Es geht mitunter ans eing´Machte!

Adrian Eröd und Stephanie Houtzeel singen in The Tempest Vater und Tochter – Prospero und Miranda. In einem Interview mit Andreas Láng beschreiben sie die Herausforderungen der Partien, die Musik von Thomas Adès, ziehen einen Vergleich zum Shakespeare-Original und erinnern sich an ihre erste Zusammenarbeit.

Wenn man die Noten von "The Tempest" durchblättert, ein bisschen bei den Proben zuhört, hat man den Eindruck, dass die Partien für die Sänger extrem herausfordernd sind. Stimmt dieser Eindruck?

Adrian Eröd: Der Prospero ist aus mehreren Gründen schwer: es sind über weite Strecken äußerst komplexe Rhythmen vorgeschrieben, die extreme Lage – einmal sehr hoch, dann wieder sehr tief – stellt eine irrsinnige stimmliche Herausforderung dar und die Länge der Partie an sich ist auch nicht ohne. Im ersten Akt habe ich nahezu die ganze Zeit zu singen, und beim Terzett mit Miranda und Ferdinand geht’s richtiggehend ans Eing’machte. Der zweite Akt ist im Vergleich zu den beiden anderen der einfachste – was aber nicht einfach heißt, zumal ich in dieser Inszenierung selbst dann auf der Bühne bleibe, wenn ich nichts zu singen habe. Im dritten und längsten Akt komme ich wieder häufiger dran, aber wenigstens nie in so langen durchgehenden Blöcken wie im ersten Akt.

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Stephanie Houtzeel bei den Proben zu "The Tempest"

Stephanie Houtzeel: Miranda ist, zumindest am Beginn, eine eher naive junge Frau, und da Thomas Adès die Charaktere und Persönlichkeiten der einzelnen Protagonisten kompositorisch sehr schön schildert, ist auch ihre Musik eher modal, gelegentlich sogar tonal, um diese Naivität zum Ausdruck zu bringen. Lediglich in dem Terzett mit ihrem Vater und dem Geliebten Ferdinand, in dem ihr wahrscheinlich erster handfester innerfamiliärer Konflikt wiedergegeben wird, ist auch die musikalische Textur für Miranda komplexer, der Rhythmus vertrackter und die Lage extrem. Als ich die Noten vor einem Jahr zum ersten Mal angesehen habe, dachte ich bei dieser Stelle: „Wow, das liegt schon sehr an der Grenze.“ Insgesamt aber ist meine Partie eher lyrisch und nicht so schwierig wie jene von Prospero, Antonio, Caliban oder die lustigen Rollen – von Ariel ganz zu schweigen, ich glaube es gibt weltweit nicht mehr als drei Sängerinnen, die den Ariel beherrschen.

Sie haben beide in Aribert Reimanns "Medea" mitgewirkt. War "Medea" leichter zu lernen oder "The Tempest"?

Stephanie Houtzeel: Adès hat uns Sängern geholfen, da unsere Stimmen und Melodien immer wieder im Orchester durch Instrumente verdoppelt werden. Außerdem gibt es eine Art Logik in der Komposition, die einem im Laufe des Rollenstudiums immer klarer wird. Man merkt mit anderen Worten nach einiger Zeit von selbst, wenn man falsch singt und etwas nicht passt.

Adrian Eröd: Ja, das stimmt. The Tempest ist rein von der Intonation her deutlich einfacher als die Medea, man „findet“ die Töne, die man zu singen hat im Orchester. In der Medea hingegen gab es reihenweise Clusterklänge, die einem diesbezüglich wenig weiterhelfen.

Prospero und Miranda machen ja eine deutliche Persönlichkeitsentwicklung im Laufe der Handlung durch. Ist diese auch musikalisch abgebildet?

Stephanie Houtzeel: Sehr schön sogar. Am Beginn ist Miranda fast kindlich, nach der Begegnung mit Ferdinand merkt man allerdings das Erwachen der Frau – vor allem im Liebesduett im zweiten Akt. Die Musik wird sinnlicher, das Orchester farbiger. Ich finde es sehr stimmig, dass auch die Kostümbildnerin der Produktion auf diese Entwicklung eingegangen ist: Bei Mirandas erstem Auftritt ist das Kostüm mädchenhafter, später werden die weiblichen Formen mehr und mehr betont.

Adrian Eröd: The Tempest ist eine wirkliche Oper in dem Sinn, dass die großartige Musik zwar für sich bestehen kann, aber letztendlich durchgehend textausdeutend komponiert ist, also im Dienst des Librettos beziehungsweise der Handlung steht, eine dramaturgische Funktion hat und damit natürlich die Entwicklungen der Charaktere zeigt. Prospero ist am Beginn lyrischer, quasi väterlicher, dann wirkt die Musik, während Prosperos Ablösungsprozess von seiner Tochter und dem Rachegedanken heftig, autoritär, befehlend, verbittert und am Schluss wird sie hörbar abgeklärt und beruhigt. Ein anderes Beispiel für die dramaturgische Kraft dieser Musik ist der wunderschöne, unheimlich berührende Schluss der Oper, und zwar jener Moment an dem die beiden Geister oder Kreaturen Caliban und Ariel freigelassen werden und plötzlich komplett verloren wirken, da sie mit der Freiheit nichts anfangen können, Ariel sogar die Sprache verliert und nur mehr Vokalisen singt.

