Grenzen kitzeln
Was ist ein Mezzosopran? Eine Farbe? Eine Eigendefinition? Ein Lebensgefühl?
Meiner Meinung nach ist der Mezzosopran zunächst einmal die Fähigkeit einer Stimme, eine bestimmte Klangfarbe zu erzeugen. Ein Mezzosopran sollte eine stärkere oder dunklere mittlere Lage haben, wobei ich im Laufe der Zeit gelernt habe, dass es tatsächlich auch eine eigene Definition ist: es ist nämlich ein Lebensgefühl. Mezzosopran zu sein betrifft auch die Persönlichkeit und ist die Fähigkeit, sich besser anzupassen, ohne die Notwendigkeit, immer im Rampenlicht zu stehen. Ein Mezzosopran hat eine Lebensvision, in der er nicht immer im Vordergrund sein muss wie ein Tenor oder Sopran, obwohl die Stimme durchaus beweglich sein und die Sängerin es sogar genießen kann. Es geht jedoch um das innere Zentrum eines Mezzosoprans, was letztendlich den großen Unterschied ausmacht. Ich würde sogar sagen, dass ich im Prinzip ein Sopran sein könnte, aber für mich ist der Druck, jeden Abend die berühmtesten Arien zu singen und immer die Primadonna zu sein, einfach zu groß. Ich glaube, dass man mit einer Sopran-Attitüde geboren sein muss.
Wenn Sie über eine neue Partie nachdenken bzw. darüber, ob sie für Sie gut ist: Geht es dabei um ein »Mit ihr fühle ich mich stimmlich wohl«? Oder stellen Sie die Frage: »Wo liegt die Grenze?« – im Sinne von »Das lieber nicht«.
Wenn ich eine neue Partie erhalte oder darüber nachdenke, sie anzunehmen, beginne ich zunächst damit, den Klavierauszug zu studieren. Ich betrachte die Größe der Partie, von wo bis wo meine Stimme reichen muss, wie lang die Rolle ist und welche Dramaturgie sie aufweist. Außerdem überlege ich, ob sie zu meinem aktuellen Lebenszustand passt und ob ich mich mit den Problemen identifizieren kann, die der Charakter mit sich bringt. Ich betrachte es als die Aufgabe eines Sängers, die Grenzen immer ein wenig weiter zu setzen. Denn dann kann man wachsen, indem man sich mit dem Lehrer austauscht und sich wie ein Sportler im täglichen Fitnesstraining hocharbeitet. Es ist durchaus akzeptabel, nahe an die Grenze zu gehen und knapp vor ihr zu stehen, aber man sollte sie niemals regelmäßig überschreiten. Ich glaube, dass eine Stimme im Laufe der Zeit in komplizierten Rollen eine gewisse »Wonne« finden kann. Und nicht umsonst sagt man, dass man eine Partie endlich überwunden hat. Das bedeutet auch, dass es bei der Premiere, beim ersten Mal, noch hier und da einige Kleinigkeiten gibt, die noch besser gelingen könnten. Bei mehrmaligem Wiederholen werden Realität und Stimme schließlich immer stärker miteinander verbunden.
Kundry wird auch von Sopranistinnen gesungen. Ist sie nun eine Sopran- oder eine Mezzosopran-Partie?
Die Kundry ist, meiner Meinung nach, genauso schwer einzugrenzen wie Carmen, Tosca oder eine andere dieser Schicksalsrollen. Sopran-Fanatiker würden sagen, dass es eine Sopranrolle ist, Mezzosopran-Fanatiker hingegen würden behaupten, dass es sich um eine Mezzosopranrolle handelt. Ich persönlich finde, dass die Geschichte und die Entwicklung von Kundry für einen Mezzosopran vorteilhafter sind, da sie im ersten Akt recht tief liegt und im zweiten Akt die Stimme immer höher steigt. Für den Wahnsinn, den Kundry im zweiten Akt durchlebt – rein emotional, psychologisch und auch körperlich –, für diese Dramatik benötige ich eine schöne, volle Mittellage, die dann auch teilweise bis zur Grenze des Schrillen reichen kann. Ich bin der Meinung, dass sowohl Kundry als auch Santuzza am eindrucksvollsten von einer Stimme gesungen werden, die sich den Abgründen hingeben kann.
Wie unterscheidet sich eine Kundry von zum Beispiel einer Carmen oder einer Amneris? Ist es nur eine Frage der Höhe? Oder der Farben? Oder der Tessitura?
