Ich mag Herausforderungen

Der weltweit gefeierte britische Bariton Christopher Maltman debütierte 2011 in Janáceks Totenhaus an der Wiener Staatsoper. Im Oktober singt er hier nun drei unterschiedliche Partien: den Figaro im Barbier von Sevilla, Prospero in The Tempest und die Titelpartie in Eugen Onegin. Knapp vor seiner Wiederkehr an das Haus am Ring gab er Andreas Láng das folgende Interview.

Sehr geehrter Herr Maltman, Sie waren der Sebastian der Uraufführung von Thomas Adès’ "Tempest" im Jahr 2004. Könnten Sie ein bisschen die Atmosphäre der Vorbereitungen zu dieser Weltpremiere beschreiben?

Christopher Maltman: Es war insofern sehr aufregend, als die Sänger, was bei Uraufführungsproduktionen ja oft vorkommt, die einzelnen Akte gleich nach Abschluss der Kompositionsarbeit erhielten – die Tinte war quasi noch nicht einmal trocken. Den dritten Akt bekamen wir allerdings erst am Beginn der Probenzeit zu Gesicht. Das heißt mit anderen Worten, dass wir unsere Partien zum Teil nur während dieser Probenzeit lernen konnten und nicht schon im Voraus. Andererseits hatte jeder von uns ein bisschen das Gefühl, Mitschöpfer der jeweiligen Rolle zu sein – schließlich nahm Thomas Adès, der die Uraufführung auch dirigierte, unsere Anregungen gerne auf.

Jetzt singen Sie an der Wiener Staatsoper die männliche Hauptpartie. Ist das Ihr erster Prospero überhaupt?

Christopher Maltman: Teile der Partie habe ich schon in diversen Konzerten unter Thomas Adès gesungen, aber vollständig noch nie. So gesehen ist die erste Aufführung an der Wiener Staatsoper so etwas wie eine Premiere für mich … eine ziemlich herausfordernde Premiere. Wenigstens kann ich mich noch sehr gut an die Proben zur Uraufführung erinnern und manches, was den Prospero betraf habe ich automatisch mitgelernt, da Sebastian und Prospero häufig gemeinsam auf der Bühne stehen.

Wo liegt der Unterschied zwischen den vokalen Erfordernissen zwischen Sebastian und Prospero?

Christopher Maltman: Die Partie des Sebastian ist nicht nur sehr viel kürzer, sondern auch angenehmer, was die Tessitura betrifft. Der Prospero hat einmal sehr hoch, dann wieder sehr tief zu singen und ist darüber hinaus insgesamt dramatisch deutlich intensiver. Kurzum: Sebastian ist eine nette Rolle, Prospero praktisch das halbe Stück. Normalerweise benötige ich ja nur sechs Wochen, um eine neue Partie einzustudieren, für den Prospero habe ich drei Monate gebraucht, obwohl ich, wie gesagt, Einiges schon im Ohr hatte und die Musik von Thomas Adès, verglichen mit anderen zeitgenössischen Komponisten, sehr organisch und melodisch, fast harmonisch wirkt – die Partitur besitzt eine innere logische musikalische Struktur, in der man rasch zuhause ist.

Sie singen in diesen Wochen drei komplett unterschiedliche Rollen an der Wiener Staatsoper: Barbiere- Figaro, Eugen Onegin und Prospero. Welche dieser Rollen ist am Herausforderndsten?

Christopher Maltman: Stimmlich, ganz ohne Zweifel, Prospero. Vom Dramatischen her, also als Figur, ist es der komplexe Charakter des Eugen Onegin. Prospero ist als Person klar definiert, ebenso jene des Figaro. Onegin hingegen wirkt viel mysteriöser und ermöglicht viele Interpretationsmöglichkeiten. Sicher ist, dass er Gefühle besitzt, die aber erst spät zum Vorschein kommen. Der Interpret muss also auch am Beginn, trotz aller Kälte und Arroganz von Onegin, die emotionale Tür offen lassen und ihm genügend Menschlichkeit verleihen, da sonst der Schluss allzu aufgesetzt wirkt.

Onegin liebt also Tatiana am Ende wirklich und will sie nicht nur deshalb, weil sie unerreichbar scheint?

Christopher Maltman: Auch dieser Aspekt ist sehr komplex. Natürlich geht es ihm als Egoisten um sein Glück und nicht um das ihre. Aber immerhin beginnt er zu realisieren, dass er Dinge falsch gemacht hat, er beginnt zu bereuen, er beginnt aus seiner Egozentrik auszubrechen. Sein Charakter ist am Ende der Oper noch nicht fertig, ist im Wandel begriffen. Und ja, er liebt Tatiana, wenn auch auf nicht sehr reife, erwachsene Weise.

