© Victor Santiago

Ich bin mein unbarmherzigster Kritiker

Er zählt weltweit seit Jahren zu den besten und gefragtesten Tenören seines Faches. An die Wiener Staatsoper kehrt Fabio Sartori seit seinem Debüt 1999 regelmäßig wieder und war hier zuletzt als Radames (2016) und im vergangenen März als Canio zu hören. In der aktuellen Spielzeit wird er gleich zu Beginn die Titelpartie in Don Carlo, im Oktober Gabriele Adorno und im Februar/März Pinkerton singen. Ein Gespräch mit Andreas Láng.

Herr Sartori, Richard Strauss lässt den Komponisten in Ariadne auf Naxos fragen, was Musik wäre? Wie lautet Ihre Definition?
Fabio Sartori: Musik ist mein Leben! Es macht mir einfach Freude, mit meiner Stimme das zu interpretieren, was die großen Komponisten geschrieben haben. Es ist ein Gefühl, eine Emotion, die direkt aus meinem Herzen kommt.

Warum haben Sie sich seinerzeit für die Sängerkarriere entschieden – zum eigenen Vergnügen, um das Publikum zu unterhalten, um die Welt ein kleines Stück besser zu machen?
Fabio Sartori: Weil ich bemerkt habe, dass ich vokal offenbar einiges drauf habe – und daran habe ich dann gearbeitet. Es ist ja wirklich toll, was man mit dem Gesang alles machen kann: wir transportieren Emotionen an das Publikum, der Klang ist sublimiertes Gefühl ... wunderbar!

Sind Sie nervöser, wenn Sie auf der Bühne stehen, oder wenn Sie einen Auftritt Ihrer Geige spielenden Tochter miterleben?
Fabio Sartori: Das sind zwei unterschiedliche Welten. Stehe ich selbst auf der Bühne, habe ich die Sache in der Hand, aber wenn ich im Publikum sitze und meine Tochter ein Konzert gibt, zittern meine Hände vor Aufregung ... sie ist ja mein Baby und ich werde von allen Ängsten geplagt, die einen Vater nur heimsuchen können, möchte ihr jede Enttäuschung ersparen, schließlich hat sie so viel gearbeitet – ich kann es kaum erwarten, sie lächeln zu sehen.

Ich habe gelesen, dass Sie das Studieren als Ihr Hobby bezeichnen ...
Fabio Sartori: Ich liebe es tatsächlich, mich in meine Klavierauszüge zu vergraben, jedes Detail meiner Rollen aufzuspüren, um den Geist dessen zu erfassen, was der Komponist von uns Sängern erwartet hat.

Ihre Frau ist selbst Sängerin, darf sie Sie nach einer Vorstellung kritisieren?
Fabio Sartori: Ich achte auf jeden kritischen Hinweis, aber mein unbarmherzigster Kritiker ... bin ich selbst! Ich mache von mir beim Studium Aufnahmen und versuche, jeden Fehler, den ich auf diese Weise entdecke, auszumerzen.

Sie kommen aus einer musikalischen Familie – gab es da auch schon Profimusiker?
Fabio Sartori: Nun, mein Vater sang im Kirchenchor und ist ein Fan der klassischen Musik beziehungsweise der Oper. Seine Gesundheit erlaubt es ihm leider nicht, mir überallhin auf der Welt zu folgen, aber er ist sehr daran interessiert, wenigstens meine Einspielungen und Mitschnitte zu hören.

Sie haben bei unterschiedlichen Lehrern gelernt, was haben Sie jeweils mitgenommen und wie schafft man es, seine eigene Persönlichkeit zu bewahren, wenn man von Kapazundern wie Corelli unterrichtet wird?
Fabio Sartori: Ja, ich hatte viele Lehrer und empfinde diesen Umstand als großes Glück, sah mich aber letztlich in meiner Überzeugung bestätigt, dass jeder von uns selbst den „richtigen Weg“, die eigene Technik finden muss. Weil Sie Corelli erwähnten – er war für mich ein exemplarischer Lehrer. Ich erinnere mich daran, dass er seine Frau rief, mich anzuhören, wenn es mir gelang, seine Hinweise zu befolgen; ich habe viel mit ihm gearbeitet, besonders an den Spitzentönen.

