Jonas Kaufmann als Cavaradossi
Wiener Staatsoper, 16. April 2016: man gibt Tosca in einer Superbesetzung mit Angela Gheorghiu, Jonas Kaufmann und Bryn Terfel, am Pult steht Jesús López Cobos. Zwei Akte lang lodern die Leidenschaften – und der Geist von Giacomo Puccini scheint präsent. Doch im 3. Akt wird es spektakulär: Jonas Kaufmann beginnt die berühmte Sternenarie in zartestem – leicht melancholisch verschleiertem – Piano, steigert sich mit seiner dunklen Heldentenor-Stimme, die in der strahlenden Höhe an Franco Corelli erinnert, zur Höchstform und verwandelt das Publikum in einen „Hexenkessel“ der Begeisterung. Jubel, Bravi, „Bis“-Rufe und Extase-Pfiffe. Die Arie E lucevan le stelle dauert gute drei Minuten, der Applaus – mit ständig sich steigenden Phonzahlen – dauert nun schon doppelt so lang. Da gibt Jonas Kaufmann nach: er wiederholt die Arie Und es blitzten die Sterne. Nun ist das Publikum so hypnotisiert, dass es nicht nochmals in einen unwiederholbaren Begeisterungstaumel verfallen will. Und prompt kommt es nun zum Eklat: Floria Tosca – alias Angela Gheorghiu – erwartet sich nach der Wiederholung neuerlich einen Jubelorkan und verpasst ihren Auftritt. Erst mit zweiminütiger Verspätung beginnt das Finale ordnungsgemäß. Man kann dieses Exempel grenzenloser Begeisterung – wie heute üblich – auf YouTube nacherleben. Oder man kann gespannt sein, wie die aktuelle Tosca-Serie mit Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann in der Wiener Staatsoper diesmal ausfallen wird. Jedenfalls können sich die Fans des 1969 in München geborenen Tenors auf diese Tosca-Serie freuen. Jonas Kaufmann hat ein turbulentes Jahr – inklusive Sing-Pause – hinter sich. Aber seit seiner Rückkehr auf die Bühne beim Wiener Opernball 2017 mit der Arie des Don José und dem Lehár-Schlager Dein ist mein ganzes Herz steht fest: der attraktive Sänger setzt seine schier unglaubliche Karriere ungemindert fort – er feierte als Lohengrin in Paris und mit der anspruchsvollen Rolle des Andrea Chénier in München rauschende Erfolge. Und im nächsten Monat plant er sein Otello-Debüt in Covent Garden/London.
Wie wird man jedoch ein so begehrter Sänger? Die Anfänge des Startenors waren jedenfalls alles andere als außergewöhnlich. In einer Opernwerkstatt verglich er seine Anfänge mit den vielzitierten Galeeren-Jahren von Giuseppe Verdi. Aufgewachsen ist er zwar mit seiner älteren Schwester in einer gutbürgerlichen Familie in München. Fürs Klavierspielen sind seine Finger aber noch zu klein – so entdeckt er als Ersatzhandlung das Chorsingen. Dennoch beginnt er nach dem Abitur ein Mathematik-Studium und singt so nebenbei im Zusatzchor des Gärtnerplatz-Theaters. Erst mit 20 Jahren entscheidet er sich endgültig für die Oper und beginnt ein Studium der Musik an der Hochschule für Musik und Theater in München. In der Saison 1993/1994 debütiert er in Regensburg als Caramello in der Nacht in Venedig. Im Mai 1994 singt er seinen ersten Tamino in einer konzertanten Zauberflöte im Münchner Prinzregenten-Theater. Dann geht er zwei Jahre nach Saarbrücken. Lortzing, Mozart und Johann Strauß sind seine Komponisten, keine Rede von den großen Werken von Verdi, Puccini und Wagner. In den Folgejahren agiert er als Freelancer und sammelt wertvolle Erfahrungen. Seine wichtigsten Partien sind weiterhin der Belmonte, der Ferrando und schon – als Vorbote des späteren Heldentenors – der Florestan. Wichtig wird 2003 eine Traviata in Chicago. Denn mit dieser Oper beginn am 4. Februar 2006 an der MET die Geschichte des „Startenors Jonas Kaufmann“. Attraktion des Abends war auch damals Angela Gheorghiu, die zu den absoluten MET-Lieblingen gehörte. Jonas Kaufmann, der drei Jahre zuvor James Levine vorgesungen hatte, hoffte auch auf ein positiv gestimmtes Publikum. In der Biographie von Thomas Voigt „Jonas Kaufmann“ (Henschel 2010) wird dieser Abend im Untertitel zusammengefasst: „Meinen die wirklich mich?