Epochal wie Elektra
Und wieder einmal ist der eigentliche Ausgangspunkt – wie am Anfang der Spielzeit mit Hector Berlioz’ Les Troyens – der trojanische Krieg. Doch diesmal, bei Orest von Manfred Trojahn, steigt die Handlung nach Ende des Krieges ein und erzählt von den Folgen, die auch die nächste Generation ins Verderben ziehen. Die nächste Generation, das sind die Kinder, Elektra und Orest, die nun die Schicksals-Verhandlung führen müssen: Wie mit der Schuld umgehen, mit der eigenen und jener der Eltern? Wie den Weg nach vorne finden?
Was der griechische Orest-Mythos überlieferte, das schrieben die antiken griechischen Tragödiendichter für die Theaterwelt fest – und stellten es dem Publikum, der Öffentlichkeit, zur Diskussion. Neben der Orestie des Aischylos ist uns bis heute der Orest des Euiripides erhalten, der 408 vor Christus erstaufgeführt wurde. In Orest wird berichtet, wie der Protagonist, der seine Mutter als Vergeltung für deren Mord an seinem Vater tötet, von den Rachegöttinnen gejagt wird und nun selbst vom Volk hingerichtet werden soll. Bis Apollo als rettender Gott auftaucht und die Situationen spontan befriedet. Euripides zeigt in seinem Drama, wie die Mechanismen von Schuld und Gegenschuld, von Rache und Zerstörung funktionieren: und zeigt eine Gesellschaft, die an den Verwerfungen nach einem großen Krieg leidet.
2011 wurde die von Manfred Trojahn geschaffene Oper Orest uraufgeführt, die, von Euripides ausgehend, sich mit dem unter seiner Tat leidenden Protagonisten auseinandersetzt: Trojahns Orest (der Komponist verfasste auch das Libretto) wird getrieben, von Schuld, von der rachsüchtigen Schwester Elektra. Es wartet auf ihn die Erkenntnis, dass er sich von diesen Kräften und den Göttern freimachen und den Mut zum eigenen Weg finden muss.
Die Uraufführung des Orest in Amsterdam wurde von Publikum wie auch von der internationalen Presse gefeiert (unter anderem hieß es: „ein in jeder Beziehung anspruchsvolles und einnehmendes Bühnenwerk“ oder „Trojahn ist ein Meister der Stimmungen. Bedrohung, Beklemmung, Spannung, Hass, Ablehnung, Mordlust, Verachtung – für all diese Elemente findet er den richtigen Tonfall“). Weitere Produktionen des Werks – unter anderem in Hamburg und Zürich – stießen ebenfalls auf reiches und positives Echo. Auch in Wien war Orest bereits zu hören, die Neue Oper Wien brachte ihn 2014 zur Premiere.
Die Kräfte, die nun die Erstaufführung an der Wiener Staatsoper herausbringen, sind mehr als bewährte: Dirigent ist Michael Boder, der im Haus am Ring bisher über 150 Aufführungen leitete und hier vor allem ein Repertoire übernahm, dessen Alter unter 100 Jahren liegt: So erlebte man ihn zwar auch als Meistersinger-Dirigent, doch zentriert sich sein Staatsopern-Schaffen um Werke wie Wozzeck, Medea, Der Riese vom Steinfeld, Lulu, Cardillac, Gianni Schicchi oder Jakobsleiter – und auch Elektra von Richard Strauss, seine bislang meistdirigierte Oper am Haus. Diese ist zwar mittlerweile älter als 100 Jahre, aber im Orest-Zusammenhang gerade darum spannend, da Trojahn die Elektra-Geschichte fortschreibt und immer wieder Querverweise auf die Strauss-Oper legt. Inszenierung, Licht und Bühnenbild stammen von Marco Arturo Marelli, der damit seine 13. Staatsopern-Arbeit präsentiert. Für Marelli ist Orest nicht nur ein „epochales Werk, das ebenso gewaltig und wichtig ist wie Elektra“, sondern sind die Beschäftigung mit der antiken Theaterdichtung und dem Reigen der Figuren ein „unendliches Glück“ wie auch eine Quelle der Bereicherung. Denn über die griechische Tragödie lerne er sich selbst zu erklären und schaffe Ordnung in sich, berichtet er im Konzeptionsgespräch zu Probenbeginn. Entsprechend zeitlos sind für ihn die Themen der Tragödie. Scheint für Marelli der Himmel heute auch fast leergeräumt, so „sind wir doch dennoch keine selbstbestimmten Menschen. Wir sind auch gefangen, vom Konsum, von der Wirtschaft, von Fake-News. In Orest geht es um die Befreiung von der Determination durch andere – und darum ist es ein so wichtiges Werk!“
Die Partie des Orest singt Thomas Johannes Mayer, der im Haus am Ring bisher im Wagner-Fach zu hören war: als Wotan, Wanderer, Telramund. Mayer, unter anderem in Paris, Bayreuth, München, London und Berlin tätig, kann aber nicht nur auf Wagner, sondern auf ein überaus breites Repertoire, das rund 80 Rollen umfasst, verweisen, auf Strauss und Dvorák, Krenek und Verdi, Schönberg und Hindemith.
Als rachsüchtige Elektra kehrt Evelyn Herlitzius zurück ans Haus am Ring: zuletzt stand sie als leidende Kátja Kabanová auf der Staatsopern-Bühne, zuvor als Wozzeck-Marie, Leonore, Isolde, Kundry, Färberin und Sieglinde. Als schöne Helena erlebt man Laura Aikin, die in letzter Zeit nicht nur die Fledermaus-Rosalinde gab, sondern 2015 auch als Emila Marty in Vec Makropulos vors Wiener Publikum trat. Das Staatsopern-Ensemblemitglied Thomas Ebenstein ist als König Menelaos zu erleben, Audrey Luna (sie brillierte als Ariel in The tempest) als Hermione, Daniel Johansson debütiert im Haus am Ring als Apollo/Dionysos.
Oliver Láng
Orest | Manfred Trojahn
Premiere: 31. März 2019
Reprisen: 5., 7., 10., 13. April