© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
KS Wolfgang Bankl als Astradamors in »Le Grand Macabre«

Es geht mir unter die Haut

Der Charakter Napoleons, in wenigen Worten erklärt…

Das Schwein Napoleon ist zu Beginn ein Schwein wie jedes andere. Getriggert durch die Dinge, die rund um ihn passieren, entwickelt er den Gedanken der Auflehnung, den er schon in den ersten Schritten für eine alleinige Machtergreifung nützt. Und er setzt die Macht gnadenlos ein, um seine Stellung als Erster zu etablieren.
 

Die Figur des Napoleon ist Stalin nachempfunden.
Schluckt man als Sänger in so einem Fall ein bisschen? Im Sinne von: So einen will ich nicht spielen. Oder ist das durch die Parabel abgeschwächt?

Schreckliche Charaktere darzustellen ist in der Oper ja fast unser tägliches Brot, vor allem in meinem Fach als Charakterbass. Da gehört es dazu, auch Charaktere zu verkörpern, denen man im wirklichen Leben nicht begegnen möchte. Mitunter macht genau das sogar Spaß. Und zur Frage der Abschwächung: Ich bestreite, dass eine Parabel das Ganze erträglicher macht. Nein, im Gegenteil! Es macht die Sache noch viel schlimmer! Furchtbare Menschen erlebt man dauernd, man muss nur die Nachrichten einschalten. Aber wenn man das Geschehen aus einer konkret realen Situation in eine Parabel verlagert, dann treten die grausamen Mechanismen noch stärker zutage. Die Parabel verstärkt das – es ist dann nämlich kein Einzelfall,
sondern bekommt Allgemeingültigkeit.
 

Orientieren Sie sich in Ihrer Rollengestaltung an der Gestik und Körperhaltung Stalins? Als Wiedererkennbarkeit?

Nein, das geht schon deshalb nicht, weil es dann ja keine Parabel mehr wäre. Zumal mir von Stalin keine bestimmten Gesten bekannt sind, die auf einer Bühne so einfach transportiert werden könnten. Im Fall von Napoleon ließe sich die berühmte Handhaltung zwischen den Knöpfen des Sakkos zeigen. Aber meine Opernfigur heißt ja nur Napoleon, sie zeigt ihn nicht.
 

Was nehmen Sie persönlich aus der Oper mit?
Lässt sich überhaupt etwas mitnehmen?

Diesen Anspruch habe ich bei jedem Werk. Selbst eine Komödie, die der reinen Heiterkeit gewidmet ist, enthält Aspekte, die zum Nachdenken anregen und die, nach eingehender Reflexion, vielleicht dazu beitragen, ein »besserer Mensch« werden zu können. Daher fällt mir bei Animal Farm sofort ein: Man kann persönlich zum Beispiel lernen, mehr zu reflektieren, mehr zuzuhören und darüber nachzudenken, was die anderen sagen. Auch wenn es nicht der eigenen Meinung entspricht – vielleicht steckt ja etwas dahinter, das einem weiterhilft.
 

Wie sieht es mit den stimmlichen
Herausforderungen bei Napoleon aus?

Napoleon ist eine vergleichsweise einfache Partie. Also: Sie ist nicht schwierig zu lernen, leicht auswendig zu lernen, sehr gut strukturiert geschrieben. Im Vergleich zum Astradamors in Le Grand Macabre sind die Strukturen klarer! Andererseits ist Napoleon eine für einen Bass ausgesprochen hohe Partie. Man muss da ordentlich zupacken, um auch die Höhen gut zu platzieren.
 

Gibt es eine Szene, die Sie als
besonders eindrücklich empfinden?

Gegen Ende gibt es eine Passage, in der Stalin zitiert wird. Napoleon singt »Sich seine Opfer aussuchen, seinen Plan minutiös vorbereiten, eine unerbittliche
Rache ausüben und dann ins Bett gehen... Es gibt nichts Schöneres auf der Welt.«
Diese grauenhaften und zynischen Sätze werden von einer zuckersüßen Musik begleitet – und diese Mischung geht mir unglaublich unter die Haut!