© Johannes Ifkovits

Es geht um hohe, wahre Gefühle

Innerhalb weniger Wochen singen Sie im Thea­ter an der Wien den Jontek in Halka, an der Staatsoper den Lohengrin sowie den Rusalka­ Prinzen. Ist das für Sie eher vom Psychischen oder vom Physischen her fordernd?
KS Piotr Beczała: Ich würde sagen, dass das vor allem eine mentale Sache ist. Die Rollen stehen sich in einigen Aspekten nahe, was manches einfacher macht. Aber im Detail gibt es natürlich beachtliche Unterschiede – und diese gilt es ernst zu nehmen! Es fängt schon bei den Sprachen an: es sind drei unterschiedliche. Natürlich singt man das Deutsche anders als das Slawische, aber auch Polnisch und Tschechisch, die ja verwandt sind, weisen in Bezug auf die gesangliche Stimmgebung große Verschiedenheiten auf. Für Außenstehende mag manches ähnlich klingen, für uns Sänger ist das aber ein wichtiges Thema. Verwandtschaften gibt es in der musikalischen Stilistik – müsste ich von Belcanto zu Wagner wechseln, wäre der Spagat deutlich größer.

Inwiefern hat es Auswirkungen auf die Technik, wenn Sie von einer Sprache in eine andere wech­ seln?
KS Piotr Beczała: Zunächst einmal ist es eine Frage der Platzierung der Stimme und generell der Stimmgabe. Da kommt das vorhin erwähnte Mentale ins Spiel: Ich stelle mir einen ganz spezifischen Klang vor, der zu einem Werk passt und finde so zu dem richtigen Stil. Zuerst einmal muss ich also eine korrekte Vorstellung finden, dann erst passiert die bewusste Umsetzung. Wenn man einfach so in eine Oper reingeht und nicht im Kopf hat, wie der Klang zu guter Letzt beschaffen sein soll, dann tappt man auch stimmlich im Dunkeln. Das ist ein Prozess, der gar nicht so einfach in Worte zu fassen ist.

Ist der vorgestellte Klang ein konkreter Tenor­ Stimmton?

KS Piotr Beczała: Nein, es ist eine abstrakte Form, die ich in einem zweiten Schritt mit meiner Stimme verbinde. Aber es ist ein ganz wichtiger Aspekt: Wenn man diesen Klang falsch entwickelt, dann hat das natürlich Konsequenzen für die technische Seite und den Gesang. Mitunter fragen sich Sängerinnen und Sänger, warum etwas nicht richtig klingt oder auch so schwer umzusetzen ist – und oft hat das genau mit dieser gedanklichen Ausformung eines Grundklanges zu tun. Ich empfehle da immer, sehr genau zu arbeiten und diesen Arbeitsschritt sehr ernst zu nehmen.

Zielt das Einsingen vor einer Vorstellung auch schon auf diesen individuellen Werkklang ab?
KS Piotr Beczała: Beim Einsingen fange ich immer gleich an – das ist eine kleine Routine, die ich stets absolviere. Dann aber passe ich die Übungen dem jeweiligen Repertoire an. Denn auch das Einsingen muss schon auf die später verwendeten Vokale abzielen, auf die Farben. Aber auch auf die Konsonanten und die Gewichtung all dieser Elemente. Beim Tschechischen und Deutschen sind die Konsonanten zum Beispiel wichtiger als in anderen Sprachen. Idealerweise berücksichtigt man das schon beim Aufwärmen.

Und ist das Polnische, Ihre Muttersprache, gut sangbar?
KS Piotr Beczała: Jein. Es existiert keine Unterscheidung in kurze und lange Vokale, dafür aber gibt es ein „y“, das sehr weit hinten liegt und daher nur schwer zu singen ist. Man muss gut überlegen, wie man das hinbekommt. Interessanterweise ist das für Nicht-Polen einfacher, weil sie den Vokal nicht kennen und ihn einem „i“ annähern. Ich darf mir das aber natürlich nicht erlauben, bei mir muss er schon ganz richtig ausgesprochen werden!

Aber ist das Polnische für Sie leichter zu singen als das Tschechische?
KS Piotr Beczała: Ich habe ja immer mehr Tschechisch als Polnisch gesungen – zum Beispiel die Verkaufte Braut und viele Lieder. Es ist ja eigentlich sogar so, dass Polnisch als Gesangssprache für mich fast eine Fremdsprache ist. Rusalka fällt mir insofern leichter!

Den Lohengrin haben Sie szenisch in Dresden und vor allem in Bayreuth gesungen. Hat so etwas wie eine Bayreuther Akustik­ Prägung stattgefunden?
KS Piotr Beczała: Die Akustik im Festspielhaus ist ja sehr gut, aber dennoch sage ich stets: Man muss die generelle Akustik eines Hauses ignorieren. Erstens: Ich bekomme sie auf der Bühne gar nicht mit. Ob eine Stimme dank der Beschaffenheit eines Saales edler, goldener, runder oder sonst wie klingt, hört nur das Publikum. Und wenn die Akustik schlecht ist, ist es auch besser nicht zu viel darüber nachzudenken – man kann sie ja doch nicht ändern. Was für uns Sänger aber durchaus interessant ist, sind spezifische Eigenheiten. Der berühmte Callas-Spot in der Scala existiert ja wirklich: das ist ein Platz auf der Bühne, an dem die Stimme einfach ideal über die Rampe kommt. Als ob man ein Mikrophon hätte! Solche Flecken gibt es aber – leider – nicht in jedem Haus. Über allfällige gute und weniger gute Plätze und bauliche Eigenheiten muss man sich einfach informieren. Entweder bei Kollegen, oder man hat jemanden, dem man vertrauen kann. Bei Proben ist daher meine Frau oft anwesend und hört genau zu – mit ihr kann ich dann die eine oder andere akustische Eigenheit eines Saales herausfinden.