Wie ist denn das Libretto von Meredith Oakes im Vergleich zu Shakespeare – vom sängerischen Standpunkt aus gesehen?

Stephanie Houtzeel: Wir haben Thomas Adès ja gefragt, warum er nicht gleich den originalen Shakespeare-Text vertont hat. Ich glaube, er wollte eine Sprache haben, die atmosphärisch mehr das Heute, die real world sozusagen, betont. Davon abgesehen sind Teile der Geschichte anders erzählt als im Original, andere Teile wiederum sind gekürzt. Also es ist schon auch inhaltlich durchaus etwas Neues.

Adrian Eröd: Der Text von Meredith Oakes ist außerdem sehr sangbar, weil er extra als Libretto geschrieben und daher librettistisch vereinfacht wurde. Es handelt sich also – im Gegensatz zum Original von Shakespeare – um eine Sprache, die genau auf das Singen hin ausgerichtet ist. Außerdem ist der Text relativ leicht verständlich, denn die wenigen unbekannten Worte die vorkommen sind problemlos aus dem Satzzusammenhang zu verstehen.

Herr Eröd, Sie haben die Partie schon in einer anderen Produktion in Frankfurt gesungen. Wie rasch war die Rolle wieder abrufbar?

Adrian Eröd: Ich habe jetzt nach fünf Jahren den Prospero praktisch neu lernen müssen, es ist dann beim Lernprozess insgesamt schneller gegangen, aber zunächst hatte ich kaum noch eine Stelle „in den Stimmbändern“. Tempest ist übrigens lustiger Weise die erste fixierte Zusammenarbeit zwischen Dominique Meyer und mir an der Wiener Staatsoper. Alle anderen Verträge die ich hier seit 2010 in seiner Direktionszeit gesungen habe sind später zustande gekommen, aber diese letzte Premiere der ersten Meyer-Ära haben wir schon während seiner Designierung ausgemacht, damals als er  mich als Prospero in Frankfurt gehört hatte.

Und gibt es jetzt, unter der Leitung des Komponisten, im Vergleich zu Frankfurt Unterschiede – etwa im Tempo?

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Adrian Eröd bei den Proben zu "The Tempest"

Adrian Eröd: Thomas Adès ist als Dirigent so flexibel, dass er auf Sänger sofort zu reagieren bereit ist. Das heißt: Sogar in den von ihm gewählten Tempi gibt es Schwankungen, je nach der Tagesverfassung von uns oben auf der Bühne, er merkt sofort wenn jemand etwas mehr Zeit braucht, oder rascher weiter will. Er ist also nicht nur Komponist, sondern zugleich Interpret, der sein eigenes Werk loslassen kann.

Stephanie Houtzeel: Seine Rücksichtnahme ist wirklich kolossal. Und gerade weil er sein Werk kennt und schon oft selbst dirigiert hat, weiß er wo es Klippen geben kann, an denen er uns vorbeischiffen muss.

Wie ist das Gefühl, ein Werk mit dem Komponisten erarbeiten zu dürfen?

Stephanie Houtzeel: Es hat vor allem den Vorteil, dass man Fragen stellen kann. Beim privaten Studium der Rolle habe ich mich manchmal gefragt: Warum ist eine Betonung gerade hier, auf diesem Wort oder jenem Satzteil, wieso ist genau dieser Rhythmus vorgeschrieben – Adès hat für alles eine plausible Erklärung und man sieht die besagten Stellen danach tatsächlich ganz anders. Mit Thomas Adès verbindet mich darüber hinaus noch ein geradezu familiärer Aspekt: Unsere Väter haben gemeinsam in Paris studiert und Tom und ich waren einen Sommer lang beim bekannten Marlboro Music Festival in Vermont, er als Composer-in-Residence und ich als Solistin. Dazu kommt, dass Adrian Eröd und ich 1997, quasi als Newcomer in Linz zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne gestanden sind – in Rossinis Barbier von Sevilla. Mit dieser Produktion schließen sich für mich also in besonderer Weise gleich mehrere Kreise.


Thomas Adès

The Tempest

Österreichische Erstaufführung:

14. Juni 2015, 19.00 Uhr

Reprisen: 18., 21., 24., 27. Juni

Thomas Adès | Dirigent

Robert Lepage | Regie

Jasmine Catudal | Bühnenbild

Kym Barrett | Kostüme

Michel Beaulieu | Licht

David Leclerc | Video

Crystal Pite | Choreographie

Rebecca Blankenship | Musikalische Konsulentin

Gregory Anthony Fortner | Regieassistenz

Marie-Ève Pageau | Bühnenbildassistenz

Mark de Cost | Kostümassistenz

Katherine Cowie | Choreographische Assistenz

Adrian Eröd | Prospero

Audrey Luna | Ariel

Stephanie Houtzeel | Miranda

David Daniels | Trinculo

Thomas Ebenstein | Caliban

Pavel Kolgatin | Ferdinand

Herbert Lippert | King of Naples

Jason Bridges | Antonio

Dan Paul Dumitrescu | Stefano

David Pershall | Sebastian

Sorin Coliban | Gonzalo