Stephanie Houtzeel und Peter Rose
Jörg Schneider

Hat Sie denn keinen Hunger nicht?

Am Freitag, den 20. November 2020 ist der Rosenkavalier um 19.00 Uhr hier in unserem Stream zu sehen. 

Im dritten Akt des Rosenkavalier trifft sich der Baron Ochs auf Lerchenau mit der vermeintlichen Kammerzofe Mariandel im Hinterzimmer eines Wiener Gasthauses. Am Zweck des Treffens lässt die Ausstattung des Zimmers keinen Zweifel, schließlich steht bereits »a mordmäßig großes« Bett bereit. Zunächst aber soll es Wein geben und außerdem »kommt gleich wer mit’n Essen.« Das Libretto gibt nicht vor, was serviert wird, doch in Otto Schenks Inszenierung gibt es seit 1968: Leberknödelsuppe. Leberknödelsuppe ist nicht nur typisch wienerisch, sondern auch eine Spieleinladung an die die Darstellerinnen und Darsteller: Man kann die Suppe schlürfen und die Knödel in die Flüssigkeit patschen lassen, an klamaukigen Abenden fliegen sie gelegentlich sogar durch die Luft.

Zuständig für die Suppe – wie auch für Suppenschüssel, Teller, Kerzenständer und alle andere Kleinteile – ist die Requisiten-Abteilung der Staatsoper unter Leitung von Karl Steindl. Früher kochten die Requisiteure die Leberknödelsuppe eigenhändig in der Küche ihres Arbeitsraums. Seit dem letzten Umbau im Bereich der Bühnentechnik ist dies anders geregelt: Gekochte Speisen, die als »Verbrauchsrequisiten« auf der Bühne zum Einsatz kommen, werden in der Regel in der Kantine bestellt – so auch die Leberknödelsuppe. Hier gibt es übrigens keine Adelsprivilegien: Baron Ochs bekommt die gleiche Suppe wie der Bühnentechniker in der Mittagspause, wenn sie auf der Kantinenkarte steht. Die Zusammenarbeit zwischen Requisite mit Kantinenwirt Josef Gruber ist eingespielt: Eine gute Woche vorher kommt die Bestellung, pünktlich stehen warme Suppe, Spaghetti oder Würstel zum Abholen bereit. Ist es schon einmal vorgekommen, dass die richtigen Lebensmittel vergessen wurden zu besorgen oder zu bestellen? »Nein, nie!« antwortet Requisiteur Armin Steiner entschieden. Schwierig sei es nur einmal bei einem Japan-Gastspiel gewesen, dunkles Brot für Die Walküre zu finden: »Ein japanischer Kollege war zwei Tage lang auf der Suche nach einer Bäckerei, die so etwas herstellt. Da wurde ich schon a bissl nervös, denn Weißbrot würde nicht zur Inszenierung passen.« 

Eine kleine Küche gibt es allerdings doch im Requisiten-Arbeitszimmer. Sehr wichtig ist die Spülmaschine, damit das Requisitengeschirr zur nächsten Vorstellung wieder hygienisch sauber ist. Der kleine Herd kommt vor allem für Sonderaufgaben zum Einsatz. Dazu gehörte das essbare Tierherz für ​​​​​​Orest, das einer der Begleiter des Apollo genüsslich direkt von dem Pfeil kaut, mit dem das Tier getroffen wurde. Rohe Tierherzen stehen nicht auf der Speisekarte der Kantine, und der genüssliche Verzehr dürfte selbst geübten Darstellern schwerfallen. Die Requisiteurinnen und Requisiteure starteten Versuchsreihen und entwickelten eine Art feste Götterspeise aus Zucker, Gelatine und Lebensmittelfarbe, die in Herzform gegossen wird. Auch wenn das Ergebnis vor allem optisch überzeugen muss, wird der Geschmack nicht vernachlässigt: Zum Rezept gehört auch ein Packerl Bourbon-Vanillezucker. Das »Kinderfleisch«, das die Hexe in Hänsel und Gretel durch den Fleischwolf dreht, wird hingegen nicht gegessen. Aber sollte sich die Hexe einmal nicht zurückhalten können, wäre der Verzehr unbedenklich: Die vermeintliche Kinderfleischmasse besteht aus Flohsamenschalen, Wasser und Lebensmittelfarbe. »Sieht täuschend echt aus«, beteuert Armin Steiner lachend.

Reale Lebensmittel in einer ansonsten völlig gespielten Welt, das bleibt etwas Besonderes für die Darstellerinnen und Darsteller, berichtet Oberspielleiterin Katharina Strommer: »Bühnenessen hebt die Stimmung, gerade Otto Schenk hat sich das oft zunutze gemacht. Der Sekt in der Fledermaus wird zwar nur in kleinen Schlucken ausgeschenkt, aber er ist echt. Und wenn sich der Vorhang zum 2. Akt von L’elisir d’amore hebt, sind schon einige Würstel gegessen und der Chor ist bester Laune.«

Der echte Sekt ist eine Ausnahme. Normalerweise sind die ausgeschenkten Getränke nicht nur ohne Alkohol, sondern auch ohne Zucker und Kohlensäure, der Stimme wegen. Allerdings können die Sängerinnen und Sänger auch Wünsche äußern, berichtet Armin Steiner: »Wenn einer explizit ein Cola will und es passt in die Inszenierung, bekommt er es auch. Scarpia darf sich sogar aussuchen, welches Obst ihm aufgeschnitten serviert wird.«

Die Leberknödelsuppe allerdings ist nicht verhandelbar, sie ist fester Bestandteil der Inszenierung. Das war jedoch nicht immer so: Im Musikarchiv der Staatsoper befindet sich noch der Klavierauszug mit ausführlichen Regie-Anmerkungen der Wiener Erstaufführung (8. April 1911) des Rosenkavalier. Aus den nicht ganz leicht zu entziffernden Aufzeichnungen erfährt man, dass in der Regie von Wilhelm von Wymétal noch keine Leberknödelsuppe serviert wurde, sondern Kartoffeln (seltsamerweise keine Erdäpfel). Diese durften die Requisiteure von 1911 auch keineswegs zu früh zubereiten, denn im Klavierauszug ist außerdem vermerkt: »dampfend«.

Ann-Christine Mecke