Für die Manon würde ich mir den Arm ausreissen
Diana Damrau ist weltweit eine der besten Lucias, Violettas, Manos, Puritani-Elviras, Figaro-Gräfinnen, Leïlas, Konstanzes – die Liste lässt sich wohl um ein weiteres Dutzend Rollennamen verlängern – und nicht umsonst wird sie in den USA als die führende Koloratursopranistin der Welt bezeichnet. Nun kehrt sie im Februar in der Titelrolle von Massenets Manon zurück an die Wiener Staatsoper, an der sie, seit ihrem fulminanten Debüt im Jahr 2000, regelmäßig in den unterschiedlichsten Partien zu erleben ist.
Sie haben die Manon hier, im Haus am Ring, bereits in einer Vorstellungsserie gesungen …
Diana Damrau: Ja, das muss, soweit ich mich richtig erinnern kann, 2010 gewesen sein und war zugleich mein Debüt in dieser Rolle.Ich mag die Wiener Inszenierung von Serban, sie ist sehr stimmig, obwohl sie nicht in der Originalepoche spielt, sondern im 20. Jahrhundert ... außerdem wirkt Manon etwas gerissener, raffinierter und gefährlicher als in vielen anderen Produktionen.
Inwiefern?
Diana Damrau: Im Allgemeinen wird Manon als relativ gut behütetes Mädchen vom Land beschrieben, die ein bisschen wild zu sein scheint und deshalb in ein Kloster gesteckt werden soll. In Wien tritt sie bereits mit einem schicken Haarschnitt auf: diese Manon weiß genau, was gerade Mode ist, wie man sich kleidet, was grundsätzlich in der Stadt en vogue ist – und dem möchte sie entsprechen. Sie wirkt in dieser Regie trotz aller Schüchternheit selbstbewusst, kokett, präsent und begeht darüber hinaus gleich am Beginn ziemlich skrupellos einen Diebstahl. Mit anderen Worten: sie hat’s faustdick hinter den Ohren!
Kann es sein, dass eine Inszenierung eine Interpretation beeinflusst?
Diana Damrau: Ja, das passiert schon des Öfteren. Manchmal hat man einen veränderten Subtext, weil Szenen und Momente neu gesehen werden oder die Entwicklung anders verläuft als üblich – natürlich im Rahmen dessen, was der Klavierauszug beziehungsweise die Musik und das Libretto erlauben –, aber es ist ganz spannend da andere „Töne“ zu finden. Und selbstverständlich ist der Partner, mit dem man auf der Bühne steht, ganz entscheidend.
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Diana Damrau als Manon in "Manon"
Die Partitur zeigt sehr häufige Stimmungsumschwünge, Tonartenwechsel, der Ausdruckscharakter wird alle 20, 30 Takte geändert – sagt dieser Umstand auch etwas über den Charakter der Manon aus?
Diana Damrau: Nun, Manon ist ja nicht gerade ein purer Sympathieträger. Sie lebt „auf Vollgas“ aus dem Moment heraus, ohne Rücksicht auf Verluste, denkt immer nur an sich und versucht das Meiste aus jeder Situation, in die sie gerät, herauszuholen. Andererseits darf man nicht vergessen, dass sie noch ein junges Mädchen ist, das sich zwar unheimlich in Des Grieux verliebt, das aber „Party-Leben“, den Luxus nicht missen will und gierig nach Geld unwiderstehlich vom ausschweifenden, verruchten Leben angezogen wird. Dann kommen jedoch wieder Momente, wie in der Gavotte in der Cours-la-Reine-Szene, wo sie zwar von der Männerwelt umschwärmt wird, aber dennoch genug hat von der Oberflächlichkeit des Star-Seins und reflektierend erkennt, dass ihr etwas oder jemand fehlt: nämlich Des Grieux. Die Rückeroberung ihres Geliebten birgt allerdings auch eine zusätzliche Facette, eine sportliche nämlich – die Herausforderung: „schaffe ich das?“ Und in Saint-Sulpice setzt sie schließlich tatsächlich jedes Mittel ein, um ihn manipulierend zurückzugewinnen. In dem Moment, in dem Manon dann ihr Ziel erreicht, ist sie zwar froh über das Wiederaufleben ihrer gemeinsamen Liebe, aber genauso wichtig ist ihr der Triumph, die „Mission“ erfüllt zu haben und das wird in dieser Inszenierung übrigens ebenfalls sehr schön gezeigt, indem Des Grieux am Boden kniet und sie siegreich hinter ihm steht. Kurzum: Bedingt durch die stets wechselvollen Gegebenheiten und Manons mehrschichtige Gefühlswelt würde ich Ihre Frage mit „ja“ beantworten, ja dieser häufige emotionale Wechsel in der Partitur spiegelt viel vom Charakter der Titelfigur wider.
