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© Peter Mayr

Im Schattenreich der Gefühle

Von den drei Mozart/Da Ponte-Opern – Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte – hat Letztgenannte international die niedrigsten Aufführungszahlen. Warum ist das so?

Ich denke, das liegt an der Handlung. Musikalisch ist Così fan tutte das für mich schönste Werk, es ist die Essenz der vorangegangenen Opern, in der alles, was in Don Giovanni und Le nozze di Figaro geleistet wurde, noch einmal destilliert, verdichtet und in reinster Form gebracht wird. Ich würde musikalisch fast von einer Sparsamkeit
sprechen, alles wird auf das Wesentliche reduziert: Keine Note zu viel, die Orchestrierung ist extrem ökonomisch und bietet nur das Nötigste im besten Sinne. Dieses ausgereifte Werk, das uns eine unglaubliche kompositorische Perfektion erleben lässt, leitet in den Mozart’schen Spätstil über. Gleichzeitig weist Così fan tutte – und das sieht man deutlich im zweiten Akt – schon weit in die Romantik und schlägt eine komplett neue Richtung ein. Die Handlung ist aber problematisch und ich wage zu behaupten: So toll der Text von Da Ponte auch ist, was Sprache, Wortwahl und Witz betrifft, seine Stärke war doch eher das Bearbeiten von großen Sujets als das Entwickeln eigener Stücke.

Und wie verstehen Sie das Werk als Ganzes? Ist es eine Komödie?

Es ist ein dramma giocoso, genauso wie Don Giovanni. Also eine Komödie. Und jede gute Komödie hat auch tiefe Ernsthaftigkeit und Dunkelheit, Schatten. Così fan tutte ist auch eine schwarze Komödie, genauso wie letztendlich Don Giovanni und Le nozze di Figaro es sind. Nur, dass in diesem Fall einem irgendwann das Lachen im Halse stecken bleibt.

»In der Romantik gab es ein utopisches Liebesideal, das gerade auch Wagner heraufbeschworen hat,
eine Idealisierung der Liebe. Und zu einem solchen Bild passt die Handlung von Così fan tutte natürlich nicht.«

Inwiefern kann man aus dieser dunklen Komödie eine Schlussaussage mitnehmen? Formuliert Mozart ein Fazit, das sich – in welcher Form auch immer – durch die Musik vermittelt?

Così fan tutte beginnt mit einem perfekt gebauten ersten Akt, wir erleben eine klassische Form in vollkommener Reinheit. Es gibt eine Ausgeglichenheit in allen Ensembles, in der Dramaturgie – einfach makellos! Doch dann folgt eine extreme Irritation: der zweite Akt, der musikalisch wie dramaturgisch bewusst auseinanderfällt. Das Ganze bekommt eine – auch emotionale – Eigendynamik, die das Stück komplett aus dem Ruder laufen lässt. Wir merken das nicht nur im Libretto, sondern besonders auch in der
Musik. Was also kann man mitnehmen? Ein Finale, das einen ganz absichtlich unbefriedigt lässt. Es ist eben nicht wie in Le nozze di Figaro, wo eine Bitte um Vergebung –
das berühmte »perdono« des Grafen – am Schluss steht und man vielleicht sagen kann: Fangen wir noch einmal neu an! In Così haben wir letztlich ein offenes Ende… Kommen die Paare wirklich wieder zusammen? Wahrscheinlich nicht. Beziehungsweise: welche Paare? Das Ende ist nicht direkt tragisch, aber eben auch nicht heiter. Sondern unbestimmt, wie es halt im richtigen Leben so oft ist. Für die damalige Zeit war das revolutionär! Denn man kommt – trotz C-Dur-Schluss, der suggeriert, dass alles wieder gut ist – mit einem bitteren Nachgeschmack aus dem Stück heraus: Es ist eben nicht alles wieder gut!

Weil Sie das richtige Leben angesprochen haben: Im Weiten Land von Arthur Schnitzler stellt der Hotelier Aigner fest, dass in der Brust des Menschen Widersprüchliches gleichzeitig Platz findet, Treue und Treulosigkeit und vieles mehr. In Wahrheit sei alles nur Chaos, der Mensch versuche das künstlich mittels konstruierter Ordnung zu bändigen. Finden wir in Così fan tutte dieses Chaos auch in der Musik?