“ Und im Detail beschreibt Thomas Voigt: „Violetta stirbt in den Armen ihres Geliebten, der Vorhang fällt. Was danach passierte gehört zu den schönsten Momenten im Leben von Jonas Kaufmann. Zuerst hat sich das ganze Team verbeugt, danach kamen die Solovorhänge. Angela Gheorghiu wurde mit Bravos überschüttet. Ich komme raus – und die Leute springen von den Sitzen auf und schreien. Das habe ich einfach nicht fassen können, das hat mich buchstäblich umgehauen!‘“
Tatsache ist – das ist die Geburtsstunde des attackierenden Spinto-Tenors Jonas Kaufmann. Erst jetzt traut er sich Partien wie Parsifal, Lohengrin oder Stolzing zu, in Zürich übernimmt er Don Carlo, an der Wiener Staatsoper beginnt er 2006 noch mit dem Tamino. Sein Ruhm setzt aber mit dem Don José in Carmen (London) ein. Werther (u.a. an der MET) und Des Grieux werden zu neuen Erfolgspartien. Ebenso der Cavaradossi, den er in Wien erstmals 2009 mit Riesen-Jubel verkörpert. Und den endgültigen Durchbruch an die Weltspitze erzielt er 2010 mit einem neuen Lohengrin in Bayreuth. Seither ist das „Jonas Kaufmann“-Fieber kontinuierlich angewachsen. Unzählige CD- und DVD-Einspielungen spiegeln diese Entwicklung. Jonas Kaufmann tritt mit Anna Netrebko und Erwin Schrott in der Berliner Waldbühne auf und mit Elına Garanca in Baden-Baden und ist Star bei den Londoner Proms. Immer neue (und dramatischere) Rollen kommen hinzu: Radames, Alvaro und Turridu. Manrico und Bacchus (Salzburger Festspiele).
Und welchen Stellenwert nimmt Wien in der Karriere von Jonas Kaufmann ein? Seine ersten Erinnerungen sind eher „brüchig“-skurril. Während seiner Studienjahre hatten seine Eltern eine Pechsträhne: sein Vater verletzte sich beim Sport und bekam einen Streck-Gips; dann brach sich die Mutter den Arm und trug ebenfalls einen Gips. Um damit zurande zu kommen verbrachte Jonas Kaufmann mit den behinderten Eltern einige Wochen in einem Sanatorium am Neusiedlersee. Und von dort brach er zu Kultur-Ausflügen nach Wien auf. Zum ersten – noch wenig beachteten Auftritt in Wien kam es dann im Jahr 2003 mit dem Oratorium von Ludwig van Beethoven Christus am Ölberge – mit dem RSO und Bertrand de Billy. Auch im Jahr des sensationellen MET-Debüts 2006 trat er kaum beachtet am 6. Juni 2006 als Tamino in einer Wiener Zauberflöten- Reprise unter Michael Halász auf. Dann ging’s aber Schlag auf Schlag: mit dem zweifachen Des Grieux in Manon im April 2009 und besonders mit dem ersten Wiener Cavaradossi in Tosca am 9. Mai 2009 setzte auch im Haus am Ring das „Jonas Kaufmann“- Fieber ein. Seither sang er Werther (2011), Faust (2012), Parsifal (2013) und schließlich im Oktober 2013 sogar ein Rollendebüt: In La fanciulla del west setzte er im Verdi-Wagnerjahr einen Kontrast-Akzent. Der Dick Johnson wurde – neben Nina Stemme als Minnie – unter Franz Welser-Möst ein Triumph für Jonas Kaufmann und das gesamte Team. Der Kurier titelte „Ein Volltreffer im Wilden Westen“, der Standard konstatierte ein „Happy End im Camp des Triebstaus“ und OE24 wollte gar wissen „Kaufmann und Stemme verzaubern Oper“. Und im Vorjahr wiederholte er seinen eingangs beschriebenen Triumph in Tosca. Nächste Saison wird er auch in Wien den Andrea Chénier übernehmen – eine weitere Corelli-Partie! Man darf gespannt sein, wie diese unglaubliche Karriere weitergeht.
Peter Dusek
Tosca | Giacomo Puccini
5., 8., 11., Mai
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