal, dass man sich niemals an das Pult eines wichtigen Orchesters stellen dürfe, wenn man nicht ausreichend Erfahrung gesammelt hat. Die Ideenvermittlung funktioniert nur, wenn man eine perfekte Kenntnis der Partitur hat und wirklich weiß, was man sagen möchte. Und wenn man auch weiß, dass das, was man möchte, sinnvoll ist und in der Praxis funktioniert. Ein gutes Orchester erkennt ja sofort, wenn man nicht hundertprozentig vorbereitet ist. Dazu kommt noch, dass es gar nicht nur darum geht, seine eigenen Ideen durchzubringen, man muss ein Orchester und Sängerinnen anleiten, den jeweils eigenen Ausdruck zu finden.

Ihr Repertoire basiert sehr stark auf der italienischen Oper. War das eine bewusste Entscheidung oder hat es sich so ergeben, in dem Sinne, dass internationale Opernhäuser einen italienischen Dirigenten eher fürs italienische Fach anfragen.
Giampaolo Bisanti: Ich liebe mein Repertoire, die Belcanto-Komponisten, Verdi, Puccini, überhaupt die Komponisten des 19. Jahrhunderts. Wie schon erwähnt komme ich aus einer musikalischen Familie, mein Vater hatte eine sehr schöne Tenor-Stimme (auch wenn er nie professionell sang) und er vermittelte uns die Leidenschaft für die Oper, die italienische Oper. Natürlich ist es aber auch so, dass die meisten Opernhäuser mich für italienische Werke anfragen. Wobei ich meine Dirigate in Richtung französische und deutsche Musik ausweite: in Bari, „meinem“ Opernhaus, habe ich vor einiger Zeit meinen ersten Fliegenden Holländer dirigiert. Eine schöne Erfahrung!

Gibt es zwischen der italienischen, französischen und deutschen Oper Unterschiede im Zugang? In der Schlagtechnik?
Giampaolo Bisanti: Die Technik ist die gleiche. Aber man muss als Dirigent natürlich nicht nur die Noten kennen und schlagen, sondern aus der Tiefe des Werkes kommen. Also gewissermaßen die „Philosophie“ des Werkes kennen, die Umstände der Entstehung, die Gedankenwelt des Komponisten, die Bezugspunkte zu anderen Werken und so weiter. – Und natürlich Struktur und Machart der Musik wie auch das Libretto. Die Gesten, das Schlagen, das Handwerk – das ist immer dasselbe. Aber das Umfeld und der gedankliche Hintergrund ändern sich, und diese zu erlernen und sich zu verinnerlichen – das braucht Zeit. Ich bin über meinen ersten Wagner sehr glücklich und werde nun mein Wissen über seine Kunst kontinuierlich erweitern.

Gibt es schon konkrete weitere Wagner-Pläne?
Giampaolo Bisanti: Noch nicht. Mein Opernhaus in Bari hat zwar die Walküre in der nächsten Spielzeit angesetzt, aber mein Terminkalender lässt das leider nicht zu. Leider! Ich muss auf eine andere Gelegenheit warten.

Als viel umherreisender Dirigent sind Sie mitunter mit der Situation konfrontiert, dass Sie wenige Proben haben. Gesetzt den Fall, Sie haben überhaupt nur eine einzige für eine Oper: was proben Sie? Verschaffen Sie sich einen Überblick oder gehen Sie bei exemplarischen Stellen ins Detail?
Giampaolo Bisanti: Das ist eine sehr interessante Frage, die mir noch keiner gestellt hat. Wann immer ich eine Oper probe, und da ist es egal, ob ich eine oder fünf Proben habe, beginne ich damit, dass ich ohne Unterbrechung einen Akt vom Anfang bis zum Ende durchspiele. So können alle Beteiligten im großen Bogen herausfinden, was meine Intentionen sind. Und danach nehme ich das Werk Stück für Stück auseinander. Das ist meiner Meinung nach besser, als gleich nach fünf Takten abzubrechen, dann diese noch einmal zu spielen, dann wieder fünf Takte und so weiter. Davon halte ich nicht viel. Sänger und Orchester können in diesem Fall die Struktur eines Aktes weder verstehen noch lernen.

Fällt es Ihnen leichter mit Sängern oder mit dem Orchester zu arbeiten?
Giampaolo Bisanti: Meine Art, einer Oper zu begegnen, ist zuerst mit den Sängern zu arbeiten und ihre Wünsche kennen zu lernen. Danach mische ich meine Interpretation dazu und versuche, ihren Bedürfnissen so weit wie möglich entgegen zu kommen. Und diese können sich ja auch ändern! Manchmal braucht ein Sänger mitten in einer Aufführung ein langsameres oder schnelleres Tempo, ein Operndirigent muss das erspüren und sofort folgen. Ein Orchester ist viel pflegeleichter, man kann den Musikern sehr einfach signalisieren, was man an dieser oder jener Stelle machen möchte. Gute Orchester können sich sehr schnell und präzise auf einen Dirigenten einstellen.

Ihr Debüt an der Wiener Staatsoper, Macbeth, eine Repertoirevorstellung.
Giampaolo Bisanti: Das war sehr schön. Ich war sehr emotional, aber innerlich stark und gefasst. Ich wusste: Ich will das machen!

Waren Sie nervös?
Giampaolo Bisanti: Nein, ehrlich gesagt nicht. Bewegt und leidenschaftlich: ja! Nervös: nein. Ich habe vor der Vorstellung auch nicht viel herumgegrübelt und über spezielle Stellen nachgedacht. Ich rauchte eine Zigarette und bin dann in den Orchestergraben gegangen. Und habe einfach losdirigiert!

Das Gespräch führte Oliver Láng


Un ballo in maschera | Giuseppe Verdi
24., 27., 30. Oktober, 3. November 2018

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