Chaos... Es sind einfach unglaublich viele Emotion im Spiel und dadurch wird die Musik so vielfältig. In Così fan tutte gibt es keinen einheitlichen Stil mehr, sondern jede Nummer ist für sich besonders und anders. Und man spürt, dass nichts wahr ist, sondern eine Inszenierung das Ganze beherrscht. In der fingierten Hochzeitsszene am Ende der Oper etwa, auch im Kanon in dieser Szene, hört man Musik, die unecht wirkt. Das Verlogene und Falsche hinter dem Spiel wird deutlich spürbar. Und das Finale
danach fällt schließlich komplett auseinander! Ich habe einmal gezählt, wie viele Fermaten in diesem Finale vorkommen: über 30! Und je länger es dauert, desto mehr nehmen die Pausen überhand. Man hört ein Stück Musik und dann ist wieder Stille. Noch mal ein Versuch. Stille. Einer sagt etwas, und: Stille. Antwort: wieder Stille. Es sind nur noch Fragezeichen, Rufzeichen, Beistriche, Anführungszeichen – die Musik dazwischen versucht erfolglos einen Ausgang zu finden. Im letzten Ensemble »Fortunato
lʼuom che prende« heißt es: Glücklich ist der Mensch, der die Sache von der guten Seite nimmt. Das ist aber keine tatsächliche finale Aussage, denn es gibt dazwischen zahlreiche sotto-voce-Momente, das heißt: jede und jeder singt für sich. Gemeint ist also: Schön wäre es, wenn ich so sein könnte wie der, der das alles von der guten Seite zu nehmen weiß. Aber, ich bin es leider nicht. Und wenn es musikalisch laut wird, dann ist das ein Ausdruck von Wut, Frustration, ein Ausbruch. Ich kenne kaum ein Stück von Mozart, bei dem die Stille und die Pausen so wichtig sind wie in diesem Così-Finale.

Einer der berühmten Così-Verächter war Richard Wagner. Don Giovanni empfand er als großartig, Così lehnte er jedoch ab. Was hat Don Giovanni, das Così fan tutte nicht hat?

In der Romantik gab es ein utopisches Liebesideal, das gerade auch Wagner heraufbeschworen hat, eine Idealisierung der Liebe. Und zu einem solchen Bild passt die Handlung von Così fan tutte natürlich nicht. Da war man übrigens zur Entstehungszeit der Oper, im 18. Jahrhundert, schon weiter, denken wir etwa an Marivaux und sein experimentierendes Spiel mit Gefühlen. Davon abgesehen ist Don Giovanni vom Handlungsverlauf her dramatischer – auch das passte besser zum 19. Jahrhundert. So gesehen ist es auch kein Wunder, dass im 20. Jahrhundert Così fan tutte wieder mehr gespielt wurde.

In welchem Maße zeigt Mozart in der Musik den Charakter der Figuren? Kann ich zum Beispiel den Charakter von Fiordiligi hören?

Ja, sie hat eine Musik, die ihren »hohen« Stand widerspiegelt – der ja zu der Zeit schon deutlich gewackelt hat, es ist also auch eine Persiflage. Bei Dorabella liegt der Fall ähnlich, doch ist ihre Musik etwas verspielter. Musikalisch ist Despina ganz klar als Zofe definiert, ihre Schwestern sind Zerlina in Don Giovanni und Susanna in Le nozze di Figaro. Alfonso wird bewusst sehr trocken gezeigt, er ist der Analytiker, der keine Emotion zulässt, pragmatisch, sachlich, analytisch ist. Ferrando und Guglielmo entsprechen
den Damen, wobei Guglielmo etwas verspielter wirkt, Ferrando hingegen lyrischer und poetischer. Eigentlich sind die beiden Paare in der Anfangskonstellation Ferrando-Dorabella bzw. Guglielmo-Fiordiligi ja falsch verbunden. Denn musikalisch passen Fiordiligi und Ferrando besser zusammen, sie sind das lyrische Paar, Dorabella und Guglielmo das verspieltere und emotionalere. Aber das ist den Vieren am Beginn der Oper so noch nicht bewusst.

Und ist aus der Musik herauszuhören, was die jeweiligen Personen im Augenblick tatsächlich empfinden, also welche Gefühle echt sind – und welche nur vorgetäuscht?