Sie singen oft Belcanto-Rollen. Hat das Auswirkungen auf Partien außerhalb dieses Spektrums, etwa konkret auf die Manon, können Sie also etwas an Belcanto-Erfahrung hier einbringen?
Diana Damrau: Manon ist natürlich etwas ganz anderes als das sogenannte Belcanto, es gibt bei Massenet auch keine Ausflüge in die absoluten vokalen Stratosphären, keine Kadenzen, in denen man die Extramöglichkeiten der Stimme vorführen kann, aber selbstverständlich ist das entsprechende Wissen hilfreich, zumal Manon so ziemlich alles von der Stimme verlangt. Man kann oder soll in dieser Oper durchaus immer wieder messa di voce einsetzen, muss einfärben, da sehr viel aus dem Wort heraus interpretiert wird. Letztendlich hat man als Sängerin das Gefühl, dass Manon aus sechs zum Teil unterschiedlichen Miniopern besteht: Gezeigt wird die Entwicklung eines jungen Mädchens bis hin zur einsichtig gewordenen sterbenden Frau, die viel erlebt hat – ein großer Bogen also, der sehr unterschiedliche Anforderungen an die Stimme und Interpretation stellt. Die spielerische Manon im gemeinsamen Zimmer mit Des Grieux verlangt ganz andere Farben, als die Verführerin in Saint-Sulpice oder die Aufstachlerin in der Spielhölle, in der sie Des Grieux zwingt mitzumachen. Am Anfang der Oper muss sie also noch jung und silbrig klingen, wenn auch etwas verschlagen, da sie ja eine gewisse Schläue und ungeheure Spontaneität aufweist. Peu à peu wird es dann saftiger, dramatisch-erwachsener und zugleich farblich intensiver – sie durchläuft ihre Prüfungen bis zum Tod, bis sie endlich erkennt, wie sehr sie von Des Grieux geliebt wurde, was er für sie durchlitten hat. Im Grunde fängt die Traviata dort an, wo die Manon aufhört (lacht).
Gibt es etwas in der Musik von Manon von dem Sie sagen würden: das ist typisch Massenet?
Diana Damrau: Massenet hat einfach das „gewisse Französische“ (lacht). Da es sich um ein Konversationsstück handelt, gibt es immer wieder Passagen, in denen das Orchester stark zurückgenommen agiert und man viel aus dem Charakter der Rolle, aus dem Schauspiel entwickeln muss, dann kommen wieder lyrische Momente, in denen die Sängerin die Stimme voll ausfahren kann, dann wiederum klanglich sehr durchsichtige Abschnitte, die in den üblichen romantischen Opern auf Grund des großen Orchesterapparats kaum vorkommen.
Wenn Sie nun die Manon mit anderen französischen Partien vergleichen, die Sie gesungen haben – etwa mit den drei Frauen in Contes d’Hoffmann – wo liegen die Unterschiede?
