Gegen den Gleichschritt!

Kinderoper hat in der Wiener Staatsoper Tradition. Bereits in den 1920er-Jahren spielte man erstmals Vorstellungen für Kinder (Peterchens Mondfahrt), mit Gian Carlo Menottis Kurzopern wandte man sich in den 1980ern auch an ein junges Publikum. Ab 1999, mit der Eröffnung des A1 Kinderopernzelts auf der Dachterrasse der Wiener Staatsoper, brach zudem eine neue Zeitrechnung an. Seither spielt man (früher im Zelt, heute in der Agrana Studiobühne | Walfischgasse) zahlreiche Stücke für Kinder und Jugendliche – auch im großen Haus. Im Jänner kommt nun wieder eine Uraufführung in der Walfischgasse heraus: Was ist los bei den Enakos?, verfasst von Elisabeth Naske (Musik) und Ela Baumann (Text). In der Oper geht es um das gleichgeschaltete Volk der Enakos, die ihre Individualität entdecken und die von oben diktierte Konformität stürzen.

Fangen wir mit dem Schönsten an. Was ist für Sie das Schönste am Erschaffen einer Oper? Die erste Idee? Das Schreiben? Der Schlussapplaus?
Elisabeth Naske: Es ist gar nicht so einfach, den wirklich schönsten Moment herauszufinden. Es gibt ja so viele schöne, schönste Augenblicke im Laufe der Arbeit. Für mich als Komponistin ist das Schönste aber wohl das Schreiben an sich, danach, also bei der Einstudierung und Produktion der Oper bin ich ja nur noch am Rande beteiligt. Und es gibt natürlich auch noch diesen großen Moment, in dem man merkt, dass das Projekt aufgeht. Das muss aber gar nicht die Uraufführungsvorstellung sein, sondern kann schon früher passieren.
Ela Baumann: Für mich ist das Beste immer jener Augenblick, in dem der Ausstatter das Modell präsentiert. Denn ich versuche, wenn ich eine Geschichte schreibe, eine eigene bildliche Vorstellung zu vermeiden, sowohl was die Figuren, als auch was den Raum betrifft. Was natürlich nur bedingt möglich ist. Und wenn ich das Libretto geschrieben habe, lösche ich es gewissermaßen im Kopf – und freue mich über eine erste Interpretation. Wenn dann das Modell vor mir steht und die Oper real wird, ist das etwas Einzigartiges.

Das bedeutet aber, dass Sie nicht von Anfang an doppelgleisig, also als Autorin und Regisseurin denken?
Ela Baumann: Nein, ich muss ja nicht die Regisseurin sein. Autorin und Regisseurin sind schon zwei Welten – die sich aber auch überschneiden. Ich schreibe als Librettistin natürlich nicht theaterfremd, sondern weiß, was umsetzbar ist. Aber ich denke nicht automatisch eine oder sogar meine Inszenierung mit. Natürlich habe ich aber, wenn ich ein Auftragswerk schreibe, eine konkrete Situation, alleine schon, was die räumlichen und technischen Möglichkeiten angeht, klar vor mir.

Viele Autoren sprechen beim Schreiben – neben dem Positiven, der Freude – über zwei Aspekte: dem Ringen mit dem Stoff und der Verselbständigung des Geschaffenen. Sind das auch für Sie Themen?
Elisabeth Naske: Jeder kennt diesen berühmten Kampf mit dem weißen Blatt Papier. Und jeder kennt auch die vielen Fragen, die man hat, wenn man etwas Neues schafft. Manchmal stockt die Arbeit plötzlich und man weiß nicht weiter, oder fühlt: das ist es noch nicht ganz. Aber die Überwindung dieses Kampfes ist fantastisch! Und, ehrlich gesagt, ist es inzwischen auch nicht mehr so schlimm. Ich weiß ja von früheren Arbeiten, dass die Krisen kommen, aber wieder überwunden werden und vorübergehen. Da hilft einem die Erfahrung schon sehr.
Ela Baumann: Die Verselbständigung ist natürlich immer eine faszinierende Sache! Das war diesmal ja auch so. Eigentlich war der Ausgangspunkt ein etwas anders ausgerichtetes Thema, doch im Laufe der Arbeit hat sich der Fokus verschoben und wir sind zum nun vorhandenen Sujet gekommen.
Elisabeth Naske: Wobei ich es ja liebe, wenn sich das Material verselbständigt! Anfangs ist man auf der Suche, es gibt vielleicht eine Vorstellung, aber nichts Konkretes. Dann probiere ich und taste mich heran: Manchmal passt nur eine Harmonie nicht, ein Ton nicht – und ich spüre: Das ist es noch nicht! Ich muss noch weitersuchen… Dann aber, wenn sich langsam das eine zum anderen fügt, wenn das musikalische Material immer konkreter wird, die Dinge ineinandergreifen und manchmal fast schon ein Eigenleben entwickeln – dann ist das echte, große Freude. Dieser Zustand kommt natürlich eher im späteren Schaffensprozess.