Der Lohengrin ist für Sie noch eine – relativ – neue Partie. Gibt es für Sie eine Faustregel, ab dem wievielten Mal Sie die Partie so richtig verinner­licht haben?
KS Piotr Beczała: Dresden, wo ich ihn zum ersten Mal sang, war natürlich ein besonderes Ereignis: Mit Anna Netrebko und Tomasz Konieczny als Bühnenpartner sowie Christian Thielemann als Dirigenten kann man nur beglückt sein. Dennoch wusste ich, dass ich mit dem Lohengrin erst angefangen habe und ihn noch weiter entwickeln muss. Ich sang ihn – aber es war erst eine Annäherung. Mit Tatsachen, wie zum Beispiel, dass man als Lohengrin eine sehr lange Pause zwischen dem ersten und dem Auftreten im zweiten Aufzug hat, muss man erst richtig umgehen lernen. Das braucht Zeit. In Bayreuth spürte ich, dass ich in der Rolle schon sicherer und heimischer werde. Anders, als durch Erfahrungen, die man macht, kann man eine solche Rolle ja grundsätzlich nicht lernen. Lohengrin sind ja Dimensionen, mit denen man sich erst einmal vertraut machen muss.

Er hat auch charakterlich weite Dimensionen, die einen entsprechenden interpretatorischen Spielraum zulassen. Wagner sah ihn als großen Einsamen, der nicht als Messias gefeiert werden will und ein liebendes Gegenüber sucht. So gese­ hen also gar nicht so heldisch.
KS Piotr Beczała: Er ist ja auch kein Held. Was ist ein Held? Einer, der auf einem Schimmel herbeireitet, Drachen tötet und dann in Glorie weiterzieht. Was macht Lohengrin? Er stellt Bedingungen, das ist doch nicht so heldentypisch. Die Sache ist also komplizierter, da gebe ich Wagner recht. Er wusste schon, was er schrieb (lacht). Sagen wir es so, Lohengrin ist ein Held in Ansätzen. Aber jeder Mensch, selbst der freiwillig Einsame, braucht ein Spiegelbild. Und Elsa gibt ihm das Gefühl der Vollkommenheit. Mir gefällt die Reinheit seines Charakters, die Geradlinigkeit, das Konsequente. Man darf bei ihm ja auch nie vergessen, dass er aus einer gänzlich anderen Welt kommt, mit anderen Regeln. Was für die Menschen gilt und wichtig ist, muss nicht für ihn gelten. Und umgekehrt. Die Bedeutung der Wahrung seines Geheimnisses muss man aus diesem Betrachtungswinkel sehen. Das hat für ihn einfach ein großes Gewicht.

Das Geheimnis schützt ihn ja auch: Er will geliebt werden um seiner selbst willen. Nicht seiner Her­ kunft willen.
KS Piotr Beczała: Genau das ist es! Das ist ein Thema, das ja in Hunderten von Filmen vorkommt, ein Millionär verbirgt seine Identität, weil er eine Frau sucht, die nicht hinter seinem Geld her ist. Heute wirkt es wie ein Klischee. Aber das ist ein wichtiges Thema: es geht um hohe, wahre Gefühle.

Also ist seine Liebe echt? Das gehört zur Reinheit dazu?
KS Piotr Beczała: Ja, bei Lohengrin stellt sich diese Frage für mich nicht.

Bei Rusalka verhält es sich ähnlich, nur mit um­ gekehrten Vorzeichen: da hat sie das Geheimnis. Ist ihre Liebe auch so echt?
KS Piotr Beczała: Ja! Natürlich könnte man auch sagen: Sie liebt ihn, um aus ihrer Welt ausbrechen zu können. Aber ich glaube an ihre Liebe.

Und der Prinz? Fehlt es ihm an Vertrauen in die Zukunft? Ist er verunsichert? Oder nur schwach?
KS Piotr Beczała: Ich denke, dass der Prinz eine Gesellschaftsschicht repräsentiert, und in dieser ist Rusalka ein fremdes Wesen. Er sieht sie letztlich als Trophäe an. Ich mag das nicht, aber es gehört zu seinem Charakter. Ihm fehlt die Reinheit und die Ehrlichkeit von Lohengrin. Darum ist mir der Prinz als Figur weniger sympathisch.

Am Ende bereut er aber und kehrt zurück.
KS Piotr Beczała: Aber ist es ein ehrliches Bereuen? Für mich fühlt sich der Prinz nur unwohl in seiner Haut, vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen, vielleicht aber fühlt er sich getrieben. Man darf nicht vergessen, dass er schon zweimal geflüchtet ist: einmal aus der Gesellschaft in den Wald, wo er etwas gesucht hat – und etwas Faszinierendes, aber für ihn Unbegreifliches fand. Und dann in die Arme der Fremden Fürstin. Er ist labil, ohne Frage. Jedenfalls kein Held! Ich würde sagen: Wenn sich einer so gerne und so oft verliert, dann ist das schon eine Charakterfrage ...

Das Gespräch führte Oliver Láng


Lohengrin | Richard Wagner 
9., 12., 16., 19. Jänner 2020
KARTEN & MEHR 

Rusalka | Antonín Dvořák
30. Jänner 2020
2., 4. Februar 2020
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