lldar Abdrazakov, Paolo Bordogna und KS Juan Diego Flórez

GELD, MACHT & LIEBE

PREMIERE - IL BARBIERE DI SIVIGLIA

28. September (Premiere), 1., 4., 7., 10., 14. Oktober 2021, jeweils 19.00

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Unglaubliche 55 Jahre ist es her, dass das zentrale und vielgespielte Repertoirestück Il barbiere di Siviglia von Gioachino Rossini an der Wiener Staatsoper zuletzt zur Premiere kam: 1966, in einer damals schon nicht ganz neuen Inszenierung von Günther Rennert. Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert später, befragt das Haus am Ring unter Michele Mariotti und in der Inszenierung von Herbert Fritsch das Werk neu. Exemplarisch die Besetzung: Mit Juan Diego Flórez steht als Almaviva ein Sänger auf der Bühne, der im Belcanto-Fach, aber auch über dieses hinaus, zu einer der stilprägenden Persönlichkeiten unserer Zeit geworden ist. Seine virtuos geführte Stimme, die nuancierte Ausdrucksbrillanz, gepaart mit seiner schauspielerischen Wirkungskraft, machen ihn nicht nur zu einem Publikumsliebling par excellence, sondern zu einem Interpreten, der weit über die Grenzen einer Generation oder eines Genres wirkt. Dazu der Hausdebütant Davide Luciano als Figaro (siehe Seite 46), der international gefragte Bariton Paolo Bordogna (als Don Bartolo), der im Haus im Ring bereits erfolgreich Leporello sang und weltweit als Belcore, Dulcamara, Don Alfonso, Don Pasquale, Figaro und Sulpice auf der Bühne steht sowie der phänomenale Bass Ildar Abdrazakov in der Rolle des Don Basilio. 

Im spätsommerlichen Gespräch fühlte Oliver Láng dem Grafen Almaviva, Doktor Bartolo und Don Basilio auf den Zahn.

Bei der Uraufführung stand Almavivas Name im Titel und machte die Bedeutung dieser Rolle deutlich. Wie sehen Sie die Beziehungen und das Kräfteverhältnis zwischen den Figuren?

ILDAR ABDRAZAKOV Für mich ist es nicht einfach, die Hauptfigur in dieser Oper zu bestimmen. Aber ohne Zweifel ist es ein Werk, bei dem das Gleichgewicht im Ensemble an sich von größter Bedeutung ist. Jeder und jede tritt von Zeit zu Zeit in den Vordergrund und führt die Aufführung an, aber unterm Strich müssen alle als Team zusammenwirken. Wenn das Gleichgewicht jedoch nicht stimmt, wird das Publikum die richtige Tonalität, die richtige Atmosphäre, das richtige »Feeling« dieser Oper vermissen.

PAOLO BORDOGNA Ja, im Titel der Uraufführung wurde Graf Almaviva genannt, schließlich wurde die Partie ja für den großen Manuel García geschrieben, der ein bedeutender Sänger und Schauspieler war. Es ist eine ganz wunderbare Rolle! Beginnend bei der Musik – Almaviva hat von Rossini die meisten Nummern erhalten – aber auch in Bezug auf die darstellerischen Möglichkeiten: Almaviva schlüpft in mehrere Rollen, er spielt etwa  den betrunkenen Soldaten und Don Alonso. Für einen Sänger ist das einfach eine großartige Gelegenheit, seine schauspielerische Vielfalt zu zeigen. Andererseits: Figaro, auf den der heute verwendete Titel hinweist, hat mit »Largo al factotum« eine der bekanntesten Arien der gesamten Operngeschichte. Vergleichbar mit der »Habanera« in Carmen. Auch der Aspekt, dass Figaro dem Grafen zur Seite steht, lenkt die Aufmerksamkeit auf ihn. Wichtig ist jedenfalls das richtige Verhältnis zwischen den einzelnen Figuren. Wenn das stimmt, dann ist die Balance genau richtig!

