Fahrzeug sein, und Fahrer!

Strauss hat aus Hofmannsthals Original große Textteile der Klytämnestra gestrichen. Wieviel dramaturgisches Kalkül steckte dahinter?

Anna Larsson: Ich denke es ging ihm um eine komprimierte und deutliche Form eines Bildes dieser drei Frauen und um eine direkte, fast brutale Art der Publikumskonfrontation. Er wollte einfach vermeiden, dass Klytämnestra den Raum betritt und langatmig über ihre Motivation zu berichten anfängt. Es sollte klar und direkt sein. Eine dramaturgisch sehr gute Entscheidung!

Bei Ihrer Klytämnestra handelt es sich um ein Rollendebüt. Hatten Sie die Rolle länger im Visier?

Anna Larsson: Direktor Meyer hat mir diese Partie angeboten, und ich war zunächst einmal überrascht: Ich sah mich selbst nicht als Klytämnestra. Dann allerdings las ich, dass Strauss die Figur als attraktive, etwa 50-jährige Frau beschrieben hat und nicht als alte Hexe. Und so dachte ich mir: Also, wenn Strauss das sagt, dann kann ich die Rolle ruhig singen, gewissermaßen in der Tradition einer Waltraud Meier, einer schönen, gesunden Mezzostimme. Es ist eben nicht die alte Gräfin aus Pique Dame!

Kann man eine Strauss-Partie überhaupt aus dem Klavierauszug, wie in der Oper üblich, lernen?

Anna Larsson: Das ist natürlich ein Faktum, dass ein Klavierauszug eine extreme Reduktion darstellt und diese bei Strauss, dessen Stärke und Besonderheit ja gerade die Farben im Orchester sind, beim Lernen einer Partie eine Herausforderung darstellt. Es ist ja so, dass die Sänger zwar wichtig sind, aber das Orchester den wesentlichen Part hat. Man hört im Orchester alle Charaktere: Chrysothemis, Elektra, Klytämnestra und muss eigentlich gar nicht auf die Bühne achten, im Orchestergraben findet schon alles statt.

Stellen sich im Zuge dieses Lernens Erkenntnisse oder Aha-Erlebnisse in Bezug auf die Oper ein?

Anna Larsson: Ich bin draufgekommen, dass, wenn ich exakt das mache, was Strauss in den Noten notiert hat, musikalisch Dinge zum Vorschein kommen, die man beim raschen Drüberhören verpasst. Klytämnestra ist dann weniger dunkel, dafür aber menschlicher. Ist man dieser Menschlichkeit erst einmal auf der Spur, dann versteht man Klytämnestra besser … Ich finde es spannend, wie Hofmannsthal aus dem griechischen Mythos ein Freud’sches Drama destilliert hat. Die Taten der Klytämnestra bedrohen sie aus dem Unterbewusstsein, sie wird mit dem Ganzen nicht fertig – und geht zu Elektra. Jener Person, die in dieser Situation als Ansprechpartnerin wohl am wenigsten geeignet ist. Ich finde das vom Psychologischen her spannend!

Wieweit geht Ihnen diese Spannung unter die Haut? Wieweit sind Sie die Klytämnestra?

Anna Larsson: Wir werden sehen, ob ich Klytämnestra bin oder Larsson, die Klytämnestra spielt. Natürlich muss das Publikum das Gefühl haben, dass wir Sänger mit der Rolle eins geworden sind. Aber ein Teil von uns muss dennoch immer distanziert bleiben. Es ist, als ob man in einem Auto sitzen und das Fahrzeug lenken würde: das Publikum sieht das Auto, nicht den Fahrer. Was wir allerdings nicht machen dürfen ist: Außerhalb stehen und uns selbst beobachten. Man soll schon ruhig die Rolle zu sein versuchen und sie ins Unterbewusstsein lassen. Ich hoffe jedenfalls, dass ich für die Klytämnestra mutig genug sein werde.

Das Gespräch führte Andreas Láng