»Jeder hat sein Leicherl im Keller.«

Die Produktion von <i>Die Fledermaus</i> wurde 2011 unter Otto Schenk neu einstudiert. Wir zeigen seine beliebte Inszenierung am 31. Dezember live aus der Wiener Staatsoper ab 17.00 Uhr in unserem Stream. 

Grundsätzlich: Was macht das Genre der Operette heute so schwer?

Otto Schenk: Vielleicht die Tatsache, das sie oftmals in schrecklichen Zeiten geboren wurde und ein Ausweg in ein helleres, leichteres, schöneres Leben war. Sie war ein Aufatmen, das hat Karl Kraus der Lustigen Witwe ja – zu Unrecht – vorgeworfen. Heute gibt es so viele andere Ausweichmöglichkeiten aus den Schwierigkeiten des Lebens. Abgesehen davon gibt es sehr wenig erste Sänger, die Operette singen können: ein Vilja-Lied ist einfach schwer zu singen.

Wie oft haben Sie die Fledermaus schon inszeniert?

Otto Schenk: Sechsmal. In Wien, Berlin, Düsseldorf, Dortmund, New York und fürs Fernsehen.

Inszenieren Sie Operette für Wien anders?

Otto Schenk: Nein, ich passe mich nicht an die Stadt an, sondern verwende jedes Mal die Persönlichkeiten der Sänger. Dadurch ändert sich viel, aber die Intention ist immer dieselbe.

Kommen wir zur Fledermaus: Von welchen Kräften wird diese Operette getrieben, gibt es eine Grundstimmung, in der sie stehen muss, damit das Spiel ablaufen kann?

Otto Schenk: Die Fledermaus hat zwei Motoren. Der eine ist die Sentimentalität, das Sich-Hingeben einer fast hypochondrisch übertriebenen Stimmung. Eine reine Liebelei – das ist nicht unbedingt Sache der Fledermaus. Der andere Motor ist die Blamage, die in Musik übersetzte Blamage. Diese Blamage wird hervorgerufen durch eine geradezu satanische Unterhaltungssucht aller Beteiligten. Einmal ein „verfluchter Kerl“ sein, wie es schon bei Nestroy heißt. Vom Eisenstein bis zu Adele, vom kleinen russischen Prinzen bis zu Rosalinde, vom ersten Takt der Ouvertüre sind alle darauf aus, sich fanatisch zu unterhalten, und das um jeden Preis. Es muss aber schiefgehen, weil der Mensch zu einem solchen Unterhalten-um-jeden-Preis einfach nicht geschaffen ist. Immer wenn einer das versucht, „passiert“ etwas. Das ist der große Antrieb, der hinter der Fledermaus steckt und zu der Pseudo-Katastrophe führt.

Pseudo-Katastrophe bedeutet, dass es im Grunde dann doch nicht so schlimm kommt?

Otto Schenk: Wenn man sich eine Eintrittskarte für eine Operette kauft, dann begibt man sich in eine Welt – mit einigen wenigen Lehár-Ausnahmen –, in der es die Garantie gibt, dass alles letztendlich gut ausgeht. Was auch geschieht, es darf einen amüsieren, auch wenn es sich in die Nähe einer Tragödie begibt. Denn eine wirkliche Tragödie findet nicht statt. Das Jammern, zum Beispiel, das einmal ja in einem geradezu tschaikowskihaft aufgebauten Terzett ausartet, dieses berühmte „O je“ schwappt bald über in einen geradezu läppischen Tanz und wird zu „O je, O je, wie rührt mich dies“.

Gibt es dennoch Momente, die ein tragisches Moment in sich tragen?

Otto Schenk: Ja. Dort etwa, wo die Laune ins unerhört Wehmütige umschlägt, wo das Du-Wort zum Duidu wird. Da ist die Kraft, fröhlich zu werden, plötzlich verschwunden. Es ist beinahe ein Adieu ans scheidende 19. Jahrhundert. Auch wenn diese Stimmung nicht lange hält, zeigt Strauß, dass er auch über tragische Energien verfügt.

Im zweiten Akt wird zu Johann Strauß’ Unter Donner und Blitz getanzt. Sind Donner und Blitz hier auch im übertragenen Sinne zu verstehen?

Otto Schenk: Diese Einlage habe ich herangezogen, weil ich Eisenstein in eine fast venusbergartige bürgerliche Tanzorgie versetzen wollte, die in einem fa- natischen Tanz ausartet und alle Teilnehmer zuletzt wie Dominosteine umfal- len. Das hat vielleicht ein bisschen symbolischen Charakter ...

Auffällig ist bei der Fledermaus, dass es keine einzige unsympathische Figur gibt. Selbst die Intrige hat heitere Züge.

Otto Schenk: Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine Nur-Anständigen. Jeder hat sein Leicherl im Keller. Rosalinde blickt auf eine Vergangenheit zurück, die ihr fast ein bisschen gefährlich wird. Falke ist ein Intrigant. Frank will mit Adele anbandeln und sie ausbilden lassen, das bedeutet: sie bezahlen. Sie wiederum möchte beim Theater unterkommen und ist dafür bereit, allerhand Erotisches zu leisten. Es ist schon eine leicht fiese Gesellschaft, und das schimmert immer durch.

Ist Frosch ein Teil dieser leicht fiesen Gesellschaft?