JUAN DIEGO FLÓREZ Ich denke, dass im Zentrum doch der Graf steht. Auf der Suche nach dem eigentlichen Protagonisten eines Werks kann man oftmals die Nagelprobe machen und fragen, worum es in der Oper eigentlich geht? In diesem Fall lautet die Antwort: Es geht um die Erlebnisse des Grafen. Er kommt an, singt die Serenade, trifft Figaro, dann die Verkleidungen und am Ende heiratet er. Rossini hat die Oper gerade darum ja auch mit seiner Arie enden lassen. 

Muss man beim Singen oder Erleben des Barbiere die nachfolgenden Teile der Trilogie von Beaumarchais im Kopf haben?

PB Ob man im Barbiere daran denken muss, wie die Ehe zwischen Almaviva und Rosina sein wird? Meiner Meinung nach: eher nicht. Umgekehrt ist es aber sehr wichtig, die Vorgeschichte im Kopf zu haben: Wenn ich also den Figaro in Le nozze di Figaro singe, denke ich stets daran, wie gut die Beziehung Figaros zum Grafen, aber auch zu Rosina war. Wobei es auch im Barbiere bereits ein Wetterleuchten gibt, das auf den Figaro in Le nozze di Figaro hinweist. Ich sehe da eine politische Dimension in der Figur des Figaro – in dem Sinne, dass er ein Mann einer neuen Zeit sein wird.

JDF Das sehe ich auch so! Wenn es eine Vorgeschichte gibt, ist es wichtig, sie zu kennen. Wenn etwas aber nachträglich passiert, dann ist es zwar durchaus interessant, aber bei Weitem nicht so wesentlich. Wenn man sich den Charakter von Almaviva anschaut, ergibt sich ja ohnehin vieles. Denn er ist ein Abenteurer, er braucht das Abenteuer! Er liebt die Liebe – aber eben in Verbindung einer Spannung, mit Verkleidungen, Überraschungen. So einer wird sich auch später nicht ändern und nie beständig sein. 

IA Es ist natürlich großartig, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Originalvorlage von Beaumarchais vertraut sind. Aber auch wenn jemand das Stück noch nicht gelesen oder gesehen hat, wird die Musik sie oder ihn in diese Welt eintauchen lassen und durch alle Wendungen der Handlung führen. Denn die musikalische Überzeugungskraft vom Barbiere ist einfach überwältigend! 

Rosina und Almaviva – eine romantische Liebesgeschichte? Oder geht es Rosina eher darum, vor Bartolo zu fliehen?

JDF Beides, denke ich. Liebe hat ja oft damit zu tun, dass eine Person einer anderen etwas geben kann, was ihr fehlt – auf unterschiedlichsten Ebenen. Natürlich gibt es viel anderes, Almaviva ist schneidig, singt die Serenade, die beiden fühlen sich voneinander angezogen. Und es gibt natürlich viel Zwischenmenschliches. Aber dass Rosina in einem Gefängnis ist, hat natürlich auch Folgen. Sie will entkommen – und Almaviva ist die Lösung ihres Problems.

IA Es gibt in dieser Handlung so vieles zu entdecken, dass auf viele Arten verstanden und inszeniert werden kann. Vielleicht haben beide, Rosina und Almaviva, eben nicht nur ein romantisches Motiv im Sinn – Rosina will Bartolo loswerden, Almaviva die Jagd auf die Braut gewinnen. Wie man es auch sehen mag – ich denke, dass es sich doch um eine romantische Geschichte handelt.

PB Das ist eine Frage für viele Stunden Diskussion! Aber in aller Kürze: Ich meine, dass wir hier von einer sehr jungen Liebe sprechen. Ein bisschen Romeo und Julia. Die beiden sahen sich ja nur einmal… Es ist eine zarte, idealistische Liebe, die durch nichts getrübt ist. Aber durchaus eine echte. Eine Liebe, die man nur bei Shakespeare und in der Oper findet.