Mitunter wissen die Figuren ja selbst nicht mehr, was echt ist und was nicht, wem und was noch zu trauen ist, wo gelogen oder vorgetäuscht wird. Und manchmal vertrauen Sie auch sich selbst, ohne zu wissen, dass ihre Gefühle nicht mehr so eindeutig sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In der sogenannten »Felsenarie« von Fiordiligi, da singt sie von einer festen Treue. Aber warum hat sie es überhaupt nötig, eine ganze Arie lang ihre Treue zu beschwören? Wenn sie sich doch so sicher fühlt? Oder in ihrer Arie »Per pietà«, da sind ihre Emotionen tief und wahr, trotzdem kann man jede Phrase mindestens einmal umdeuten und einen Subtext finden, der uns etwas Zusätzliches erzählt. Da sind Mozart und Da Ponte unglaublich vielschichtig. Ein gutes Beispiel ist auch Ferrandos »Volgi a me«, das sich an Fiordiligi wendet – eine der schönsten Stellen der Oper. Einerseits versucht Ferrando, die berührendste Musik zu singen, um sie endlich für sich zu gewinnen, er benutzt all seine Sinne und sein Können, weil er sich denkt: Jetzt muss ich es schaffen! Aber gleichzeitig weiß er: er hat sich in sie verliebt. Das merkt man an einem kleinen, aber wichtigen Detail: Im ursprünglichen Libretto von Da Ponte sagt Ferrando kurz vor seinem »Volgi a me«: »Ich spüre, dass ihre Treue nicht länger widerstehen kann«, Mozart änderte den Text im Autograf auf: »Ich spüre, dass meine Treue nicht länger widerstehen kann.« Diese Stelle enthält also zweierlei: Es ist immer noch eine Wette, die Ferrando gewinnen will – und gleichzeitig hat er auch schon Gefühle für Fiordiligi. Ein besonderer Aspekt scheint mir noch, dass Mozart Männern und Frauen in dieser Oper jeweils eigene musikalische Sprachen gibt. Schon die Ouvertüre ist für mich ein Beispiel: Die beiden eröffnenden Akkorde kennzeichnen für mich die Welt der Männer, die nachfolgenden Holzbläser jene der Frauen. Auch bei Alfonso und Despina, die sich ja eigentlich sehr gut verstehen, spürt man das. Es geht in Così fan tutte also nicht nur um eine Wette oder um zwei Paare, sondern immer auch um die Frage: Wie gehen alle miteinander um? Es geht auch um einen Kampf der Geschlechter.

Wir sprechen immer wieder vom Psychologen Mozart. Ist das, was wir erleben, musikalische Psychologie? Oder zeigt er einfach Figurentypen, die zu seiner Zeit klar definiert waren und gewisse standardisierte Merkmale hatten?

Mozart setzt immer Psychologie ein! Spätestens seit Die Einführung aus dem Serail wissen wir, dass er kein Interesse an Schablonentypen hatte, sondern stets in die Tiefe wollte und nach Vielschichtigkeit gesucht hat. Daher hat er nach Möglichkeit am Libretto mitgewirkt, um den Personen eine größere Komplexität zu verpassen.

Zu Mozarts Zeit gab es die Unterteilung der Damenstimmen in Sopran und Mezzosopran, wie wir sie anwenden, in dieser Form nicht. Was bedeutet das für heutige Besetzungsfragen?

Alle Frauen waren zu Mozarts Zeit Soprane. Und trotzdem hat man in der Praxis natürlich darauf geachtet, wer die bessere Tiefe und wer die bessere Höhe hat. Davon abgesehen hat Mozart seine Rollen für spezielle Sängerinnen und Sänger und ihre Fähigkeiten geschrieben. Die damalige Fiordiligi muss tolle Höhen und Tiefen gehabt haben, daher gibt es in ihrer Partie auch diese Sprünge. – Da geht es nicht nur um den Charakter der Figur, sondern eben auch um die Qualität einer besonderen Uraufführungsinterpretin. Davon abgesehen verlangt die Tessitura der Rollen eine etwas dunklere Dorabella und eine etwas hellere Fiordiligi. Im Falle von Despina ist es wie
mit Zerlina: Man kann einen echten Mezzo besetzen, aber auch einen durchaus hellen Sopran, eine Soubrette. Mich interessiert die Mezzosopran-Besetzung mehr, weil die Figur dadurch geerdeter und erfahrener wirkt.

Worin liegen für einen Dirigenen die besonderen Herausforderungen bei Così fan tutte?

Die große Perfektion, die Così fan tutte bietet, verlangt auf der Interpretenseite eine ebensolche Annäherung. Es braucht in der Phrasierung, Textbehandlung, Intonation etc. höchste Qualität, denn diese Musik ist unglaublich »offen«, man kann nichts verstecken, jede Ungenauigkeit ist sofort hörbar. Aber in dieser Perfektion darf man nicht erstarren, es muss ein lebendiges Theater entstehen – und das erfordert einen Spagat, der nicht einfach zu schaffen ist. Und es muss ein Bogen gelingen, der auch den zweiten Akt einschließt – und dieser Akt, wie erwähnt, fällt kompositorisch bewusst auseinander. Diese Dinge unter einen Hut zu bekommen – das ist nicht einfach! Man darf vor allem bei aller Detailverliebtheit das große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Der Regisseur der Neuproduktion, Barrie Kosky, meinte, dass die beiden Paare sehr jung sein sollen. Wollen Sie das auch musikalisch spürbar machen?

Unbedingt, es sind ja junge Leute. Dieser Umgang mit den Gefühlen, die Heftigkeit der Emotionen, das plötzliche Entflammen, auch die Naivität und die Melodramatik, die zu spüren sind: Da fühlt man, dass diese Menschen wenig Erfahrung haben, es sich vielleicht sogar um die erste Liebe handelt.