Bevor wir weiter über den Entstehungsprozess reden – Sie sprachen von einem anderen Ausgangspunkt. Wo lag der denn anfangs?
Ela Baumann: Bei den ersten Überlegungen ging es mir um ein Zuviel an Political Correctness. Ich arbeitete gerade in Schweden, und dort ist die Idee der Demokratie wirklich sehr fortschrittlich und sehr gut und stark verwirklicht. Allerdings kann es passieren, dass man – um andere nicht zu brüskieren – seine eigenen besonderen Leistungen verschweigt. Das bedeutet aber, dass das Mittelmaß zum Richtwert und zum Ziel erhoben wird. Man brüstet sich eben nicht mit Überdurchschnittlichem und versucht, nicht herauszustechen. Diese anfängliche Auseinandersetzung mit einer übersteigerten Korrektheit hat sich im Laufe der Arbeit verändert – es geht jetzt um von außen verordnete Gleichheit, um Gleichheit um jeden Preis. Enako bedeutet ja im Slowenischen „gleich“. Und es ging um das Thema, dass man ein Volk durch Angst führt und diese bewusst als Instrument einsetzt.

Nun könnte man einwenden, dass gerade heute die Chance zum Anders-sein-Dürfen eher gegeben ist als in fast jeder anderen Epoche. Ist es nicht so, dass gerade ein Sei-du-Selbst zum Trend geworden ist?
Elisabeth Naske: Ich denke, dass Konformität in der Gruppe, ein So-sein-Müssen zeitlose Themen sind, die jede Gesellschaft und Generation beschäftigen. Man kann das auf verschiedensten Ebenen nachvollziehen und nachweisen. Für mich ist das ein grundwichtiges Thema, das gerade Kindern nahegeht. Diese fragen sich in einem gewissen Alter ja oft: Wie muss ich sein? Wie soll ich mich geben? Wie passe ich dazu? Diesen Fragekomplex anzusprechen finde ich enorm wichtig.

Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss sprachen bei ihrer Zusammenarbeit von einem „Unglück höherer Ordnung“: Man stritt viel, doch es kam auch Großes heraus. In Ihrer Zusammenarbeit wirken Sie sehr harmonisch. Ist es also ein Glück höherer Ordnung?
Ela Baumann: Absolut! Wir haben ja eine Zusammenarbeit, die zurückreicht und die immer enger geworden ist. Wir entwickeln sehr viel gemeinsam, es ist nicht so, dass ich einen Text schreibe, und Elisabeth vertont ihn einfach. Sondern wir arbeiten sehr intensiv zusammen. Elisabeth hat sich diesmal zum Beispiel von Anfang an ein fantastisches Setting gewünscht, je fantasievoller, desto besser.
Elisabeth Naske: Und ich weiß immer, dass Ela ein Libretto schreiben wird, das einfach wunderbar ist. Es ist nicht nur ein Text, sondern es sind viele Schichten darunter, viele Wahrheiten. Mir geht es dann im Kompositionsprozess darum, nicht meine, sondern ihre Geschichte zu vertonen. Daher halten wir viel Rücksprache. Es ist wirklich eine sehr harmonische und enge Zusammenarbeit … aber jetzt wo ich das kenne: anders will ich gar nicht mehr arbeiten! Zum Setting: Mir war es wichtig, dass es möglichst nicht konkret ist, denn wenn es aus dem Leben gegriffen ist, gerät man schnell in die Klischeefalle.