Wie geht es Ihnen als Brite mit der russischen Sprache?

Christopher Maltman: Ich stehe bei den Onegin- Vorstellungen der Wiener Staatsoper mit zwei wirklichen Russen auf der Bühne – mit Anna Netrebko und Dmitry Korchak – also muss mein Russisch perfekt sein! Es ist nebenbei bemerkt interessant, wie sehr eine Sprache die Singstimme einfärbt. Ob Russisch, Französisch, Italienisch oder Englisch, es ist immer ein wenig anders, eine andere Klangnuance. Mir gefällt das – und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich mag Herausforderungen (lacht)!

Bei den von Ihnen aufgezählten Sprachen fehlt noch das Tschechische – immerhin haben Sie vor knapp vier Jahren als Schischkow in Janáceks Totenhaus an der Wiener Staatsoper debütiert.

Christopher Maltman: Das stimmt. Ich dachte mir, dass es eine gute Möglichkeit wäre, mich dem Staatsopernpublikum in einer Neuproduktion, einer Premiere vorzustellen. Außerdem hatte ich die Möglichkeit in der langen Probenphase das Haus, die Akustik, die Mitarbeiter besser kennen zu lernen – dadurch habe ich mich auf der Bühne gleich heimischer gefühlt.

Sie weisen ein großes Repertoire auf: entstand es auf Ihr persönliches Betreiben?

Christopher Maltman: Ein bisschen was davon kam auf eigenen Wunsch zustande, ein bisschen was hat sich ergeben – ich liebe es, möglichst viel Unterschiedliches zu singen. Momentan wird das italienische Fach immer wichtiger für mich und ich glaube, dass meine Zukunft im Verdi-Fach liegt. Ich merke auch, wie gesund und ausgeruht sich meine Stimme nach Verdi-Aufführungen anfühlt und klingt. Vor kurzem gab ich meinen ersten Simon Boccanegra, und dieses Rollendebüt ist sehr zufriedenstellend verlaufen. Also ich hoffe, dass man mich in den nächsten zehn Jahren ebenso automatisch mit Verdi in Verbindung bringt, wie bisher mit Mozart.

Sie haben kürzlich ihren ersten Rheingold-Wotan gemacht. Wird es weiter in Richtung Wagner gehen?

Christopher Maltman: Ich werde im Jänner-Februar in Madrid das Liebesverbot singen und ich habe es geliebt den Rheingold-Wotan zu singen, aber den Walküren-Wotan werde ich wohl nie machen – oder vielleicht doch, wer weiß? Das Schöne am Rheingold-Wotan war unter anderem diese Möglichkeit mit dem Text gestalterisch umgehen zu können, da er wirklich große Sensibilität vom Sänger verlangt. Ich finde, dass diese Partie diesbezüglich von allen Rollen, die ich bisher gesungen habe, einem Liedprogramm am Nächsten kommt.

Und wie sieht es in puncto Text bei Verdi aus?

Christopher Maltman: Ein Bekannter hat mir einmal etwas sehr Wichtiges gesagt, dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist: „Wenn du Lieder singst, dann färbst du jedes Wort, jedes Wort trägt auch die Phrase in sich, bei Verdi ist es umgekehrt, da behandelst du jede Phrase wie ein Wort und färbst Phrase für Phrase – die einzelnen Worte sind nicht so wichtig.“

Ist es notwendig Shakespeare zu lesen, bevor man Tempest singt, oder Puschkin, bevor man Onegin singt?

Christopher Maltman: Natürlich kann man jede Rolle spielen, wenn man nur den Worten und der Musik in der Partitur folgt. Aber je mehr Verankerungen, je mehr Sichtweisen man hat, desto größer sind die dramatischen Möglichkeiten als Darsteller. Ein Beispiel: Der Prospero in Shakespeares Stück ist ein viel milderer Charakter als im Libretto von Meredith Oakes, Prospero ist in der Oper viel zorniger, getriebener. Wenn man den Shakespeare-Prospero beim Singen des Adès- Prospero mitdenkt, wird die Figur mehrdimensionaler, als wenn man nur die Oper kennen würde. Ihre Frage also zusammenfassend beantwortet: Notwendig – nein, Empfehlenswert – ja.

Andreas Láng