Diana Damrau: Manon ist sicher einer der facettenreichsten Rollen überhaupt – wie ich schon sagte, es handelt sich um sechs Miniopern in einer großen. Natürlich macht es Spaß in Hoffmann alle Damen zu machen, da die Interpretin drei verschiedene Genres vor sich hat: Am Anfang die Koloraturmaschine, die keine Gefühle besitzt, danach die große lyrisch-dramatische Gesangsrolle der Antonia und schließlich die Giulietta, die in meinem Fall als Charakterrolle fungiert. Das entspricht einem modernen Dreikampf, einem Triathlon. Aber dennoch ist Manon mit Hoffmann nicht vergleichbar.
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Diana Damrau als Manon in "Manon"
Bei so viel Unterschieden in einer Rolle – gibt es eine Passage von der man sagen kann: vor der fürchtet sich die Sängerin bei einer Aufführung am ehesten?
Diana Damrau: Jede Szene ist spannend und jede Sängerin hat andere Möglichkeiten beziehungsweise Schwierigkeiten. Manche scheuen sich vor den hohen Tönen an sich, andere fürchten zum Beispiel die Gavotte, in der man einerseits Stimme zeigen sollte und andererseits dennoch hohe Töne singen muss. Sicher ist: Am meisten Stimme und Ressourcen benötigt die bereits erwähnte Szene in Saint Sulpice – und wenn die Interpretin nicht ganz fit ist, dann merkt sie es hier am deutlichsten.
Gelegentlich wird Massenet kritisiert, eine zu sentimentale Musik komponiert zu haben, Joseph Hellmesberger hat wiederum ironisch festgestellt: „In der Oper vom Massenet is a Masse net vom Massenet“ …
Diana Damrau: Da bin ich anderer Meinung! Ich würde mir einen Arm ausreißen, um Manon singen zu dürfen! Eine wunderschöne Musik,
tolle und interessante Charaktere, insgesamt eine wunderbare Oper, die heute, Gott sei Dank, wieder öfter gespielt wird.
Hören Ihre beiden Kinder zu wenn Sie zu Hause etwas üben?
Diana Damrau: (lacht) Zu Hause übe ich nicht, aber sie kommen schon immer wieder in die Proben – zuletzt zu jenen der Perlenfischer an der Met. Zunächst waren sie etwas erschüttert, als Leïla gefesselt wurde, aber ich habe ihnen die Geschichte erzählt und ihnen erklärt, dass ich auf der Bühne nicht die Mama bin, sondern eine andere Person darstelle. Danach fanden sie das Ganze toll und spannend und haben sich schließlich ähnliche abwaschbare Henna Tattoos machen lassen, wie ich sie auf der Bühne hatte.
Sie singen an sehr unterschiedlichen Bühnen – wie passt man die eigene Stimme an die Akustik und die Größe eines Hauses an?
Diana Damrau: Intuitiv. Natürlich gibt es den Dirigenten und musikalische Assistenten, die in den Proben sitzen und sich um die Balance
kümmern, gelegentlich lasse ich mir auch eine Aufnahme machen, aber letztendlich passt sich die Stimme intuitiv an. Man erspürt ja den Raum, und reagiert dann darauf. An Opernhäusern mit einer guten Akustik, wie der Met oder der Wiener Staatsoper, in denen der Klang sozusagen „zurückkommt“, geschieht dieses intuitive Reagieren natürlich leichter.
Wenn Sie eine Vorstellung singen, vergessen Sie das Publikum oder sind Sie immer in unsichtbarer Verbindung mit den Zuhörern?
Diana Damrau: Natürlich ist man sich dessen bewusst, dass Leute da sind, deswegen spielt und singt man ja auch nach vorne, damit die Stimme in den Zuschauerraum geht und nicht in den Kulissen hängenbleibt (lacht). Im Film hat man sicher andere Möglichkeiten, aber im Theater respektive im Musiktheater ist das Publikum ein wichtiger Partner.
Andreas Láng
Manon
14.,19.,22.,25.,
28. Februar 2016