Im Kosmos eines Werkes
War die Bayerische Kammersängerin Anja Kampe im Herbst in Neapel als Fidelio- Leonore und in München als Lady Macbeth von Mzensk zu erleben, so ist ihr nächstes halbes Jahr Richard Wagner gewidmet: Nach einer Isolde in einer Neuproduktion an der Berliner Staatsoper folgen nun Kundrys in Wien und Paris, Isolde in Budapest und Buenos Aires, Sieglinde in München und Senta in Dallas. Im Herbst kommt dann mit ihrer ersten Minnie in Leipzig wieder das italienische Fach zum Zug. Das folgende Gespräch entstand anlässlich ihrer ersten Wiener Parsifal-Produktion.
Zu Beginn eine bewusst zugespitzte Frage: Empfindet man nach einem Isolde-Achttausender die Kundry womöglich „nur“ mehr als einen Sechstausender?
Anja Kampe: (lacht) Nun ja, auch die Kundry weist genügend Herausforderungen auf, vokal ebenso wie als vielschichtiger, bunt-schillernder Charakter: Mal ist die Mittellage gefragt, dann wieder exponierte, hohe Tönen, hier ist die Rolle lyrisch, in den Ausbrüchen wieder dramatisch. Die Isolde erfordert aus rein physischen Gründen hinsichtlich des Trainings, der Vorbereitung wohl einen längeren Anlauf, aber ein Sprint ist die Kundry mitnichten, selbst wenn die Partie etwas kürzer ist.
Das Lampenfieber ist somit identisch?
Anja Kampe: Ich bin grundsätzlich kein sehr nervöser Mensch. Wenn ich weiß, dass die Proben und vor allem die Endproben gut gegangen sind und ich die Partie schon anderswo oft gesungen habe, fühle ich mich sicher. Bei einer ganz neuen Rolle sieht die Sache naturgemäß etwas anders aus…
Manchmal ist bei einer Rolle das erste Mal nicht das beste Mal …
Anja Kampe: Manchmal?? Davon können Sie ausgehen! (lacht) Als Führerscheinneuling kann es durchaus passieren, dass sie im Rückwärtsgang schön in die hinter Ihnen stehende Mauer hineinfahren. Aber mit der Praxis kommt die Sicherheit beim Autofahren und so in etwa ist es auch mit einer Partie. Aus diesem Grund übernehme ich ein Rollendebüt nur im Zusammenhang mit einer Neuproduktion und der mit einer solchen einhergehenden ausreichenden Probenzeit.
Man kennt die Situation: Ein Orchestermusiker hat in einem Werk nur ein bis zwei technisch vollkommen ungefährliche Töne zu spielen, wird aber beim Konzert trotzdem aufgeregt, weil er fürchtet, diesen einzigen Einsatz in Sand zu setzen. Wie steht es diesbezüglich mit dem „Dienen, Dienen“ der Kundry im dritten Aufzug?
Anja Kampe: Da hat die Sängerin die Partie ja schon hinter sich und ist nicht mehr so angespannt, das bekommt sie schon noch hin. Aber Sie werden lachen: Die Stelle ist insofern etwas heikel, als sie gewissermaßen zwei Mal hintereinander erklingt – und wenn man nicht aufpasst, singt man dieses „Dienen, Dienen“ beim ersten Mal, wo es nicht hingehört. Bei einer Probe war ich tatsächlich einmal nahe dran …
Es ist bekannt, dass sich so mancher Interpret durch das Hinterfragen technischer oder künstlerischer Automatismen in veritable Krisen gestürzt hat – Yehudi Menuhin beispielsweise. Wie schützt man sich vor den falschen Fragen?
Anja Kampe: Wenn ich merke, dass es etwas nicht gut sitzt, in eine ungewollte Richtung geht, hilft es meist, mich selbst bei den Proben und Aufführungen aufzunehmen und mir dann zu Hause schonungslos und analytisch zuzuhören. Das kann hart sein, aber sehr heilsam. Die große, fette Krise hatte ich bislang, vielleicht gerade darum, glücklicherweise nicht. (lacht)
Ein Komponist erzählte mir, dass er beim Aufwachen am Morgen oft die Antworten auf jene Fragen im Zusammenhang mit seinem Werk erhält, die vor dem Schlafengehen nicht zu lösen waren …
Anja Kampe: Dieses Phänomen ist uns Interpreten ebenfalls nicht unbekannt. Das Gehirn benötigt einfach Zeit, um gewisse Dinge allein verarbeiten zu können und gerade in den intensiven Probenphasen ist es oft besser manche kniffelige, widerständige Stelle nicht wieder und wieder anzugehen, sondern einfach einmal sein zu lassen. Meist renken sich solche Passagen über Nacht von selbst ein. Wichtig ist nur, dass man sich währenddessen nicht mit anderen Informationen zustopft.