Worin liegt die Komik im Barbiere? Darin, dass Bartolo überlistet wird? Oder in den verwirrenden Situationen?

PB Ich würde als Allererstes sagen: In der Musik Rossinis! Sie macht das Publikum glücklich. Was die Handlung betrifft, denke ich, dass es das Wichtigste ist, kein Lachen erzwingen zu wollen. Keine derbe Komik, sondern ein Humor, der aus den Situationen entspringt. Wir müssen uns zum Beispiel vergegenwärtigen, dass Bartolo an sich ja kein lustiger oder lächerlicher Charakter ist. Er ist klug, ja intelligent, ein Arzt, hat Einfluss. Da ist nichts zu lachen. Der Humor beginnt dort, wo drei junge Menschen gegen diesen bürgerlichen, anerkannten, starken und einflussreichen Mann gewinnen. Und wie sie es anstellen.

JDF Nicht zu vergessen das Libretto, das großartig und sehr witzig ist. Ebenso ist Rossinis Barbiere-Musik perfekt, auch in ihrer Affinität zur Komik! Wie er die Personen charakterisiert. Wie humorvoll er in den Szenen – etwa beim vermeintlich betrunkenen Almaviva – arbeitet. Zu jener Zeit war der von Figaro angeführte Kampf der sozialen Klassen ein sehr starker Faktor, der uns heute nicht mehr so beeindruckt. Figaro zog die Fäden und er kam aus dem »popolo«: die Zeiten änderten sich.

IA Es gibt viele Aspekte: Die Geschichte mit einem Hauch von Absurdität, die Figuren, der Text und natürlich die Musik. Es ist unmöglich, mit Rossini zu streiten – seine Geschichte ist so leicht und fantasievoll, dass sie nicht zu ernst inszeniert oder gespielt werden kann. Das bedeutet nicht, dass man die Aufführung leichtfertig angehen sollte, aber diese Oper gibt einem die Gelegenheit, zu improvisieren, eine Art »Rowdytum« zu betreiben und als komischer Schauspieler aufzutreten, was bei einen Bass-Sänger gar nicht so häufig vorkommt.

In welchen Aspekten ist die Handlung des Barbiere zeitlos? Was kann eine heutige Zuschauerin, ein heutiger Zuschauer für sich finden?

JDF Ich denke, immer dann, wenn es um gesellschaftliche Fragen geht. Wir haben einen reichen Grafen, der den ärmeren Figaro für sich einspannt. Er kann mit seinem Vermögen und seiner Autorität alles beherrschen, die einzelnen Personen, aber auch die Polizei, sogar das Schicksal von Rosina. Es geht um Einfluss, um Politik und finanzielle Macht. Und das ist heute ja nicht anders. Rossini zeigt das bereits in der ersten Szene: Die Musiker fordern Geld und werden laut – und der Graf wirft Münzen in die Runde, um sie zu beruhigen. Und: Es klappt!

PB Genau, wenn man in eine Barbiere-Vorstellung geht, denkt man vielleicht, dass sich alles um die Liebesgeschichte dreht. Das stimmt aber nicht. Es ist, wie Juan Diego sagt, eine Parabel über Macht und Geld. Und genau das macht sie modern. Wir sehen eine Welt, die durch Kapital und Einfluss bestimmt wird. Und die meisten Figuren interessieren sich nur dafür: Basilio, Bartolo, aber auch Figaro. Die einzigen beiden, die sich nicht darum kümmern, sind Rosina und Graf, wobei der Graf von beidem mehr hat als alle anderen zusammen.

IA Die Geschichte hat leicht wiedererkennbare Bilder, Gefühle und Situationen, die überall und zu jeder Zeit relevant sind. Zum Beispiel der gerissene und geschickte Mann, der sein Leben so führt, wie er es für richtig hält, oder das junge Paar, das gegen den Willen eines älteren heiraten will. Alle Figuren sind in einer komischen Oper üblich, aber gleichzeitig sind sie echte Menschen.