Wenn nun einmal die Geschichte auf textlicher Basis abgeschlossen und fertig ist: Wie entsteht die Musik? Haben Sie ein Komponierhäuschen am Attersee, in dem Sie gut arbeiten können?
Elisabeth Naske: Nicht am Attersee, aber es geht schon in diese Richtung (lacht). Ich habe in Niederösterreich ein Refugium, in das ich mich vier Monate lang zurückgezogen habe. Ganz streng! Nach Möglichkeit keine Mails, kein Telefon, keine Störungen. Ganz so einfach ist das dann natürlich nicht, aber ich brauche schon meine Ruhe zum Komponieren.

Gehen Sie von einer ersten musikalischen Idee, gewissermaßen als Keimzelle, aus, die Sie erweitern?
Elisabeth Naske: Zuallererst hatte ich einen Klangeindruck. Mir war gleich klar, dass der Enako-Klang von Xylophon und Marimba ausgeht, dass diese Instrumente den Charakter der Enakos darstellen. Dann habe ich natürlich motivisches Material gesucht – und das benötigt am meisten Zeit. Die Enakos, als doch sehr naive Wesen, brauchen auch eine entsprechende Melodie, eine möglichst einfache. Aber das Einfache ist gar nicht einfach zu finden. Gerade so eine kleine Melodie muss genau am Punkt sein!

In dieser Kinderoper spielen auch Kinder mit …
Ela Baumann: … und das ist das Wunderbare! Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass ein junges Publikum sich stärker angesprochen fühlt, wenn die Geschichte von Gleichaltrigen erzählt wird. Und wenn man dabei als Regisseurin mit so professionellen und guten Darstellern, wie wir sie mit der Opernschule haben, arbeiten darf – dann ist das Glück perfekt! Schon in den ersten Proben war ich ganz hingerissen, wie genau Kinder Handlungen bis zum Ende denken, mit welcher Logik sie mitarbeiten. Ihr Blick ist in vielem viel schärfer als unser erwachsener Zugang. Schon daran, welche Fragen gestellt wurden, konnten wir erkennen, wie intensiv sich die Kinder das Stück verinnerlicht haben.

Wieweit ist eigentlich eine Meta-Ebene vorhanden? Vor allem, was die Kunst betrifft: Gerade in der Kunst braucht es doch außerordentliche Einzelleistungen, aber auch das große Gemeinsame und eine gewisse Unterordnung unter ein System?
Ela Baumann: Ob die Enako-Handlung so auf den Kunstbetrieb anwendbar ist, weiß ich nicht. Aber sicherlich auf das Schulsystem! Es „funktioniert“ also gerade auch im tatsächlichen Leben.

Das ist auch die Aussage, die die Kinder nach der Vorstellung heimnehmen sollen?
Ela Baumann: Ja! Man braucht keine Angst vor den individuellen Fähigkeiten Einzelner zu haben. Selbst wenn daraus Konflikte entstehen können und es einfacher ist, wenn alle gleich scheinen. Denn gleich sind wir ja nie! Zum Glück!
Elisabeth Naske: Hinterfrage die Obrigkeit immer. Egal welche. Und habe Mut zur Individualität. Man muss sich mit diesen Themen auseinandersetzen, gerade im Theater. Denn wozu gibt es Theater? Zum Ansprechen von Dingen, die uns beschäftigen. Und um Menschen ein wenig aus ihrem Alltag herauszukitzeln!

Oliver Láng


Was ist los bei den Enakos?
Musik: Elisabeth Naske 
Text: Ella Baumann

Uraufführung: 26. Jänner 2019
Reprisen: 3., 10., 12., 16., 17., 18., 20., 23., 24., 25., 26. Februar 2019

KARTEN & MEHR