Die Kundry ist tatsächlich eine besondere Partie, bei der man Ausdauer benötigt. Natürlich sind auch eine Vielzahl von verschiedenen Farben erforderlich und die Kundry liegt im Vergleich zu Rollen wie Carmen und Amneris einfach höher. Wenn man jedoch bereits tiefere Partien gesungen oder auch Erfahrung mit einer Santuzza hat, ergibt sich die Herausforderung der Kundry eigentlich recht logisch. Es kommt wirklich nur auf die Ausdauer an. Die letzten vier bis fünf Seiten sind wie ein Marathon auf Sprintniveau, der mit einem extra Turbo geschafft werden muss. Dafür benötigt man eine gute Vorbereitung, starke Nerven und einen guten Sitz der Stimme, damit man die Partie singen kann, ohne sich den Hals zu brechen oder weh zu tun.
Maria Callas hat unter anderem auch die Carmen gesungen. Wie ging sich das alles aus?
Ich finde es durchaus falsch, eine Partie ausschließlich einer bestimmten Stimmlage zuzuweisen. In der Musik geht es um Emotionen, um Worte, Dramatik und Ausdruck. Die Callas war ein Unikat und hat natürlich nicht nur Carmen, sondern auch zahlreiche andere Partien gesungen, wobei sie ihre Stimme jeweils ein bisschen an die entsprechende Rolle angepasst hat. Aber man kann nicht sagen, dass die Callas ein allgemeingültiges Beispiel gewesen wäre. Doch ganz allgemein: Menschen werden immer Vorlieben haben, und daher wird ein Teil des Publikums einige Partien lieber von Sopranen, andere hingegen von Mezzosopranen hören wollen. Es ist unmöglich, es allen recht zu machen. Aber wenn ein Sänger das Publikum berühren möchte, dann finde ich, dass eine eigene, persönliche Interpretation für einen gelungenen Abend sorgt. Und ich glaube, dass, je öfter das Publikum kommt und zuhört und je länger ein Sänger auf der Bühne steht, desto größer der Fanclub und die Anzahl der Menschen werden, die nicht nur wegen der Partie gekommen sind. Und viele würden gerne alles Mögliche sowohl von einem Sopran als auch von einem Mezzosopran hören wollen.
Gibt es Grenzen für Elīna Garanča? Oder ist alles nur eine Frage der Zeit? Kommt nach einer Kundry in Parsifal irgendwann die Isolde in Tristan und Isolde?
Natürlich hat auch meine Stimme Grenzen, die ich aber immer wieder gerne verschiebe oder zumindest ein wenig kitzle. Nun gibt es Grenzlinien, von denen manche behaupten, dass sie die Grenze meiner Stimme wären. Oder sie sagen, dass die Grenze meiner Stimme bei einer bestimmten Partie liegt: bis dahin und nicht weiter. Und es gibt wirklich viele Leute, die mich immer wieder fragen, ob ich Lady Macbeth von Verdi oder ähnliche Rollen singen würde. Und obwohl ich den Charakter teilweise spannend finde, gibt es doch manches, bei dem ich sage: es muss nicht sein. Es geht dabei um bestimmte Farben. Ich glaube, dass viele gewohnt sind, bei einer Partie wie Isolde Zustände wie Sehnsucht, Erlösung und himmlisches Erreichen von einem Sopran zu hören und nicht von einem Mezzosopran. Und selbst wenn ein Mezzosopran die höheren Lagen erreichen oder erarbeiten könnte, die den inneren Zustand der Figur zeigen und einen stimmlichen Wohlklang präsentieren, käme Isolde für mich jetzt nicht infrage.
Liegen zwischen einer Dalila in Samson et Dalia und einem Sesto in La clemenza di Tito eher stilistische, technische oder Entwicklungs-Unterschiede?
Ich glaube, dass es Stimmen gibt, die eine große Entwicklung durchmachen können, und andere, die für ein bestimmtes Repertoire bestimmt sind. Im Allgemeinen finde ich, dass das Mozart-Singen eine Zeitlang – für einige Stimmen ein ganzes Leben lang und für andere nur am Anfang der Laufbahn – positiv ist, weil Mozart hauptsächlich instrumental schrieb. Seine Musik ist ein guter Ausgangspunkt, wenn man sich entwickeln möchte: denn auch beim Belcanto benötigt man gewisse Mozart-Techniken. Aber alles, was danach kommt – das Romantische, der Verismo und dann Wagner –, erfordert eine stimmliche Entwicklung. Das betrifft den Sitz der Stimme, die Muskeln, die Nerven, das Vibrato, die Energie, mit der man die Stimme führt, den dramatischen Ausdruck und natürlich die Power. Natürlich: Je dramatischer der Ton, desto mehr braucht man den Körper. Und für eine gewisse Dramatik benötigt man wirklich ein Gegengewicht! Ein 60-Kilo-Mann kann keinen 200-Kilo-Mann heben, und die dramatischen Partien sind die Schwergewichte, die es zu stemmen gilt. Also braucht es dafür einen Körper! Und mit dem Körper kommen auch die Brustweite und die Kraft, die die Stimme durch dieses schwerere Repertoire tragen.