Otto Schenk: Frosch ist ein Gebilde der Monarchie. Ich sehe ihn als einen gestrandeten oder steckengebliebenen Militaristen, der aber wahrscheinlich gar nicht so ungern stecken geblieben ist. Es gibt im Feldherrenhügel von Roda Roda einen Korporal, der davor zittert, befördert zu werden, weil er eine Position hat, in der er gut tachinieren kann. Das ist der Charakter von Frosch. Er ist übrigens auch keiner, der richtig besoffen ist, sondern bleibt ein Mann mit Pegel, ein „Verträger“: eine österreichische Eigenschaft! Er lebt davon, dass er dem Direktor auf die Nerven geht; ich habe die Rolle über einhundertmal gespielt und war immer von einem Gefängnisdirektor abhängig, dem ich auf die Nerven gehen konnte. Mit jedem Satz, jeder Geste. Sehr froh bin ich, dass die Rolle bei der Wiederaufnahme mit Peter Simonischek besetzt ist und nicht mit einem reinen „Komödianten“, denn so kann das Verhatscht-Miliärische besser zur Geltung kommen. Frosch spricht ja auch keinen Kanaldialekt, sondern einen angemessenen Dialekt, der dem Direktor gebührt. Was bei allem Lachen nicht vergessen werden darf: Es ist eine der schwersten Rollen, die es überhaupt gibt. Schon darum, weil die Erwartungshaltung seitens des Publikums sehr groß ist.

Die berühmten, traditionellen Frosch-Witze bleiben erhalten?

Otto Schenk: Die sogenannten blöden Witze, die ich alle für heilig erkläre, gehören dazu. Sie sind haarsträubend dumm beim Lesen, erhalten ihre Be- rechtigung aber dadurch, dass Frosch einer ist, der einfach solche Scherze macht. Die Shakespeare’schen Narren leben auch davon, dass sie schlechte Witze machen, amüsant wird es nur, wenn man den Charakter so spielt, dass er eben diese Sorte an Humor hat.

Dann ist Frosch kein rein Wienerisches Phänomen, sondern Welttheaterbewohner?

Otto Schenk: Ja, vielleicht. Aber im Wienerischen angesiedelt.

Wie die gesamte Fledermaus ...

Otto Schenk: Wienerisch ist dieses Sich-Blamieren, dieses Auf-die-Seife-Steigen. Wienerisch sind auch der Tanz, die Musik. Aber die Darsteller müssen nicht Wienerisch Jodeln, es geht einfach darum, dass sich die Darsteller im Wienerischen heimisch fühlen. Es ist ja geradezu das Schöne an Wien und damit am Wienerischen, dass hier so viele zu Hause sind.

Gibt es bei diesem Stück besondere Fallstricke, eine Rache der Fledermaus?

Otto Schenk: Zunächst ist es ein schweres Stück, schwer zu inszenieren. Man muss jeden mit der Tanzwut, mit der Intrigenlust, mit der Sucht nach Unterhaltung anstecken, Solisten wie Chor. So sehr anstecken, dass es überschäumt, aber nicht in eine Outrage kippt: Die Hypochondrie der Blamage muss immer echt sein. Und das Gefährliche bei diesem Werk ist weiters, dass es auch in schlechten Aufführungen wirkt: Das ist die Bedrohung der Fledermaus. Das Gute hat zwar eine Chance, aber es genügt schon – wie zum Beispiel auch bei der Zauberflöte – eine schlechte Aufführung, um das Werkl in Schwung zu bringen. Die Fledermaus verlangt allererste Sänger und Komödianten, es genügt nicht, wenn man nur singen kann und die Koloraturen beherrscht oder nur spielen kann. Die Fledermaus fordert alles! Um das Klassische he- rauszubringen, bedarf es einer großen Mozart-Kenntnis und eines ebenso großen Offenbach-Verständnisses. Denn zwischen diesen beiden liegt Johann Strauß. Daher bin ich so glücklich, dass sich der Generalmusikdirektor der Neueinstudierung angenommen hat. Denn diese Operette soll nur von einem Dirigenten der ersten Liga geleitet werden, alles andere bekommt ihr nicht.

Soll man am Ende Mitleid mit Eisenstein haben?

Otto Schenk: Nein, eigentlich nicht. Er ist einfach einer, der an der Kippe steht, kein junger Hallodri, sondern einer, der den zweiten Frühling genießen möchte. Man darf ihn ruhig ein wenig belachen!

Die Bitte um Verzeihung am Ende – ist es ein ehrliches Einverständnis, ein erster Schritt zur Besserung?

Otto Schenk: Sein finaler Kniefall entspricht ein bisschen dem perdono vom Grafen im Figaro. Eisenstein glaubt im Moment durchaus, was er sagt. Er hat Rosalinde letztlich gern und denkt auch an keine Scheidung. Knapp vorm Arrest wollte er halt noch einmal feiern.

Wie wird die Geschichte weitergehen?

Otto Schenk: Das weiß man bei einem Happy-End nie. Die beiden werden wahrscheinlich goldene Hochzeit feiern, irgendwann. Er wird sie ein paar Mal betrügen – wenn ihm das überhaupt gelingt. Man weiß ja nicht einmal, ob Eisenstein Rosalinde wirklich betrügen oder nur einen Flirt haben wollte, ob er den Mut zur Sünde gehabt hätte.