Andere Informationen heißt andere Rollen?
Anja Kampe: Richtig. Lerne ich eine neue Rolle, lebe ich so intensiv in dem Kosmos dieses Werkes, dass es künstlerisch nicht nur unseriös wäre, sondern für mich schlichtweg nicht zu machen ist, zugleich in einen anderen einzutauchen. Ich lerne also nicht nur niemals zwei Rollen zugleich, sondern nehme mir für das Studium einer neuen Partie gerne eine möglichst auftrittsfreie Zeit, um mich gänzlich auf die neue Aufgabe konzentrieren zu können.
Wie ist das beim Einspringen? Da muss man ja unerwartet in einen Kosmos eintauchen?
Anja Kampe: Das Einspringen ist eine Sondersituation, in der der Körper ganz anders, wie von selbst „funktioniert“. Meist handelt es sich dabei um Rollen, die man so oft gesungen hat, dass man sie sogar im Schlaf abliefern könnte. Aber ebendeshalb bin ich keine große Freundin des Einspringens, weil ich eine Partie nicht nur abliefern, sondern gestalten möchte – immer wieder neu und anders.
Auf welche Weise tasten Sie sich in einen Werk-Kosmos hinein, welche außermusikalischen Inspirationen helfen Ihnen dabei?
Anja Kampe: Meine Vorbereitungen auf eine neue Partie sind immer verbunden mit der Lektüre einer großen Menge Fachliteratur … gerade im Zusammenhang mit Wagner gibt es diesbezüglich sehr vieles, Kluges – und weniger Kluges (lacht). Aber auch in der Poesie, in der Belletristik finden sich Gedanken oder bestimmte Eigenschaften von Charakteren, die man in die eigenen Interpretationen einfließen lässt. Selbstverständlich kann der Besuch von Ausstellungen genauso anregend sein – jedes Bild, jedes Kunstwerk löst in irgendeiner Form Emotionen aus und wir transportieren auf der Bühne schließlich Emotionen und stellen in einem gewissen Sinne auch Bilder her. Je aufgeschlossener man sich also in der Welt umsieht, desto mehr lässt sich für eine Rollengestaltung gesamtkunstwerklich verarbeiten.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie an einer bestimmten Stelle ein für sie sehr ansprechendes Interpretationsdetail herausarbeiten. Wird das irgendwo festgehalten, damit es nicht verloren geht?
Anja Kampe: Solche Details gibt es in der Tat – da ein Rubato, dort ein besonderer Akzent, ein Innehalten, eine sprachliche Finesse. Aber solche Feinheiten muss ich nicht notieren, da es sich um etwas Eigenes und daher Spontanes handelt. Mit Hinweisen von Dirigenten und Regisseuren, grundsätzlichen Studienanmerkungen, wie Atemzeichen, Dynamikzeichen oder Ähnlichem sind meine Klavierauszüge hingegen sehr wohl „geschmückt“. Gerade deshalb nehme ich für jede Neuproduktion desselben Stückes oft einen eigenen Klavierauszug, wenn möglich sogar von unterschiedlichen Herausgebern, um mich durch das andere, ungewohnte Notenbild vor Automatismen zu bewahren, um offen zu sein für einen neuen Zugang.
Sie begeistern nicht nur durch Ihre stimmlichen und schauspielerischen Leistungen, sondern auch durch Ihre charismatische Intensität …
Anja Kampe: … zu all den künstlerisch-intellektuellen Auseinandersetzungen mit einer Rolle kommt natürlich das eigene Temperament hinzu. Ich bin erstens ein sehr impulsiver Mensch und zweitens ein echtes Bühnentier, das den Kontakt mit dem Publikum liebt.
Andreas Láng
Parsifal | Richard Wagner
29. März, 1., 5. April 2018
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