Sie haben nahezu alles von Verdi gesungen – gibt es da überhaupt noch etwas, das Ihnen abgeht – etwa der Otello?
Fabio Sartori: Ja, ich liebe Verdi! Die Textur seiner Musik, seine Legati passen ideal zu meiner Stimme. Vieles konnte ich von ihm schon machen, manches muss noch ein wenig warten, wie zum Beispiel Vespri siciliani. Das Rollendebüt, das ich nächstes Jahr in Florenz geben werde, ist der Otello: Es scheint für mich wie ein Traum zu sein, denn natürlich stellt er ein gewaltiges Ziel und einen wichtigen Test für jeden Tenor dar!

Würden Sie sich selbst als Verdi-Spezialisten bezeichnen?
Fabio Sartori: Verdi ist ein Elixier für meine Stimme, seine Rollen helfen mir, meine Stimme auszurichten, bei ihm benütze ich meine Technik auf ganz natürliche Weise ohne jede Anstrengung. Was sie verbindet? Verdi beseelt all seine Tenorrollen, bei ihm findet man stets vielschichtige Charaktere, die Ideale verkörpern, bis hin zum wunderbaren Otello. Bei Verdi gelangt man über die Musik in die Seele, die Gedanken, die Ängste, die letzten Regungen einer Figur.

Sie singen zwar auch viel Puccini, aber Fanciulla del West oder gar Manon Lescaut fehlt noch in Ihrem Repertoire?
Fabio Sartori: Ich habe Dick Johnson und Puccinis Des Grieux noch nicht auf der Bühne verkörpert – es sind unglaubliche Meisterwerke und früher oder später werde ich mich ihnen nähern. Aber jedes Rollendebüt hat seine Zeit. Ich respektiere meine Stimme viel zu sehr, sie ist ein kostbares und zerbrechlich es Geschenk und es gibt keine Ersatzteile wie bei den Maschinen.

Wäre ein Ausflug zum Lenski oder zum Prinzen in Rusalka denkbar?
Fabio Sartori: Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass die Werke heute in der Originalsprache aufgeführt werden müssen, und ich spreche weder Russisch noch Tschechisch. Es wäre ein Fehler, auch wenn die beiden Partien sicher interessant sind.

Wie sah es mit Mozart aus?
Fabio Sartori: Üblicherweise beginnt man mit Mozart. Ich hingegen nahm meinen Weg über Rossini und Donizetti, weil meine Stimme mich zu ihnen geführt hat – und rückblickend war es die richtige Entscheidung.

Unter Ihren Rollen befindet sich derzeit mit dem Werther genau eine französische Partie – warum keine weitere? Noch dazu, wo doch Ihre Frau Französin ist?
Fabio Sartori: Das französische Repertoire weist in der Tat zahllose herrliche Rollen auf, von Werther bis Don José – die Zukunft wird es weisen. Momentan fühle ich mich, wie schon gesagt, im Italienischen Fach am wohlsten.

Sie haben schon Adriana Lecouvreur gemacht, im März auch an der Wiener Staatsoper einen wundervollen Canio: Werden Sie tiefer ins Veris- mo-Fach vordringen? Wie sieht es mit Turiddu aus?
Fabio Sartori: Vielen Dank! Aber nein, noch möchte ich nicht über den Canio hinausgehen. Die Zeit ist noch nicht gekommen, um mich dem Realismus zu verschreiben ...

Italienische Sänger geben oft an, lieber eine Vorstellung zu singen, als eine Probe zu machen. Nördlich der Alpen bekommt man oft die umgekehrte Antwort. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Fabio Sartori: Ich liebe meine Arbeit. Proben sind nötig, um das endgültige Produkt, die Vorstellung, mit größter Ruhe zu erreichen. Man hat selbstredend den höchsten Adrenalinspiegel und die größte Genugtuung auf der Bühne, wenn das Theater voll ist und das Publikum auf einen wartet und man einen Abend (wie ich hoffe) voller Vergnügen und Spannung schenken darf!
 


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